Chrom Complete

Mysteriöse Erfahrungen, Weisheiten, Rätselhaftes.
Antworten
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

have fun..
Zuletzt geändert von Fallen Angel 3 am Di 21. Sep 2010, 10:24, insgesamt 1-mal geändert.
Das was wir brauchen, das was wir geben - das sind wir.
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Re: Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

CHROM

Eine phantastische Erzählung






Prolog

Die Technokratische Ära involviert das schrittweise Aufkommen
einer kontrollierten Gesellschaft. Solch eine Gesellschaft würde von einer nicht an traditionelle Werte gebundenen Elite dominiert. Bald wird es möglich sein, beinahe fortwährende Überwachung jeden Bürgers sicherzustellen, und tagesaktuell vollständige Akten mit den persönlichsten Informationen des Bürgers zu gewährleisten. Diese Akten werden von den Behörden jederzeit abrufbar sein.
- Zbigniew Brzezinski

Kapitel 1

Chromierte Wände schufen ein Gefühl in ihm, das grauen Wolken glich. Auch die überaus freundliche Computerstimme, die ihn begrüss-te, als er in den Fahrstuhl eintrat, vermochte diese Stimmung nicht zu heben. Entkräftend unterstrich sie die Leere und Erschöpfung, die von seinem Gemüt Besitz ergriffen hatten, seit er die Einladung erhalten hatte. Schon seltsam, es gab keine Verfolgungsjagd, wie in den Fil-men, die während seiner frühen Kindheit noch im Kabelfernsehen liefen, damals, als die einzige Zensur von den Einschaltquoten ent-schieden wurde. Nein, ganz rudimentär auf dem Postweg erhielt er die Mitteilung, dass er sich im Central Plaza vorzustellen habe – eine Weigerung war keine Option. In diesen Zeiten hiess es, unentdeckt zu bleiben, oder es war vorbei. Es gab keine Fluchtmöglichkeiten. Wer es nicht schaffte, seine Handlungen vor der Obrigkeit zu verbergen, war ihr ausgeliefert. Ein dummer kleiner Fehler, einmal zu wenig um die Ecke gedacht, so hatte er sich verraten und sein Schicksal war besie-gelt. Natürlich hätte er sich auch einfach umbringen können, doch seine Neugier siegte. Er wollte – wenn schon – selbst erleben, was dort geschah, wovon er sonst nur die Berichte hatte, die auf ver-schlüsselten Wegen, in prosaischen Gedichten verfasst, unter der Hand verbreitet wurden. Der Widerstand lebte – doch wie viele seiner Brüder und Schwestern nun gemeinsam mit ihm auffliegen würden, dass wollte er sich nicht ausmalen. Ihre Gesichter würden ihn früh genug in seinen Träumen verfolgen.

Der Lift erreichte sein Ziel. Die freundliche Computerstimme wünsch-te ihm zufriedene Tage, bevor die silbergrau glitzernden Wände zurück glitten. Der Raum, der sich ihm dahinter eröffnete war getreu dem Motto der Einschüchterung nicht eben klein. Gewaltige Säulen erhoben sich mindestens sechs Meter in die Höhe, eine Balustrade überspannte etwa auf halber Höhe in weitem Bogen den Raum und teilte ihn entsprechend. Teile und Herrsche – das Credo römischer Kaiser war unlängst durch ein neues ersetzt worden: Besitze alles und sie folgen Dir wie Schafe.
Er nun folgte seinem Weg, der für einige Zeit so unabhängig und frei erschien, so lebendig. Hatte es sich gelohnt? Oh ja, das hatte es. Es war lohnenswert alles zu verlieren, nun wieder eingefangen worden zu sein und seiner Nemesis ins Auge blicken zu müssen, das alles war es wert, für die wenigen Augenblicke eigenständigen Denkens. Zwar nur möglich mittels einer Meditationstechnik, die stärker war, als die Drogen, die ihm seit seinem 20. Lebensjahr während monatlicher Untersuchungen injiziert wurden. Doch immerhin. Es hatte sich gelohnt. Er dachte wehmütig (doch keineswegs reumütig) an die Bilder von Galaxien, an die Bilder von Inseln der Freiheit, an die Erinnerungen an seine Kindheit, als die Welt noch frei war – Bilder die sich in seinem Geist bildeten, denn weder in Literatur noch bildender Kunst war etwas Vergleichbares heute noch zu finden.

Ein Mann kam auf ihn zu. Er trug die übliche, bedrückend uniforme Kleidung, dirigiert von Männern wie ihm. Der einzige Unterschied war die goldene Schärpe, die er sich um seinen Hals geschlungen hatte, ein dezenter Hinweis, dass er ein Mann der Macht war. Jemand, der all dies ersonnen hatte und es vorantrieb auf dem stabilen Weg, den dieses System eingeschlagen hatte. Ein Weg, der nirgendwohin führte, der nur die Privilegien der Elite erschuf und ihre Wünsche und Träume ermöglichte. Alle anderen hatten keine Träume mehr. Bis auf ein paar Verlorene, früher oder später ausgeliefert, so wie er es nun war. Alles eine Frage der Zeit.
Genug, sagte er sich, nicht dass die pessimistischen Gedanken, die zweifelsohne im Lift in Form geruchsloser Naniten in seinen zentralen Cortex eingespeist wurden, seinen Widerstand brachen, bevor es überhaupt losgegangen war. Mittels verbotener Meditationstechniken reinigte er seinen Geist. Eine Gabe, die die Kontrolleure nicht hatten und nicht verstehen konnten – und folglich auch nicht vernichten. Der Kontrolleur hatte weisse Haare, und braune, stechende Augen, in denen Intelligenz aufblitzte, als er zu sprechen begann.

«Regieren ist die Aufgabe zu erhalten, was bewahrt werden soll. Die Menschen brauchen Eure Freiheit so wenig, wie ein gesunder Orga-nismus eine Krebszelle braucht, denn die Freiheit ist ein Geschwür, das sich an diesem Organismus labt, ihn schwächt und schliesslich tötet. Was aber bleibt dann übrig, von einem einstmals funktionie-renden System, ausser einer verrottenden Leiche, das – Uneinsichtiger – frage ich Dich nun?»
«Die Freiheit ist das Höchste Gut, das Licht in der Dunkelheit, wie...»
«Verschone mich mit diesen ausgeleierten Sprüchen, das alles habe ich schon gehört, als ich ein kleiner Beamter in einer "freien" Welt war, die nichts weiter darstellte als ein ungeordnetes Chaos, worin die Ordnung fortlaufend in Frage gestellt wurde, von niederen Ele-menten, die nur zum Ziel hatten, ihren Egoismus auf möglichst kleinkarierte Weise in die Gesellschaft einzubringen. Ich erzähle Dir nun, wie die Welt aussieht, vielleicht kann ich Dir ja Vernunft ein-bläuen, wobei ich das Scheitern bereits in Deiner blasierten Miene zu orten vermag.»

Und so erzählte ihm der Kontrolleur von einer Welt, in der die Men-schen nun endlich in Harmonie und Eintracht an den Zielen arbeiteten, die von den Oberen als richtig erachtet wurden. Widerwil-lig hörte er ihm zu, stets auf der Hut davor, seine Überzeugung nicht zu verlieren, dass einzig die Kreativität und die Freiheit über allem stünden und dass es nicht richtig sei, dies alles aufzugeben. Demun-geachtet war er teilweise bestürzt, wie logisch und einleuchtend es auf den ersten Blick erschien.
Gäbe es keine Ordnung, so behauptete der Kontrolleur, wäre die Menschheit längst zum Untergang verurteilt gewesen. Das Wirt-schaftssystem hatte starke Einbussen zu verzeichnen, als die Händler und Anleger die Ersparnisse ihrer Kunden stets risikofreudiger und unbedachter verspielten. Die Wirtschaft war kurz vor dem Zusam-menbruch, was in erster Linie in der Freiheit dieser Anleger lag, zu kaufen, was ihnen gerade gewinnbringend erschien. Auf diese Weise stürzten eigentlich stabile Kurse ins Bodenlose, grosse Konzerne, die mit beiden Füssen im Wirtschaftsdschungel standen, mit Donner-büchse und Proviant ausgerüstet, wurden über Nacht spröde Kar-tenhäuser, die beim ersten Regenschauer zusammenbrachen. Die Regierungen der nördlichen Hemisphäre erkannten dies, und be-schlossen, sich umgehend daran zu setzen, einen Plan auszufeilen, der einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhindern sollte. Dazu wurde erst einmal die Lage verschärft. Dies ermöglichte es den Regierungen Anteile an Banken und grossen Konzernen zu kaufen und sich in der Öffentlichkeit als Retter aufzuspielen. Zwar gelang dies nur teilweise, weil die unteren Schichten damals noch die Möglichkeit hatten, sich über Internet und alle möglichen weiteren Kommunikationsmittel auszutauschen, woraufhin die ganze Aktion in Frage gestellt wurde. Jedoch nicht durchschaut. Es wurde darüber diskutiert, dass Steuergelder missbraucht wurden, was natürlich ganz im Sinne der neuen Weltordnung war, die auf dem Reissbrett bereits existierte. Um sie Realität werden zu lassen, halfen die besagten Anteile an einstmals völlig privatisierten Unternehmen. Die Regierungen hatten Zeit. Zwar nicht unendlich viel, schliesslich schwebte das Damoklesschwert des grossen Börsensturzes noch immer über ihnen, doch angesichts der schier unerschöpflichen Mittel, die Nordamerika und Europa noch immer zur Verfügung standen, war die Angelegenheit nicht allzu gefährlich. Nachdem die Banken grösstenteils verstaatlicht waren, und somit alle Kredite auf Häusern, Institutionen, Firmen und sogar kleineren Vereinen in den Händen der Mächtigen lagen, war es ein kleiner Schritt, immer genau jene Forschungen zu fördern, oder eingehen zu lassen, die dem Endziel dienten.

Allen voran die Genforschung. Es war schon im 20. Jahrhundert ein-deutig, dass hier die Quelle der Macht lag. Die Psychologie war lange Zeit das Mittel der Planer (später Kontrolleure), doch sie hatte sich oftmals als unbrauchbar erwiesen, da sie zu wenig Einfluss auf das unbewusste Denken der Menschen hatte. Das Ego, welches von Sigmund Freud entdeckt und definiert wurde, beschützte die Menschen paradoxerweise vor allzu groben Eingriffen in die Per-sönlichkeit. Es war zwar möglich, die besonders renitenten Menschen mittels psychiatrischer Gutachten wegzusperren, doch die grosse Masse war zu wenig beeinflussbar. Ziele der neuen Herren, mehr Menschen dazu zu bewegen, sich den Spielen der Psychiater auszu-setzen, wurden schliesslich aufgegeben, als klar wurde, dass die landläufige Meinung, es hätten nur Spinner einen Psychiater nötig, kaum zu überwinden war. Für einmal war die Sturheit und Engstirnigkeit der Leute nicht nutzbringend für die Ziele der neuen Weltordnung.
Doch die Genetik stand auf einem anderen Blatt. Mittels geschickt eingefädelter Zeitungsberichte, die ohne direkten Zusammenhang ins kollektive Bewusstsein eingestreut wurden, änderte sich die Grund-haltung des Mannes auf der Strasse zu diesem Thema rapide. Die Versprechungen, alle möglichen Krankheiten zu heilen, trugen ihren Teil bei, um die Stimmung für Genetische Experimente positiv zu formen. Als schliesslich in England die Hybridforschung per Volksent-scheid erlaubt und danach mit volkswirtschaftlichen Mitteln gefördert wurde, war ein Boom in diesem Bereich zu verzeichnen, der aus-reichte, die Menschheit neu zu gestalten.
Dank des Biometrischen Passes war es zudem ein Leichtes, die neu-en Erkenntnisse in den Körper der Menschen einzubauen. Ursprünglich war der Pass natürlich nur eine Karte, ähnlich den da-mals üblichen Kreditkarten. Doch mit der Zeit wurde es den Bürgern schmackhaft gemacht, nicht ständig einen Geldbeutel mit sich rum-schleppen zu müssen. Stattdessen wurden alle Daten und Finanzmittel vom Biometrischen Pass bereitgestellt. Danach wurde aus dem Pass ein Chip, der flächendeckend unter der Haut der Men-schen eingepflanzt wurde. Von diesem Punkt bis hin zur "monatlichen Untersuchung für Gesundheit und Wahrheit" dauerte es wiederum nicht lange.

Die Erkenntnisse der Gentechnologie, die unter anderem darin be-stand, dass die Menschen aufgrund ihrer Genetik zu bestimmten politischen und religiösen Ansichten neigten, wurden anschliessend benutzt, um diese Ansichten umzuprogrammieren. Das Ziel war na-türlich Stabilität. Das Ziel war ausserdem eine Gesellschaft des Friedens und der Eintracht, wie es Gott seit jeher für die Menschheit vorgesehen hatte, wäre da nicht der kleine Zwischenfall mit dem Apfel gewesen. Doch diese unselige Periode des menschlichen Zusammenlebens war nunmehr ausradiert. Tief im Inneren sehnte sich jeder Mensch nach Harmonie. Diese Sehnsucht mittels geneti-scher Programme anzusprechen war ein Leichtes.
So entstand eine Gesellschaft, in der Kreativität abgelöst wurde, durch Effizienz. Worin Freiheit ersetzt wurde, durch Ordnung. Nicht nur waren die Menschen nicht mehr willens, sich ständig mit Sinn-fragen herumzuschlagen, sie begannen auch den Werken, die ihr Denken verwirrten zu misstrauen. In dieser neuen Welt, war alles bereits vorgegeben, man musste sich keine Gedanken darum ma-chen, worin das Ziel fürs eigene Leben bestand, denn man wusste es. Niemand musste mehr hadern und zweifeln, denn es war klar - eindeutig - und progressiv. Anfängliche Befürchtungen, die im Kreise der neuen Elite durchaus besprochen wurden, ob denn eine derart unkreative Gesellschaft überhaupt fähig wäre, weiterhin Forschung zu betreiben, ob die Menschheit dann nicht einfach stagnieren würde, konnten schliesslich zerstreut werden. Der Wunsch der Menschen nach Fortschritt wurde durch den organisierten Wandel der Gesellschaft eher noch gefördert, vielleicht gab es weniger Genies, doch eine Gesamtheit von etwa drei Milliarden Menschen arbeitete, ähnlich einem Bienenhaufen an einer gigantischen Wabe. Weitere drei Milliarden arbeiteten auf den Feldern und in Bergwerken, um die Energie für diesen gigantischen Arbeitsaufwand herzustellen.
Und niemand war unglücklich. Nun... niemand bis auf jene verirrten Seelen, die es irgendwie geschafft hatten, ihre genetische Program-mierung zu überwinden. Wie das genau vonstatten ging, war nach wie vor unklar. Ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung war einfach nicht davon zu überzeugen, dass ihre Aufgabe bereits festgelegt und jegliche egomanische Kreativität nichts weiter als ein Verbrechen an der Menschheit darstellte. Es wurde vermutet, dass beim genetischen Programm noch einige Lücken zu finden wären und tatsächlich wurden einige dieser Löcher gestopft - und doch... aufgehört zu fliessen, hatte der Strom an Uneinsichtigen nie völlig.
Und hier nun war ein solcher Uneinsichtiger. Der Kontrolleur hatte sich bereits auf dieses Gespräch gefreut. Es war für ihn eine will-kommene Abwechslung zum relativ eintönigen Regierungsalltag, der mehr oder weniger darin bestand, die richtigen Knöpfe zu drücken, um hier und dort, Aufstände von Bergarbeitern zu unterdrücken – die Luft im Inneren der Stollen förderten eine Art von Wahnsinn, der schliesslich in Revolten mündete. Die Lösung des Problems bestand in den meisten Fällen darin, einige Tonnen Giftgas zu versprühen… – oder einige marginale Kurskorrekturen vorzunehmen, um das Schiff, das die Menschheit darstellte, in die richtige Richtung zu len-ken. Hier nun hatte er Gelegenheit nicht nur seine aufgeklärte Sicht der Dinge an den Mann zu bringen, ja er würde sogar endlich aus erster Hand erfahren, was diese Menschen dazu antrieb, sich gegen eine Ordnung zu stellen, die doch so offensichtlich einzig Frieden und Harmonie für die Menschheit bereithielt.


Während sich die beiden so ungleichen Menschen im Raume des mächtigen Kontrolleurs auf einen Schlagabtausch vorbereiteten, bei dem die Worte wie die Fetzen fliegen würden – war es eine Sorgen-falte, die sich auf ihrer hohen Stirn zeigte, die darauf hindeutete, dass sie zurzeit nicht eben fröhlich war. Sie befand sich vielmehr in allgemeiner Dissonanz zu ihrer Umgebung. Ihre Umgebung bestand derzeit aus ihrer Wohnung, worin sie spartanisch eingerichtet den grössten Teil ihres Daseins fristete – sie war 3D-Designerin und brauchte daher nicht unbedingt jenseits ihrer vier Wände mit den Menschen zusammenzutreffen, die zu ihren Mitarbeitern zählten – sowie ihrem Kater und drei Sicherheitsbeamten.
Diese waren vor etwa zehn Minuten gekommen. Doch wie wir alle wissen, hat die Zeit die unangenehme Begleiterscheinung, sich in unangenehmen Situationen auszudehnen, wie es sonst nur Teppiche schaffen, die gerade frisch ausgerollt wurden. Dieser "Teppich der Zeit", der ihr in diesen zehn Minuten das Gefühl gab, bereits den ganzen Morgen mit diesen freundlichen Zeitgenossen zu verbringen, roch zudem etwas ranzig, wie es Teppiche taten, die zu lange im Regen gestanden sind, bevor der Zulieferer sich ein Herz nahm und ihn auslieferte. Der Anführer ihrer nicht eben bunten Gästeschar gab sich denn auch einigermassen zugeknöpft und liess ihr kaum Gele-genheit seine sicherlich vorhandenen sympathischen Seiten wahrzunehmen.

Es war auch nicht unbedingt seine Aufgabe ihr angenehme Gefühle zu bereiten, schliesslich hatte er einen Auftrag, der darin bestand, Uneinsichtige einzukassieren, wie sein Chef das jeweils nannte. Andere mochten später entsprechend ihres Auftrags mit den Übel-tätern verfahren, doch zurzeit stellte sich für den – eigentlich sonst ganz sympathischen – jungen Sicherheitsbeamten ein kleines Prob-lem. Die ebenfalls junge Frau schien etwas in seinem Hypothalamus zu stimulieren, auf das er trotz seines Trainings einfach nicht vorbe-reitet war. Kurzum sie gefiel ihm, ja das tat sie durchaus, sie hatte halblange blonde Haare, einige Falten um die Mundwinkel herum, die auf einen fröhlichen Charakter schliessen liessen. Aus diesem Grund verwunderte es ihn, oder besser gesagt seinen Gefühlshaushalt, ein wenig, darin eine derart zornige Sorgenfalte wahrzunehmen, zu deren Erscheinen sein Erscheinen nicht unwesentlich beigetragen hatte.

Zwar hatte er – wie auch seine Kollegen – durchaus den Vorteil, dass seine Biochemie von einigen Chips und speziellen, künstlichen Vorrichtungen im Gleichgewicht gehalten wurden, und doch... ir-gendetwas lief hier nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte, eine Vorstellung, die mit viel Geschrei, einigen aufmunternden Warnungen und der vorhersehbaren Unterwerfung der uneinsichtigen Subjekte geschmückt war. So gesehen durchaus effizient und angenehm. Jedenfalls bis das vor ihm stehende Subjekt die Frage aufwarf, warum zum Teufel – ein Wort, von dem er nicht genau wusste, was damit gemeint war – er es wagte, sie in einer wichtigen Angelegenheit, wie zum Beispiel ihrem Verrat, um eine derart nachtschlafene Zeit zu behelligen. Diese Fragestellung, die sowohl ein Geständnis, als auch ein Unverständnis für zeitliche Vorgänge aufwies – immerhin war es keineswegs mitten in der Nacht sondern zehn Uhr morgens – war derart absurd, dass sein genetisch vorpro-grammiertes Gefühlsskelett sich auf seine Urinstinkte zurückflüchtete, weil die von den Kontrolleuren eingestellten Verhaltensweisen hier einfach nicht passen konnten. Natürlich nicht gleich, nein so leicht waren die modernsten Sicherheitsleute nicht zu überlisten, das wäre ja auch gelacht, doch der (nett aussehenden) Frau war es gelungen einen Fuss in die Tür zu seinem logischen Verstand zu setzen und darin etwas herumzuwühlen. Was sie nun zur Gänze auskostete, in-dem sie mit weiteren seltsamen Parabeln um sich schmiss, die den armen Sicherheitsmann nun vollends durcheinander brachten. Zwar vergass er sich nicht und auch seinen Auftrag nicht, doch sie hatte erreicht, dass er von ihr... nun ja… angetan war. Was ein Teilsieg darstellte, der unvergleichlich war, in seiner beruflichen Karriere.
Allein schon ihre Weigerung auf die Einladung hin sofort ins Sicher-heitszentrum am Central Plaza zu kommen, war in sich schon eine völlig abnormale Handlungsweise. Was immer sie sich davon ver-sprach, sie musste - ja musste einfach! - wissen, dass sie ihren Häschern auf keinen Fall entkommen konnte. Doch offenbar sah sie das anders.

Die wohl kalkuliert zornige Sorgenfalte deutete darauf hin, dass ge-rade die Transformation zu einer reisserischen Bestie, einem Bär oder gar einem Vampir bevorstand, sollte sie nicht in Ruhe gelassen werden. Das gab ihr zwar einige Minuten, doch allzu lange liesse sich auch diese Parodie nicht länger aufrecht erhalten, das war ihr klar. Sie brauchte einen Fluchtweg und zwar hoppla, oder es wäre um ihre enormen geistigen Fähigkeiten geschehen, was ein herber Verlust für die Menschen gewesen wäre, die sich für Freiheit und Kunst begeis-tern konnten.
Nun denn, sie war natürlich nicht untätig geblieben, in der Zeit in der sie sich fragte, wie man so total von sich überzeugt sein konnte, es tatsächlich für möglich zu erachten, dass jemand der mit diesem ganzen Neuen Welt Scheiss nichts anfangen konnte, sich auf eine simple Einladungskarte hin – die noch dazu noch nicht einmal mit irgendwas geschmückt war und wenn es auch nur ein Rahmen ge-wesen wäre oder eine schwungvolle Unterschrift – in die Höhle des Löwens begeben würde, und das noch dazu freiwillig! Lächerlich, nur schon die Vorstellung! Ihr Kater wurde nun mit einem eigens dafür implantierten Chip durch einen einzigen Gedanken dazu angestiftet, den emotional aufgeheizten Moment zu nutzen, um einem der anderen beiden Sicherheitsleute, die etwas weniger durcheinander waren, an's Bein zu pinkeln. Dies reichte erst einmal aus, um auch dessen Hypothalamus kräftig durchzuschütteln, was – wie die Untergrundbewegung sehr wohl wusste – in den meisten Fällen genügte, um das schön ziselierte genetische Konstrukt, das die Kontrolleure den Menschen eingepflanzt hatten, zu verwirren. Der Sicherheitsmann war jetzt für einige Sekunden damit beschäftigt, sich darüber zu ärgern, dass Urin durch seine nicht eben bunte, jetzt aber doch schon etwas gelblichere Uniform tropfte.

Blieb also noch der Dritte, den sie nun ansah wobei sie sich mit zwei Fingern fortwährend an der Stirn rieb, um damit sowohl Anwiderung als auch Verwirrung zu signalisieren – auch die Körpersprache war eine der geheimen Waffen der Untergrundbewegung, welch Glück für die Freiheit – bevor sie sich an ihn wandte.
«Wie konntest Du mich derart verraten? Ich weiss noch wie wir ge-meinsam Pläne für die Abreise schmiedeten, ins gelobte Land, wie Du sehr wohl weisst, und hier nun spielst Du mit den Feinden zusammen, um mich, mich zu kassieren?»
Natürlich war es keineswegs möglich, dass auf so etwas irgendje-mand reingefallen wäre, und sei er auch noch so unkreativ, doch es ging hier um Sekunden, die sie bekam und nichts weiter brauchte sie, bevor sie nach vorne greifen und eine Blasterkanone aufheben konnte, die den Sicherheitsleuten eigentlich hätte auffallen müssen, was sie jedoch nicht tat, einfach nur aus dem Grund, dass das menschliche Gehirn, nicht darauf ausgelegt war, Dinge als solche zu erkennen, die es nicht für möglich erachtete. Eine Blasterkanone in den Händen eines Freiheitskämpfers war etwas derart unaussprech-lich Absurdes, dass keiner der drei Beamten auf die Idee gekommen wäre, das Gerät, welches bislang in aller Seelenruhe auf dem Tisch lag, für etwas anderes zu halten, als ein Replikatorengerät. Was natürlich im Sinne der Tarnung des entsprechenden Geräts lag. Und im Sinne unserer Heldin, die nun mit der Kanone herumfuchtelte und dabei drei gezielte Schüsse abgab, die den Sicherheitsleuten und ihren Hypothalami ein wenig Ruhe brachten.
Danach packte sie ihren Kater und entschwand vorläufig von den Bildschirmen der Kontrolleure.


Es begab sich etwas früher des gleichen Tages, ein uns bereits be-kannter Sicherheitsbeamter in sein Badezimmer. Dort fand er seine Zahnbürste, reinigte sich die Zähne und schaute seinem Spiegelbild fasziniert zu, wie es fast schon automatisch all die Handlungen aus-führte, die mit der morgendlichen Toilette im Zusammenhang standen. Tube auf, Zahnpasta rausdrücken, schrubben… Das Spie-gelbild blickte noch schlaftrunken umher, fand einen Waschlappen, der mit eiskaltem Wasser getränkt und dann auf die verschwitzte Stirn aufgelegt wurde. Ah ja, doch das tat gut. Der Sicherheitsbeam-te war zu diesem Zeitpunkt noch kein Sicherheitsbeamter, sondern einfach ein Mann, der in den Unterhosen im Badezimmer stand, wie er es jeden Morgen tat. Routiniert und gut erzogen, so hätte es seine Mutter formuliert, was ihn zum Schmunzeln brachte. Seine Mutter war schon längst über die Schwelle des Todes gegangen. Es wäre ihm zu diesem Zeitpunkt geradezu lächerlich erschienen, hätte ihm jemand erzählt, dass er ihr auf diesem Weg bald folgen würde. Sol-che Gedanken machten sich Menschen seines Alters eher selten. Und wenn sie es denn taten, tat der Chip unter ihrer Haut sein Werk und die Gedanken wurden aufgelöst. Durch die richtige Mischung aus Seratonin und Adrenalin ersetzt, um seine Sinne beieinander zu hal-ten, und auf die vorliegenden Aufgaben zu konzentrieren.

Es war jedoch nicht wirklich wahr. Die Kontrolleure glaubten, sie hät-ten die Welt fest im Griff, weil sie die menschliche Chemie und Genetik im Griff hatten. Das mochte so sein, doch was sie nur an-satzweise erahnten, war das Bewusstsein dieser Menschen. In Träumen verschwand, was Körper war. Drüsen und DNS wurden unwichtig, wiederholt machten sich die Seelen Nacht für Nacht auf eine Reise, auf der nicht zählte, was die Genforscher an neuesten Erkenntnissen erschufen. Die Programmierung versagte in diesen Welten, und der Mensch war wieder Mensch, war mehr als das, war, was er war, war weniger mechanisch, als viele glaubten, während des Tages. Selbst der Untergrund hatte nur wenig Ahnung davon, wie viel Kraft auch die Kontrolliertesten unter ihnen hatten, wie viel Lebendigkeit in den Kontrolleuren selbst schlummerte.

Dem Sicherheitsbeamten waren solche Gedanken an diesem Morgen freilich fremd, er betätigte gerade die Spülung und rieb sich danach die Hände, bevor er sich aufmachte, seine Rolle wieder auszufüllen. Wann war das noch, als er sich für diesen Job beworben hatte? Musste schon einige Jahre her sein. Wie schnell doch die Zeit verging, ja es war mindestens vier Jahre her, damals hatte er gerade die allgemeine Schule hinter sich gelassen. Seine körperliche Fitness, die angeboren war – zumindest wenn man das Wort im richtigen Kontext verstand – befähigte ihn dazu, sich mit diesem Metier zu beschäftigen. Er war natürlich erfreut, als er die Uniform zum ersten Mal sah, nicht das übliche farblose Ungetüm, nein dieses hier war blau, von einer Leichtigkeit wie ein Frühlingstag und das gefiel ihm gar sehr, war es doch durchaus so, dass er Farben mochte. Die Kontrolleure und die Ausbilder wären überrascht gewesen. Die genetische Programmierung versuchte mit allen zur Verfügung ste-henden biochemischen Mitteln, Menschen zu bilden, die sich nicht mit unwichtigen, nebensächlichen, oder gar schädlichen Dingen be-schäftigten. Doch dem Sicherheitsbeamten war schon früh klar geworden, dass all die Sprüche und deren Motivation, die von den Kontrolleuren fortwährend propagiert wurden, gar nicht so sehr dem entsprachen, was er selbst erlebte.

Das System war kontrolliert. Es war auch ziemlich organisiert. Es war jedoch nur ein System, und seiner Ansicht nach, konnte kein System dieser Welt, kein Chip dieser Welt irgendetwas daran ändern, dass Farben etwas Schönes waren. Es gab sie in der Natur und es gab sie auch für die Angestellten im Sicherheitsdienst, also lag für ihn auf der Hand, welcher Beschäftigung er nachgehen wollte. Während er sich den Socken überstülpte, fragte er sich nicht zum ersten Mal, ob er eigentlich glücklich ist. Im grossen und ganzen konnte er das schon sagen, er hatte eine eigene Wohnung, hatte blaue Kleider, war wichtig, und ausserdem, was wollte er schon erreichen in diesem Leben? Er hatte aufgrund seines Jobs das eine oder andere Mal mit den Uneinsichtigen zu tun gehabt, und deren fanatische Ablehnung dessen, was er zu verteidigen hatte, schien ihm in den meisten Fällen wenig durchdacht. Er hatte sich angepasst, ja. Und er hatte dadurch weit mehr Freiheiten erlangt, als es diesen schrägen Vögeln jemals zupass käme. Während die sich dauernd davor verstecken mussten, ihre seltsamen Gedichte – die sowieso kein Mensch verstand – und ihre ulkigen Bilder zu verstecken, hatte er Freunde. Gemeinsam gin-gen sie auf Streife, zusammen durchforsteten sie die Daten nach verbotenen Informationen, halfen älteren Mitgliedern der Gesell-schaft dabei, ihren Tagesablauf zu gestalten. Einer seiner besten Freunde war ganz versessen darauf, möglichst wenig Schmutz an seiner Kleidung zu haben, ein anderer rühmte sich, stets streng nach Vorschrift zu leben. Er jedoch kannte beide, und ihre Selbstbilder waren nur ein kleiner Teil der vielschichtigen Persönlichkeiten, de-rentwillen er sie so gern hatte. Er hatte also eine Aufgabe, er hatte Menschen mit denen er an den Wochenenden in die Berge fuhr. Die Gespräche die diese drei jungen Leute hatten, hätten sowohl die Uneinsichtigen überrascht, als auch die Kontrolleure verblüfft – wa-ren diese Kontrahenten ja doch nur gefangen, in ihren Weltbildern. Nun ja, nicht sein Problem. Er lächelte.

Anpassung war eine feine Sache, dachte er bei sich, als er die heisse Milch trank, deren Honigaroma ihn zugleich erfreute, als auch darin bestätigte, auf dem richtigen Weg zu sein. Bald würde er zu einem Sicherheitschef aufsteigen, seinen eigenen Squad führen, und sowohl als Berater wie auch als Ermittler weiterhin seiner Überzeugung nachgehen, dass die Welt schön war, solange noch die Sonne über dem Horizont auf und später wieder unter ging, viel mehr brauchte niemand – ausser natürlich eine Frau. Eine geliebte Frau an seiner Seite, das wäre die Krönung eines bereits nett eingerichteten Lebens. Das wäre die Sahne auf dem Häubchen. Eine Frau, die brächte eine Farbe in sein Leben… im Vergleich dazu wären sogar die Bäume na-he dem Central Plaza hauptsächlich grün.

Es hätte ihn sicherlich gefreut zu erfahren, dass er heute eine solche Frau kennenlernen würde. Eine Frau, die ihn auf eine Weise stimulie-ren würde, wie es die Programmierung nur selten schaffte. Manchmal, wenn sie eine gross angelegte Razzia durchführten, hatte er ähnliche Freude empfunden. Wenn Pläne aufgingen, die mit gros-ser Sorgfalt durchdacht und vorbereitet wurden. Wenn er seine Fähigkeiten einsetzen konnte, da war er nah dran an dem Gefühl, dass sein Leben erfüllt war. Doch was die Frau etwas später an die-sem Tag in ihm auslöste, darauf war er nicht vorbereitet. Natürlich war er auch nicht darauf vorbereitet erschossen zu werden. Irgendwie gehörte dieser Teil des Erstkontakts mit seiner Traumfrau nicht zu den Gedanken, die ihm in den Sinn gekommen wären.

Als dann sein Chef auf dem Servonet-Bildschirm auftauchte und ihn darüber informierte, dass sie eine der wichtigsten Zellen Uneinsich-tiger aufgespürt hatten, und er zusammen mit seinen besten Freunden dazu eingeteilt war, eine junge Frau einzukassieren – ein Slangausdruck, den die Sicherheitswelt von den Filmen übernommen hatte, die sie während ihrer Ausbildung ansehen durften; oder sollten, ja vermutlich eher sollten, das war ihm klar, dennoch die Filme hatten ihm gefallen, und so wie sein Chef darüber sprach, hat-ten sie auch ihm gefallen. Das Einkassieren wäre zwar nur ein Routinejob, aber – wie sein Chef augenzwinkernd anfügte – es hand-le sich immerhin um eine Lady, als wäre es doch angemessen einigermassen modern mit ihr umzugehen, und sie nicht an den Haa-ren ins Central Plaza zu schleifen. Der Sicherheitsbeamte lächelte bei diesem absurden Gedanken, so etwas wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen, aber sein Chef war ja auch älter, und noch vor dem Um-schwung aufgewachsen. Die älteren Leute belustigten ihn immer wieder. Sie hatten so eine erfrischende Weltsicht. Er würde sich hü-ten, es sarkastisch zu nennen, solange ihn jemand vom Ministerium für Überwachung hören konnte, aber… ja lustig waren sie, das auf jeden Fall.

Er malte sich natürlich bereits aus, dass es sich hier wirklich um eine merkwürdige Frau handeln musste. Sie hatte die Einladung erhalten und sich geweigert zu kommen. Dieses Verhalten liess darauf schliessen, dass sie mit der Realität noch weit weniger vertraut war, als es die meisten der Uneinsichtigen ohnehin waren. Er würde sie also abholen, und dann – je nachdem. Vielleicht war sie ja davon zu überzeugen, dass ein Leben in einem richtigen Verhältnis, mit Urkun-de und Stempel auch so seine Vorteile hatte. Vielleicht konnte er sie sogar davon überzeugen, mit ihm zusammen die Berge zu bereisen, eine der vielen Privilegien, die er sich hart erarbeitet hatte. Würde sie einfach mal auf der Kuppe stehen und sehen wie sich die Sonne in Milliarden Rot-Töne verwandelte, und dass so gesehen alles weit weniger schlimm war, als sie dachte… ja also, er konnte sich schon vorstellen, ihr eine Welt zu zeigen, die sie ganz offensichtlich nicht sah.

Er machte sich also auf den Weg und im Gleiter traf er dann auf sei-ne Freunde. Sie brachten die üblichen Begrüssungsrituale hinter sich und machten auch einige Bemerkungen zu diesem Auftrag, die mit dem einen oder anderen gerissenen Lächeln untermalt wurden. Sie waren Sicherheitsbeamte und sich der Tragweite ihres Diensts durchaus bewusst, aber sie waren auch Männer und so freuten sie sich auf dieses Treffen, so wie der Kontrolleur sich zur gleichen Zeit auf das Treffen mit dem Uneinsichtigen freute.

Sie trafen schliesslich in der Wohnung der Frau ein, und ihr Anblick raubte ihnen den Atem. Das wurde vom Chip in ihrem Inneren bald wieder in Ordnung gebracht. Kaum etwas gab den Kontrolleuren ein grösseres Vergnügen, als die grossen Gefühle, zu denen Menschen fähig waren, wenn diese einander trafen, zu unterdrücken. Daher wurde nicht eben wenig Aufmerksamkeit und Forschungszeit darauf verwendet, hier klare Regeln und unsichtbare Riegel vorzuschieben. Doch die Lady war nicht so leicht zu überlisten, nein wirklich nicht. Ihrerseits listig, weitaus intelligenter, als die meisten der Kontrolleure und mit dem Mut der Jugend ausgestattet, hatte sie sich vorbereitet und so nahm die Geschichte ihren Lauf.

Der letzte Gedanke der unserem Sicherheitsbeamten, der Farben mochte und gerne in die Berge fuhr, durch den Kopf ging, bevor sein Bewusstsein gewaltsam von seinem Körper getrennt und in eine Richtung geschleudert wurde, die jeder dereinst einschlagen würde, war: «ach Mädchen, Du verpasst die beste Zeit Deines Lebens...»

Danach: Stille.



Wie fühlt ein Mensch, der so einsam durch die Gassen streift, sich erinnernd, an diesen unsäglichen Gesichtsausdruck, sich erinnernd an die eigenen Parolen, worin nicht von Aufstand sondern Reformati-on die Rede war. Während der Blick über die Häuser streift, die fast alle chromiert sind, silbern glitzernd das mittägliche Sonnenlicht re-flektierend. Tränen stehlen sich in ihre Augenwinkel, doch sie darf sie nicht entlassen. Tränen drängen darauf herauszukullern, ihre Backen in einen Wasserfall zu verwandeln, Tränen! Tränen des Schmerzes über die eigene Gefährlichkeit. Tränen darüber, wie ihre Träume nun alle verendeten mit jedem Schuss, den sie abgegeben hatte, verendeten. Wie ein wildes Tier, das von Autobahnen eingekreist, schliesslich keinen Ausweg mehr sieht, als vor den nächsten Last-kraftwagen zu springen. Sie ist gesprungen, sie fällt noch immer, während ihre Schritte geradezu automatisch die geheimen Wege gehen, die sie fortbringen, von der Gefahr für ihr Leben. Doch die Gefahr für ihr Leben verblasst, angesichts dessen, was sie getan hatte. Hätte es wirklich keinen anderen Ausweg gegeben? Sie wusste es nicht, und sie konnte auch kaum klar denken, war ein Teil ihres Denkens doch hauptsächlich damit beschäftigt zu fliehen – fliehen! Weg von hier, von dieser Welt, diesem System, diesen Menschen – Flucht allerdings auch vor sich selbst.

Einzig ihr Kater, der sie auf dem ganzen Weg begleitete, ohne zu murren, und sich von ihr streicheln liess, während er in ihrem Kapu-zenmantel zusammenrollte, spendete ihr Trost. Er war für sie da, in ihren dunkelsten Stunden, denn sie war auch immer für ihn da ge-wesen, wann immer er Hunger hatte, wann immer er eine warme Hand brauchte, die ihm Streicheleinheiten gab. Ja, der Kater kam mit ihr mit, und auch wenn der Aufenthalt in dieser Kapuze nicht eben die standardmässige Fortbewegung einer Katze sein mochte, so ge-noss er es, denn sie hatte ihn schon des Öfteren so transportiert. Sie wusste, dass es eines Tages nötig sein würde. Und sie behielt Recht.

So kam sie schliesslich zu dem Haus. Darin war eine Luke in einem der hinteren, staubigen Räume zu finden. So gelangte sie in die Ka-nalisation, die sich unter der Stadt befand. Ausserhalb des Systems und zugleich darin, geradezu die Grundlage, zumindest architekto-nisch. Nun endlich konnte sie weinen, konnte diese Tränen hinauslassen, konnte schluchzen, dass ihr Weg nicht das Glück für sie bereithielt, von dem sie träumte, ja träumte seit sie ein kleines Mädchen war. War sie noch ein kleines Mädchen? nein, wohl nicht mehr, nicht nachdem sie das Leben von drei jungen Männern kaltblü-tig beendet hat. Sollte das die Freiheit sein, von der sie damals geträumt hat? Oh verdammt, warum gab es in dieser Welt keine Hoffnung...

So lief sie, ja rannte beinahe, unter der Stadt hindurch. Auf uralten Pfaden, die hier schon waren, als die Welt noch chaotisch und un-geordnet war. Worin die Menschen noch die Möglichkeit hatten, zu tun, was immer sie für richtig hielten, auch wenn dies nicht immer das war, was gut für sie gewesen ist. Nicht immer das war, was gut für andere Menschen gewesen ist. Und doch... damals war es noch möglich, zu träumen, nicht gefangen zu sein in einem System, das nicht verstand wie sehr die Menschen die Möglichkeit brauchten, sich kreativ zu betätigen. Worin nicht allein die Arbeit "am grossen ganzen", wie die das immer nannten, zählte. Worin nichts, von dem, was schön war, nichts von dem was wirklich gross war, das Anrecht hatte, erschaffen zu werden.

Die Menschen, sie verkümmerten. Sie wusste das, sie sah es in den Augen der Leute auf der Strasse, wann immer sie sich einmal aus ihrer Wohnung wagte, immer wissend, dass das Auge der Kontrol-leure jeden ihrer Schritte überwachte, während sie einkaufen ging, mit Freunden etwas trinken... Doch wieviele Freunde hatte sie ei-gentlich? Waren es Freunde, oder doch nur Spitzel? Wussten die Kontrolleure alles über sie? Hatten sie einfach darauf gewartet, wie sie sich verhalten würden, waren sie nichts weiter als Mäuse in einem Versuchslabor, beobachtet von den Oberen um Erkenntnisse zu sammeln? Es war eine kontrollierte Welt und alles was dagegen aufbegehrte in ihrem Inneren, in ihren Gedanken, die stets so wild durcheinander wirbelten, dass der Chip sie nie ganz übermannen konnte, war in Gefahr. Jedesmal wenn sie also zu diesen Wegen aufbrach, auf denen sie sich nun ganz befand, tief unten, musste sie höllisch aufpassen, dass sie sich erst einmal abnabelte von dieser Welt. Das ging schon. Ja, sie war nicht dumm. Dieses System hatte, wie jedes System, auch seine Schwächen. Diese in ihren Jugendjah-ren auszuloten, war ihr erst nur Vergnügen – später eine Lebensgrundlage geworden. Inzwischen der einzige Strohhalm der ihr noch blieb.

Sie kam nun wieder an eine der Luken, die das Obere mit dem Unte-ren verbanden, geschwind war sie hindurch, kletterte die Leiter hinab, und befand sich nun auf der Höhe der Metro. Diese war ein weit verzweigtes Wirrwarr, das so gar nicht zu der kontrollierten Welt passen wollte, die sich einige Dutzend Meter über ihr abspielte. Wie ein schlechtes Theaterstück. Hier unten war es spannender – es war auch gefährlich. Einige der mutierten Rattenarten hatten sich im Lau-fe der Jahrzehnte dazu entschlossen, eine Vermehrung ihrer Art zu kultivieren. Diese Kultivierung war gar prächtig gediehen, und so befanden sich inzwischen viele dieser ganz speziellen Spezies unter-halb der Stadt. Nun ja, sie hatte ihren Blaster und wusste ihn zu bedienen. Was wollten sie also die kleinen (oder manchmal eigentlich doch recht grossen) Nager, sie hatte auch Zähne.

Dieser Gedanke liess grimmige Trauer in ihr hochsteigen, drum lenk-te sie sich erst einmal von ihm ab, indem sie sich fokussierte. Eine Art mentales Training, ähnlich dem was der junge Mann zu Beginn dieser Geschichte bereits tat, um die Naniten in seinem Körper daran zu hindern, sein Fühlen zu übernehmen. Es half - ein wenig… Und nun? Sie war also dort unten, wartete auf ein Wunder oder etwas in der Art und war leicht verblüfft, als sie merkte, dass sie beobachtet wurde. Das Gefühl beobachtet zu werden, war in dieser Welt so all-gegenwärtig geworden, dass es ihr erst auffiel, als es zu spät war. Doch sie hatte Glück, der Beobachter schien ihr nicht feindlich ge-sonnen, sondern blieb einfach weiterhin dort stehen, wo er war, in einem Seitengang, einer kleinen Mulde in einer tiefer gelegenen Welt. Ihr Kater fauchte ihn nicht an – im Grunde genommen hatte sie den Eindruck, dass er die Gelegenheit nutzte ein Nickerchen zu machen, sicherlich eine der wichtigsten Hauptbeschäftigungen von Katzen im allgemeinen und ihrem Exemplar im besonderen – und so nahm sie all ihren Mut zusammen.

«Wer seid ihr», sagte sie auf altertümliche Weise höflich, eine Sprachform, die vom Untergrund verwendet wurde, weil sie auch von den Alten verwendet wurde und somit unverfänglich war, «seid ihr ein Freund?»
«Was ist Freundschaft, anderes – als ein Funkeln von Licht in der Dunkelheit?», antwortete der Mann mit einer brüchigen Stimme, die auf ein hohes Alter schliessen liess.
«Was soll das?», rief sie aus. Sie war etwas durcheinander und hatte keine Nerven für Spielchen.
«Nichts», nur dieses eine Wort – was war bloss los mit dem Typ?

Er machte keine Anstalten weiter zu sprechen, sie war nah dran, ihn anzubrüllen, da sagte er, «Komm!» und verschwand in diesem Sei-tengang. Neugierig, gleichzeitig auch leicht verärgert folgte sie ihm. Also doch keine Höhle, nur wieder ein weiterer Weg… Sie blieb in gebührendem Abstand von etwa zwei Metern zu ihm, immer bereit sich ihrer Haut zu erwehren, sollte der Mann sich doch als Bedrohung erweisen, was er jedoch nicht tat. Nach einigen Minuten erreichten sie eine Metalltür. Er griff in seine Tasche, die ihr erst jetzt auffiel und nahm einen ungeahnt grossen Schlüssel heraus, womit er die Türe aufschloss, bevor er ohne ein weiteres Wort zu verlieren hin-durch ging - schnell hastete sie hinterher.

Kaum hatte sie den Fuss über die Schwelle getan, wurde ihr Schwarz vor Augen, die Tür verschwand, der Mann verschwand, der Kater in ihrem Mantel verschwand, sie selbst fühlte sich, als würde sie ver-schwinden. Wie konnte sie nur so naiv und blöd sein, einfach dem erstbesten Fremden zu folgen, dachte sie noch, bevor sie für eine Weile nicht mehr dachte. Nur noch träumte. Sie traf in diesem Traum einen Mann, der vor nicht einmal einer Stunde in ihrer Wohnung ge-wesen war. Sie konnten nun endlich miteinander reden. Was sie erfuhr, verblüffte und erschütterte sie zutiefst.




Seine Aufgabe war es, den Fluss der Energie geradezubiegen, wenn dieser aufgrund der manchmal etwas impulsiven Gedanken der Men-schen aus dem Gleichgewicht kosmischer Ordnung gekippt wurde. In der letzten Zeit war dies umso wichtiger geworden, fürwahr, da jene, die sich rühmten, der Welt Ordnung zu bringen, dabei vergassen, dass die Welt nicht einfach nur das materiell ersichtliche mechanisier-te Gerät war, von dem sie massgeblich und in erster Linie sprachen. Die Welt war selbst eine Art Lebewesen, oder eher eine Geschichte! ja das erschien ihm richtig: die Welt war eine Geschichte, und es war nicht möglich, sich nur mit der Formatierung der Buchstaben oder der Grammatik zu beschäftigen, wenn man die Geschichte erzählen wollte. Nötig war das sicherlich – zu früheren Zeiten war es fürwahr nicht unbedingt besser, jedenfalls aus Sicht der Welt. Damals gab es vieles, was die Geschichte beinahe beendet hätte, bevor sie losge-gangen wäre. Atombomben schlummerten in tiefen Bunkern, nur darauf wartend, dass Elemente der menschlichen Gesellschaft, denen es nach Macht oder nach Zerstörung gierte – der Unterschied war nicht immer leicht auszumachen – sie ausgraben und die ganze Welt in die Luft jagen würden. Es wurde fürderhin viel Schindluderei ge-trieben, mit dem fragilen Gleichgewicht zwischen Mensch (Kopf), Pflanzen (Nahrung) und Tieren (Verbindung). Zugegeben, auch jetzt wurde nach wie vor viel Schindluderei betrieben, wenn auch in ande-ren Bereichen. Dennoch waren die Druiden keineswegs glücklich mit der aktuellen Situation. Die höher Schwingenden waren meist in ei-nem Zwiespalt gefangen, der es ihnen nicht erlaubte, mehr zu erschaffen, als einen stillen Protest gegen die Pragmatiker. Und die Pragmatiker verstanden nicht, warum irgendjemand etwas gegen Pragmatismus einzuwenden hätte. Beiden fehlte der tiefere Einblick in das Wesen der Welt. Beiden fehlte die Perspektive Chaos und Ordnung ausgeglichen betrachten zu können. Sie waren zu sehr ver-wickelt in ihrem Treiben, das sie fürwahr, als etwas unglaublich Wichtiges erachteten. Die Druiden hatten es nie für nötig befunden, der Menschheit diese Dinge erklären zu wollen. Es gab einmal eine Gruppierung, die sich selbst Illuminati nannte (die Erleuchteten! was für eine absurde Bezeichnung, fürwahr!), die versuchten, die breite Masse aufzuklären. Doch diese kurze Abweichung so gegen Ende des 17. Jahrhunderts kehrte alsbald wieder in die verschleierten Ränge des Druidentums zurück, als sie einsahen, dass die breite Masse das alles gar nicht wissen musste, nicht verstehen würde… und es aus-serdem die Geschichte genauso verfälschte, wie – der Druide schmunzelte – wenn sie allesamt einfach aufhören würden, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Heute war ein besonderer Tag. Die Wellen im Energiekreislauf hatten sich an diesem Tag in einem neuartigen Muster geformt, was darauf hindeutete, dass nun einiges ins Rollen kommen würde. Er hatte mittels Trance seinen Geist treiben lassen, und die Menschen vor seinem Inneren Auge visualisiert, die dabei eine gewichtige Rolle spielen würden. Was er sah, beunruhigte ihn nicht weiter. Er musste fürwahr das Geschehen nicht verhindern, darin bestand seine Aufgabe nicht, er musste lediglich dafür sorgen, dass die richtigen Entscheidungen – freiwillig – getroffen wurden. Freiwilligkeit war äusserst wichtig, oh ja! Bei der Frau direkt vorstellig zu werden, oder den Sicherheitsbeamten aufzusuchen, wäre eine Möglichkeit gewe-sen, doch sie hätten ihm nicht geglaubt, das sah er deutlich in ihrem Bewusstsein. ‚So deutlich wie eine Werbetafel’, wie sein alter Mentor nicht müde ward, zu erwähnen. Heute gab es keine Werbetafeln mehr – wofür auch, wenn alles durch diesen Chip gesteuert werden konnte, was die Menschen an Bedürfnissen brauchten. Es ging nicht darum, was er tun wollte oder konnte, sondern was die Welt – was die Geschichte zu erzählen hatte. Er war nur eine Figur in einem Meer aus Möglichkeiten. Seine Aufgabe war es, den anderen ihre Rolle näher zu bringen, damit sie diese spielen würden, auf dass die Welt nicht aus den Fugen geriet. Er tat das gern, denn auch er ist einfach nur Mensch. Und als solcher erfreut er sich an den kleinen Dingen im Leben. Der Gesichtsausdruck, den die Leute aufsetzten, wenn er ihnen marginale Einblicke in das Mysterium des Lebens gab, war einfach zu köstlich. Er war geradezu süchtig danach, fürwahr. Aber – darum ging es nicht. Es ging selbstverständlich einzig um die Welt.

Seine Vorhersehung sagte ihm, welchen Fluchtweg die junge Frau einschlagen würde und mittels einer Beeinflussung ihrer Traumwelt, hatte er in der Nacht zuvor die Weichen in diese Richtung gestellt. Oder zumindest angestupst, was bereits in ihrem Unterbewussten gespeichert war. Er nahm keinen Einfluss auf ihre Entscheidung. Die-se blieb ihrem eigenen Bewusstsein vorbehalten. Das war sehr wichtig. Aber er konnte ihr Hinweise geben, und es war ihm sicher-lich erlaubt, die eine oder andere Möglichkeit in Form eines Traumes zu übermitteln. Da war nichts weiter dabei, fürwahr. Als er sie denn traf, dort unten in diesem Rattenloch, wartete er bereits eine ge-schlagene halbe Stunde. Eines dieser niedlichen Tiere, betrachtete ihn zwischenzeitlich als Snack und wurde mit dem Gefühl tief emp-fundener Loyalität, zu dem im Normalfall nur Haustiere, wie der Kater der jungen Dame, fähig waren, wieder fortgeschickt. Es hatte schon so seine Vorteile, ein Druide zu sein.

Vor einigen Jahren war er in den Bergen auf der Suche nach Materia-lien, Steine, Wurzeln, Quellwasser, was er brauchte um seine Studien zu vertiefen, bereits auf den Sicherheitsmann getroffen. Er dachte dort schon daran, ihn schliesslich auszubilden und als Lehrling in die Künste des Druidentums einzuführen, denn der junge Mann war ei-ner der wenigen Menschen, die sich die Mühe machten, der Natur Achtung zu zollen, und nicht lediglich im vorbeihasten einen Blick auf sie zu werfen. Das heisst, die Fähigkeit schlummerte in ihm, und der Druide weckte sie ein bisschen, fürwahr, keine Einmischung nur eine Stärkung des Weges, den der junge Mann früher oder später sowieso eingeschlagen hätte. Er bedauerte natürlich, dass dessen Zeit als Mensch schon so früh abgelaufen war. Aber das war der Lauf der Geschichte, und da durfte er nun mal nicht hineinpfuschen. Das war wichtig. Es gab andere wie ihn. Und wie er erfuhr, war der junge Mann durchaus noch nicht fertig mit seiner Rolle.

Die junge Dame war ausser Atem und emotional aufgeladen, als sie bei ihm eintraf. Doch sie beruhigte sich schnell, eine Angewohnheit, die die Menschen um seinesgleichen herum des Öfteren zeigten. Sei-ne Masche, wie sein alter Mentor das genannt hatte. Er wusste nicht genau welche Masche damit gemeint war, aber sie schien aufzuge-hen. Er bedeutete ihr mitzukommen. Die Metalltür führte zu einem kleinen Raum, worin einige Putzapparate und Reparaturmaterial verstaut wurden. Bevor er sie öffnete, nahm er den Weltenschlüssel, und legte ihn aufs Schlüsselloch. Dadurch erfuhr die Tür eine Verän-derung. Äusserlich blieb sie in Etwa genau gleich, bis auf die unsichtbare Kerbe, dort wo der Schlüssel sie berührt hatte, doch in ihrem Wesen veränderte sie sich, dehnte sich aus, öffnete ein Tor hinein in eine der Welten, die um eines ihrer Atome kreisten. Der genaue Ablauf war dem Druiden bekannt, doch er mochte jetzt nicht darüber nachdenken. Wichtig war nur, dass sie ihm auch folgen würde. Der Kater musste jedoch hier bleiben, er war ihr Anker in dieser Welt und durch ihn konnten sie die Verbindung zurück wieder öffnen, sobald dies nötig wurde. Der Kater war einverstanden – allerdings bestand er darauf durch die Kraft der Wellen vor den Ratten beschützt zu werden. Das Überleben des Katers war für die Operation nicht zwingend notwendig. Aber es war nicht sinnvoll Vertraute zu opfern, insbesondere wenn es sich um ein Tier handelte. Die Verbindung der Tiere war sehr wertvoll. Umso mehr die der Haustiere, die eine starke emotionale Bindung zu den Menschen hatten, die sie dazu gebracht hatten, sich ihrer anzunehmen.

Wie bereits zu erahnen ist, klappte der Übertritt nicht ganz. Zwar sah er wie die Frau sich hinter ihm auf der Graslichtung materialisierte, zu der sie nun kamen, doch sie war ohnmächtig. Offensichtlich hatte ihr Bewusstsein noch ein Rendez-vous. Der Druide prüfte ihre Lebensfunktionen, danach machte er sich daran Feuerholz zu suchen und aufzuschichten. Während der Rauch des Feuers sich mit seiner eigens entzündeten Pfeife vermengte, dachte er an die Welt, und wie reichhaltig sie doch war. So viele Welten in den Welten. So viele Möglichkeiten. Er war glücklich, diese Aufgabe zu tragen. Fürwahr, es gab nichts Schöneres als sich um das Gleichgewicht zu kümmern.



Der Kontrolleur erzählte dem jungen Mann von der Welt, während die anderen Erfahrungen machten, von denen sie nicht zu träumen gewagt hätten, als sie sich am Vorabend ins Bett legten, um einfach wieder einmal zu schlafen. Der Schlaf kam auf leichte Weise zu ih-nen, denn sie hatten am Tag zuvor keine derart aufreibenden Erlebnisse, waren in gewohntem Gang ihrem Leben nachgegangen und so träumten sie von ihrer Sicht der Welt – und die Welt träumte von ihnen.

Doch nun stand der junge Mann hier im Central Plaza, und dieser Kontrolleur redete davon, wie toll doch alles sei, wie schön organi-siert... doch nichts und niemand auf der Erde konnte frei sein, und zudem spürte er, dass ihm das Gespräch schon entglitten war, bevor es überhaupt begann, und so wuchs sein Zorn und seine Ohnmacht angesichts dieser Situation.

«Das also, junger Mann ist die Welt, so ist sie herangewachsen, und wir haben sie befreit, wir haben ihr den Frieden und die Harmonie zurückgegeben, deren sie solange entbehrt hat, und was sollte da gegen sprechen? Was nun, frag’ ich Dich?»
«ihr seid nichts weiter als Unterdrücker», sagte er, bevor der Kontrol-leur ihn unterbrach, natürlich nur wieder eine Taktik dieses gerissenen alten Mannes, sie hörten nicht zu, sie konnten wahr-scheinlich gar nicht zuhören, und als er zum wiederholten Male unterbrochen wurde, um mit irgendwelchen nichts sagenden Parolen ruhig gestellt zu werden, da brach der Damm, der Zorn sprudelte aus ihm heraus und so sagte er, mit einer Stimme, die sich überschlug:

«Schweigt! Schweigt, nun endlich und hört mich an, ihr der ihr nun seit Stunden redet, und doch nichts sagt! ihr der uns alle benutzt und verwendet für eure Spiele, für dieses Nichts einer Welt, die ihr er-schaffen habt! ihr Kontrolleure! ihr Beobachter! ihr seid Teufel und ihr habt die Welt zerstört, ihr habt sie kaputt gemacht, ihr habt der Menschheit genommen, was die Menschheit ausgemacht hat! ihr habt sie mittels dem vernichtet, was sie überhaupt erst erschuf!
Ihr nahmt unsere DNS, nahmt sie wie ein verrückt gewordener Gott, seine Würfel packt, nahmt sie und dann habt ihr sie aufgeschnitten in zwei Hälften – in der einen, all das Gute, Schöne, Lebendige, Krea-tive und Reiche, in der anderen all das Bornierte, all das Flache, Farblose, Bedeutungslose, Geformte und Verbrauchte zurückblieb, und ihr schmeisst einfach die eine Hälfte weg und nehmt die andere um uns zu formen, damit wir schön brav und still dasitzen, arbeitsam euren Zwecken dienen, euch zu Privilegien, von Nahrung bis hin zu solchen Räumen verhelfen. Wir sind nichts weiter als Maschinen in euren Augen und nun dank eurer gnadenlosen, unmenschlichen For-schung auch noch in unseren Genen.
Wann immer sich in unserem Inneren ein Gedanke ein Gefühl formt, das sich gegen diese Starre stellt, schaltet sich der Chip ein und überflutet diese Pflanze bevor sie überhaupt gekeimt ist. Und ihr be-sitzt sogar noch die Frechheit zu behaupten, ihr hättet die Welt irgendwie gerettet, was ist das bloss für eine bösartige List, die ihr euch da ausgeheckt habt?
Die Welt möchte lachen und weinen, sie möchte fühlen und lieben, sie möchte erschaffen und erneuern, sie möchte leben! Versteht ihr denn nicht, was ihr den Menschen angetan habt? Versteht ihr denn nicht, dass wenn jeder nur noch lebt, um als ein Roboter von links nach rechts zu drehen, aber nie nach vorn, nie zurück, dass dann nichts bleibt von deren Leben? Dass sie genauso – meine Zeit – Tot sein könnten, weil sie ja doch nicht leben?»

Hier nun setzte er eine Pause ein, denn es erforderte Kraft in er-boster Weise mit anderen zu sprechen. Und diese Kraft kam zwar zum Teil aus der Wut und dem Zorn, war jedoch allzu schnell ver-braucht, wie der Benzintank eines Automobils. Der Kontrolleur rieb sich am Kinn, und war etwas verwirrt, den Teil mit den Robotern verstand er nicht... und wieso dieser hier die Duldsamkeit, die Tu-gend, die Arbeitsmoral, die sie den Menschen mittels der Gentechnik eingepflanzt hatten, derart negativ bewertete, ging über seinen Kopf hinaus. Er wollte es beinahe als eine Verirrung im Denken des Jun-gen abtun, doch da war etwas, das ihn tatsächlich berührte. „Die Welt möchte lachen und weinen“.

Hm, konnte sie doch? Oder nicht? War es etwa nicht möglich, zu Lachen in dieser Welt? Auch das Weinen sollte durchaus drin liegen. Doch während er noch darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass es nicht wirklich ein Lachen war, wenn die Menschen „amüsiert lächelten“, wie es vom Chip in den richtigen Situationen durchaus gewährt wurde. Ja aber, das allein konnte doch nicht der Grund da-für sein, dass die Uneinsichtigen ihr Leben derart in Gefahr brachten!
Es mochte ja sein, dass gewisse Konzessionen gemacht werden mussten, die Kunst hatte die Menschen stets verwirrt, in der Literatur konnte jeder x-beliebige Schreiberling seine seltsamen Weltsichten verbreiten, und das Resultat war stets Entzweiung, Streit unter den Menschen, wo doch Klarheit erforderlich war, um effizient zu sein, um aus dem Planeten etwas zu machen. Was waren denn schon ein paar lächerliche – ja teilweise sogar schmerzhafte Gefühle, im Ver-gleich zu einer Welt in der jeder seinen Platz hatte?

Er wusste noch wie sein Bruder damals geschrieben hatte, „ich habe keinen Platz in dieser Welt“ – bevor er sich mit der Waffe ihres Va-ters erschoss, war das denn wünschenswert? Die Erinnerung an den Selbstmord seines Bruders kam in den Gedanken des Kontrolleurs hoch... Und wie jedes Mal umfassten diese Gedanken bald all sein Fühlen. Er war nun seinerseits zornig, war zornig auf seinen Bruder, war zornig auf die Leute, die nicht begriffen, wie schmerzhaft es war, seinen Platz nicht zu kennen. Und er war zornig auf diesen Unein-sichtigen, der die Frechheit hatte zu behaupten, dass es nicht der richtige Weg sei, den Menschen ihren Platz zu zeigen. Der offensicht-lich von Barmherzigkeit noch nie etwas gehört hatte, von Nächstenliebe, und innerem Frieden. Dass man den Menschen helfen musste! Und wenn es ihre Freiheit kostete - die ja doch nur darin bestand ihre Zeit mit Büchern zu vergeuden, worin Dinge standen, die sie nur noch mehr verwirrten - so kostete es eben ihre Freiheit.

Derart in Rage gesteigert, schrie er nun seinerseits auf den Unein-sichtigen ein, der von dem, was ihm der Kontrolleur nun an den Kopf warf, nicht mal die Hälfte verstand. Denn beide redeten vom Gleichen, und doch von zwei völlig unterschiedlichen Dingen, denn sie sahen die gleiche Welt, aus unterschiedlichen Augen. Doch sie erkannten dies nicht. Sie erkannten nicht, wie sehr sie von ihrem Erlebten beherrscht wurden, von ihrer Erziehung, von ihrer Genetik, aber auch von dem was Sigmund Freud damals erfand. Ihrem Ego, das nicht begriff, dass es hier nichts zu verteidigen gab, nur zu er-kennen gäbe, so es denn mal ruhig wäre.

Doch es war nicht ruhig, nein nicht das Ego dieser beiden, es be-mächtigte sich ihrer Stimmen und beide Egos dreschten aufeinander ein, wie es im Herbst auf den Plantagen viele Millionen von Men-schen mit dem Mais taten. Bei diesen Menschen war zu Beginn ihres Lebens das eine oder andere Gen verändert worden, sodass sie Freude hatten an ihrer Arbeit, sodass sie darin aufgingen, wie eine Blüte im Mai. Sie kannten kein Ego - sie kannten auch keinen Schmerz, und Diskussionen waren ihnen fremd.... Sie sangen fröhli-che Lieder, während sie den Mais in Rollen packten, und zurück in ihr Dorf fuhren, glücklich wieder einen angenehmen Tag unter der Sonne verbracht zu haben. Glücklich über ihr Leben.
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Re: Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

Kapitel 2

Es war so ruhig, wie nie zuvor in seinem Leben. Ansatzweise hatte er diese Ruhe erahnt, wenn er manchmal des Nachts in seinem Bett lag, und die Ziffern der Atomuhr langsam von 4 Uhr auf 4:03 Uhr wanderten, wenn sich die Zeit dehnte, wie eine zähflüssige Marmela-de, die langsam vom Brotrand auf den neuen Teppich tropfte. Es war nicht unangenehm, zumindest hatte er sich das Sterben doch etwas aufregender vorgestellt. So wie es aussah, war das schlimmste zu dem Zeitpunkt bereits überstanden, als seine Seele – oder was auch immer es war, was hier in diesem Leerraum „dachte“ – sich von sei-nem Körper restlos gelöst hatte.
Nun gut. Und jetzt? Himmelstore liessen sich auf die Schnelle nicht ausmachen. Auch sah er keine Schatten, die sich verdichteten, was unter anderem vermutlich daran lag, dass es hier keine Schatten gab. Er tat, was er in solchen Situationen immer tat, oder zumindest tun würde, wenn er des Öfteren in solchen Situationen gewesen wä-re, was er natürlich war, doch dieses Wissen eröffnete sich ihm noch nicht. Er lehnte sich zurück und wartete ab. Als eine Minute nach nächtlicher Vier-Uhr-Zeitrechnung verstrichen war, begann sich seine Seele dem Kosmos zu öffnen. Er merkte, dass er nun nach Hause kam. Oder zumindest gehen konnte, denn irgendwie, war da noch eine andere Option. Es war für einen Sicherheitsmann wichtig, sich seiner Optionen bewusst zu werden, und diese Eigenschaft verhalf ihm nun dazu, sich der vorliegenden Situation vollends bewusst zu werden, wo die meisten Menschen – oder Seelen – vermutlich nur zu froh gewesen wären, wieder nach Hause zu kommen.
Diese andere Option bestand darin, wieder auf die Erde zurückzukeh-ren. Nicht im Sinne einer Reinkarnation (nicht dass ihm dieses Wort viel gesagt hätte) sondern in Form eines Geists. Oder so ähnlich. Jedenfalls war das eine wirklich interessante Sache, und alles was er tun musste, war sich auf die Erde zu konzentrieren, und da die Erde, und die Erinnerung an seinen Feststofflichen menschlichen Körper fest verbunden war, mit der Dame seines Herzens – die ihm selbiges weggeschossen hat, aber wir wollen ja nicht über die Massen klein-lich sein, süss war sie jedenfalls. Nun deshalb kam er in Gedanken zu ihr, was sich aufgrund ihres gerade stattfindenden Übertritts von einer Dimension in eine etwas kleinere, dazu führte, dass sie sich – statt sich wie vom Druiden vorgesehen, in ihrem Körper zu mani-festieren – nun ebenfalls in dieser Zwischenwelt wiederfand. Sie war etwas erstaunt, hier auf den Mann zu treffen, den sie erschossen hatte. Vielleicht sogar noch etwas mehr, als nur erstaunt. Er hatte seiner Erinnerung freien Lauf gelassen und war daher fähig, zu ei-nem leuchtenden Spiritualkörper zu werden, der in Etwa so aussah, wie er, als Mensch es heute Morgen getan hatte. Vielleicht auch noch eine Spur besser, als heute morgen. Aber so genau hatte sie ihn nicht angeschaut, als sie vor ihm flüchtete. Und ihn erschoss… das nagte an ihr. Jedoch weniger, als es das vermutlich getan hätte, wä-re sie in ihrem Körper hier gewesen, denn die dafür notwendigen Drüsen und Hormone waren gerade nicht zurhand. Seelische Psycho-logie war kompliziert, aber dennoch, sie hatte ein schlechtes Gewissen – sein strahlendes Lächeln schien dieses noch anzufachen.
Aus diesem Grund war ihr Spiritualkörper leicht rötlich und flackerte auch etwas, während er in strahlendem weiss vor ihr in diesem un-beschreiblichen Nichts schwebte.
„Sei gegrüsst, es freut mich, Dir von Angesicht zu Angesicht gege-nüberzustehen“.
Was war das denn für eine geschwollene Ausdrucksweise?
„Es verwirrt Dich vermutlich hier zu sein, Du kannst mir glauben, es war auch für mich erst verwirrend“
Ausgezeichnet, er tat so als hätte er eine Ahnung davon, was hier abging, dabei war ihr sonnenklar, dass dies nicht der Fall sein konn-te. So lange war er nicht tot, oder? Diese Gedanken äusserten sich visionär darin, dass sie rote Blitze von sich gab, die leicht grünlich schimmerten. Dies schien ihn zu verwirren. Gut.
„Du musst nicht böse auf mich sein, immerhin hast Du mich er-schossen“, er biss sich auf die Lippen, „entschuldige, dass sollte kein Vorwurf sein“.
„Du hast gut reden!“, ihre Farbe änderte sich zu einem tiefen Kö-nigsblau, während sie imaginäre Tränen weinte, „ich wollte das nicht, ich – wie konnte ich das nur tun“.
Er liess sie eine Weile schluchzen, bevor er zu ihr schwebte, eine der köstlich unrealistisch aussehenden Tränen wegwischte, und sie küss-te.
Es dauerte eine Weile, wie lang liess sich hie nicht wirklich feststel-len, bis sie sich voneinander lösten. Eine Seelenverschmelzung dieser Art war eher selten, insbesondere, wenn einer der beiden tot war. Aber es kam vor. Eines der Mysterien des Lebens, wie der Druide gesagt hätte. Den beiden war natürlich nicht bewusst, dass ein sol-cher Kuss weitaus schwerwiegendere Folgen haben würde, als dies bei der feststofflichen Variante der Fall war. Der Körper schuf eine Distanz, die bei einer direkten seelischen Verschmelzung dieser Art gar nicht erst überwunden werden musste, einfach da war, und dazu führte, dass ihr Lebensweg fortan miteinander verwoben sein würde, wie ein Kashmirteppich aus Pashmina-Wolle.
Das, was sie jedoch zutiefst erschütterte, war das Wissen, das bei diesem Kuss ausgetauscht wurde, dem letzten Kuss, den die beiden vorerst haben konnten. Sie erfuhr von den Bergen, erfuhr davon, wie es möglich war, dass er – ein Angestellter des Systems, jemand der zu ihren erklärten Feinden gehörte, viel freier sein konnte, als ihres-gleichen es jemals gewesen ist. Sie war erfreut, traurig, und glücklich zugleich.
Als ihr Körper nach ihr rief, sie wieder zurückzog, wie es die Art von Körpern ist, solange die Verbindung nicht durch den Tod getrennt wurde, seufzte sie schwer und sie blickte ihm noch lange nach, so-lange, wie es nur ging. Als sie ihre Augen öffnete, blendete sie Sonnenlicht und der Duft von gebratenem Fleisch hing in der Luft. Der Druide begrüsste sie freundlich, und so wachte sie auf.


Währenddessen war die Diskussion der beiden Kontrahenten etwas erschöpft. Beide hatten ihre Sicht der Dinge dargelegt, beide waren etwas ausser Atem. Sie hatten einander versucht zu erklären, warum die Welt, so war und warum das gut oder schlecht sein sollte. Doch keiner schien den anderen zu begreifen. Sie hatten es sich inzwi-schen auf einem der Sofas aus weissem Leder bequem gemacht, und waren genügsam damit beschäftigt, Kekse zu essen, die ihnen ein mechanischer Butler vorbei brachte. Ihre Stimmung war inzwischen eher durchzogen, und so knabberten sie lustlos an ihren Keksen. Der Jüngere machte nun wiederum einen Anfang, indem er fragte, ob es denn keinen anderen Weg gäbe, als den der Unterdrückung. Der Ältere war nicht unbedingt der Ansicht, dass man hier von Un-terdrückung reden konnte, doch seine Streitlust war verflogen.
«Dieser Einwand erinnert mich an einen Professor an der Universität von Götheburg. Dieser war schon früh zu den Schlüssen gekommen, die Du mir hier wortgewaltig darlegst. Zu dem Zeitpunkt, als unsere Pläne Form annahmen, formulierte er mehrere Hetzschriften im In-ternet, worin er sich dagegen wehrte, dass die Freiheit des Willens abgeschafft werde, wie er es damals formulierte. Seiner Ansicht nach gab es nur dann eine funktionierende Gesellschaft, wenn die Freiheit des Volkes gewahrt bliebe, was am besten zu erreichen wäre, wenn jeder ein Minimum an Geld vom Staat bekäme, ungeachtet seiner sonstigen Einkünfte. Dieses Minimum würde ausreichen, die Grund-bedürfnisse zu stillen, alles was darüber hinaus ging, wäre dem Inneren Antrieb des Menschen unterworfen, etwas zu schaffen. Er ging davon aus, dass die Manipulation menschlicher Gene gar nicht nötig wäre, weil es uns in die Wiege gelegt sei, dass wir mehr schaffen wollen, mehr erreichen, mehr tun. Zudem glaubte er, dass jeder Mensch von dem Inneren Drang beflügelt wäre, zum Wohle der Allgemeinheit zu leben. Unsere Organisation sei eine Schande für die Menschheit, weil sie nicht erkenne, dass unser Tun überflüssig und allerhöchstens schädlich für das Zusammenleben sein konnte.»
«Wo er Recht hat, hat er Recht.»
«Wir haben diesen innern Antrieb in unseren Forschungen nicht fin-den können, wir haben danach gesucht, glaube nicht, wir wären nicht gründlich vorgegangen, als wir eine neue Weltordnung planten. Doch, ja – durchaus, wir waren sehr gründlich und sammelten alle Informationen, die wir zu den Themen finden konnten, die eine Ge-sellschaft ausmachen. Aber der innere Antrieb war immerzu der gleiche: Geld, Sicherheit. Du magst diese Ansicht nicht, und glaubst, es gäbe etwas, das über solchen Existenzial-Materialismus hinaus-geht. Du glaubst es gäbe Literatur, Fantasie, Kunst, die uns weit mehr beflügelt – doch nach unseren wissenschaftlichen Erkenntnis-sen, irrst Du Dich, und mit Dir all die Uneinsichtigen.»
«Was ihr nicht versteht, alter Mann – das ist der Wandel des Men-schen. Ihr glaubt, was ihr sagt, weil eure Väter euch dies lehrten, weil euer System es euch beibrachte, ja weil ihr Dinge gelesen habt, die irgendwelche von euch bezahlten Wissenschaftler heraus gefun-den haben wollen. Ihr seid wie ein Esel, der eine Karotte züchtet, die er sich danach vor die Nase hält», sagte der Jüngere
«Sind wir nun wieder bei den Beleidigungen angelangt?», fragte der Kontrolleur leicht amüsiert.
«Was habe ich schon zu verlieren? Mein Leben als Gefangener, in einer Welt, die mich nicht versteht, nicht akzeptiert, nicht will? Meine Freiheit, die gar nicht existiert?»
«Was mich schon immer an euch Widerständlern fasziniert hat», meinte dazu der Kontrolleur, «dass es nie die Ärmsten und Schwächsten waren, die sich über ein System ärgerten, sondern Menschen wie Du, Leute, die aus allen möglichen Berufen auswählen können, Leute, die Ausbildungen machen können, Leute, die tatsäch-lich etwas sinnvolles mit ihrem Leben anstellen könnten, und die einfach zu unangepasst oder gar aufmüpfig sind, um sich dem Leben zu stellen.»
«Kunststück, die anderen sind genetisch gar nicht mehr dazu in der Lage…»
Da unterbrach ihn der Kontrolleur, «ist das deine Ansicht? Dass es Menschen gibt, die nicht fähig sind, für sich zu denken?» - er stand auf, und begab sich zu einem der Monitore, die sich weiter hinten auf dem Plateau befanden. Er drückte einige Knöpfe, und es erschienen wiederum die Arbeiter, denen wir zuvor begegnet sind. Ein weiterer Knopfdruck und ihr Gesang erfüllte den Raum, übertragen von den Mikrofonen, die in den Wasserspeiern und Vogelscheuchen eingebaut waren, die auf den Maisfeldern verteilt waren.
«Du siehst hier genetisch veränderte Menschen. Ihre Aufgabe be-steht darin, Korn herzustellen, womit zum Beispiel die Kekse hergestellt werden, die wir vorhin assen. In früheren Zeiten war dies ebenfalls ihre Aufgabe – nur dass sie womöglich davon träumten, selbst einmal zum Mond zu fliegen, oder Bürgermeister zu werden, oder eine Revolte anzuzetteln um den reichen Grossgrundbesitzern einen Teil ihres Reichtums abzunehmen. Heute plagen sie keine solchen Gedanken mehr. Sie sind nicht mehr unglücklich. Sie haben keine Bedürfnisse, die sie sich niemals erfüllen können, Bedürfnisse die ihnen zeitlebens nur den Tod gebracht hätten, wenn sie dennoch versucht hätten, sie zu stillen. Sie haben nun wahre Freiheit, die dar-in besteht, ihr Leben zu geniessen, für ihre Aufgabe geeignet zu sein, und nicht – wie das früher oft der Fall war – körperlich eigentlich gar nicht dazu in der Lage zu sein, und es dennoch tun zu müssen.»
Der Uneinsichtige liess seinen Blick auf dem Monitor verharren, bevor er antwortete. «Was ist das für eine Freiheit, nicht selbst zu entscheiden, was ihnen gefällt – und stattdessen ein monotones Leben zu führen, das darin besteht, zu tun was wir von ihnen wol-len?»

Dem Kontrolleur entging nicht der feine Unterschied in der Formu-lierung seitens des Uneinsichtigen. Es entging ihm keineswegs, dass er nicht länger glaubte ein Kläger zu sein, sondern ein Mitschuldiger bei diesem grossartigen Spiel, das dazu diente, die Menschheit voranzubringen. Ein kleines Wort, das Wort „wir“ zeigte ihm dies. Und es erfreute ihn sehr.
«Die Freiheit besteht darin, dass sie nach wie vor denken, handeln, sich verlieben und heiraten, mit ihren Familien spielen und ihre Nachbarn grüssen – nur mit dem Unterschied, dass sie nicht ständig davon träumen jemand anderes zu sein.»
Der junge Mann war durcheinander. Natürlich musste er auf der Hut sein. Der Kontrolleur war ein gewiefter Hund, der schon seit Jahrzehnten diese Welt von oben herab betrachtete, Teil der Elite war, jener Handvoll, die die Früchte ihres Systems ernteten und ver-speisten. Aber dennoch hatte er hier einen wunden Punkt getroffen, im Bewusstsein des Uneinsichtigen. War er zeitlebens je so glücklich gewesen? Hatte seine Wahlfreiheit, die das System ihm aufgrund seiner Herkunft geschenkt hatte, ihn nicht eher verwirrt, ihm gezeigt, dass er gar nicht wusste, was er wollte? Nach der obligatorischen Schulzeit hatte er einige Zeit damit verbracht, sich bewusst zu wer-den, wohin sein Weg ihn führen sollte. Er besuchte die Akademie eher lustlos, und war alsbald von den Parolen der Widerstandsbewe-gung berauscht, die ihm endlich einmal eine Antwort gaben, auf Fragen, von denen er bislang noch gar nicht gewusst hatte, dass er sie sich stellte.
Natürlich lag das in erster Linie an ihr. Sie hatte eine derart neuartige Weltsicht, war so mutig und verwegen. Liess sich nicht formatieren, wie eine Datenspeicherplatine, nein sie war noch echt, war noch frei, sie zeigte ihm den Weg. Der offenbar nun endete. Aber immerhin, sie hatte ihm gezeigt, was es heisst, sich aufzulehnen, Stolz zu entwi-ckeln und sich nicht vom System gefangen nehmen zu lassen, erst befreit im Geiste, dann in den Genen, dann im Sein. Es war der rich-tige Weg. Nur… sich fangen lassen, gehöre nicht zum Plan. So dachte er jedenfalls. Doch was wissen die kleinlichen Menschen schon von Plänen? Was wissen sie davon, wie die Welt zusammen-gebaut ist und wie sie sich dereinst weiter entwickelt. Sie wissen wenig, diese Menschen, und selbst ihre Seelen wissen kaum mehr. Denn sie sind nur Teil der Entwicklung – nicht die Entwicklung selbst. Diesen feinen Unterschied merkte noch nicht einmal der Kontrolleur.
Auf einem anderen Monitor blinkte es, WARNUNG CODE 235, und noch bevor der ehemalige Student etwas tun konnte, stiess ihn der Kontrolleur beiseite und liess seine Finger über die Konsolen fahren. Eine Nachricht wurde abgespielt, und die beiden erfuhren von den Vorkommnissen des Morgens, von den Sicherheitsleuten, die inzwi-schen gefunden worden waren, und von der Flucht einer jungen Frau. Natürlich war es die Frau, die den jungen Mann damals zu ei-nem jungen Uneinsichtigen gemacht hatte. Das war vorauszusehen. Nicht vorauszusehen war jedoch die Reaktion des jungen Mannes. Nicht Sorge um ihr Wohlergehen überwiegte – nein, Wut, über ihre unbeherrschte Flucht. Wie konnte sie drei Menschen töten? Wie konnte sie glauben, zu entkommen? Doch entkommen war sie, und es war gut für alle Beteiligten, dass er nicht mitbekam, was ihre Seele zurzeit machte. Eifersucht hätte seine Sinne vollends vernebelt. Auch wenn er solcherlei Gefühle nicht als das bezeichnet hätte, was er sich zu seiner Freiheit wünschte. Doch manche Wünsche machen sich selbstständig. Und befreien uns dann, vor uns selbst…


«Guten Morgen», sagte der Druide. Der hatte echt Nerven! Was erlaubte sich dieser schmallippige alte Mann eigentlich? Erst entführt er sie zu einer Tür, wo sie sich von ihrem Körper löst, und nun... wo waren sie überhaupt? Sie blickte um sich und sah ziemlich hohes Gras – schon fast Baumstämmen gleich. Ein Feuer wärmte die etwas kühle Morgenluft auf, während die ersten Sonnenstrahlen durch die Blätter… oder Gräser, so genau liess sich das nicht sagen, hindurch-schimmerten. Ihr Lagerplatz war zweckmässig eingerichtet, sie lag neben einem Stein, der ihr Windschutz bot, während sich der Druide aus Schafsfellen eine Liege bereitet hatte. «Es freut mich, dass Du wieder zurückgekehrt bist» - Ah ha, er wusste also Bescheid. Hätte sie ja auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Ihr brummte der Kopf. Wie war es nur möglich, dass in so kurzer Zeit ihr halbes Leben vollständig durcheinander gewirbelt werden konnte. Na immerhin war sie nicht gefasst worden. Und nun war sie – ja wo überhaupt? Das hier war mit Sicherheit nicht ein Abwasserkanal oder eine Metrostation irgendwo unterhalb der Stadt… das hier… roch besser. Sie bemerkte auf einmal, wie sehr sie mit ihren fünf Sinnen wahrnahm, was um sie herum statt fand – das Sonnenlicht, der Grasduft, das Rauschen der Halme… Alles war so intensiv, als würde es von Innen heraus leuchten. Mädchen, Du wirst romantisch, sagte sie sich, und versuchte, sich wieder auf die vor ihr liegenden Dinge zu konzentrieren. Dies gelang ihr bewundernswert leicht, denn auch wenn sie das nicht wusste, so war ihre Genetik ebenfalls verändert worden, als sie noch ein kleines Krümelchen war. Sie hatte vermut-lich das wagemutigste genetische Programm in ihren Zellen, das die Kontrolleure in den letzten Jahren an ausgewählten Individuen vor-genommen hatten. Was sich der Kontrolle der Weltherrscher jedoch entzog war der Umstand, dass sie als keines Kind gegen ein anderes ausgetauscht wurde, und ihre besonderen Fähigkeiten, die in erhöh-ter Denkfähigkeit gründeten, somit nicht weiter untersucht und das Experiment mit dem Vermerk „gescheitert“ zu den Akten gelegt wur-de.
Zumindest war sie in der freien Natur und atmete eine leicht metal-lisch schmeckende Luft ein, was natürlich daran lag, dass sie sich in einer Metalltür befand, auf subatomarer Ebene. Doch diese Dinge sollten ihr verborgen bleiben, denn sie traute ihrem Begleiter nicht wirklich über den Weg. Na gut, sie war ihren Häschern entkommen, altem Mann sei dank, aber warum hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht? Was sollte das ganze? War dies nicht augenscheinlich nur wieder ein Test seitens der Kontrolleure? Oder konnte es sein, dass es noch andere Untergrundbewegungen gab, von denen sie nichts ahnte? Nein… ausgeschlossen, sie kannte alle Mitglieder der New Yorker Bewegung und es machte schliesslich keinen Sinn, sich der Gefahr auszusetzen in einer anderen Stadt nach versprengten Mit-gliedern zu suchen, und überhaupt, was machte er da unten, in der Metro?
«Wo sind wir?», fragte sie während sie aufstand.
«Wir sind wo wir waren, und gleichzeitig sind wir auch weit davon entfernt.»
«Hast Du noch mehr kryptische Sprüche auf Lager?»
Sein Gesichtsausdruck liess sich am besten mit dem Wort verdutzt beschreiben.
«Hör mal, danke für die Rettung und alles, wirklich lieb von Dir, ich werde daran denken, aber ich war gerade, irgendwo im Nichts und habe mit einem Geist… – hm, und es würde mich durchaus interes-sieren, was das sollte, denn weisst Du, der heutige Tag war nun wirklich nicht unbedingt einer von denen, die ich in meinem Tage-buch mit Sternchen und Herzen schmücken würde!»
«Junges Kind, ich…»
«Ich bin weder jung – noch bin ich ein Kind! Ich bin 23 Jahre alt, und ich bin keineswegs der Ansicht, dass Dich das was angeht! Was willst Du von mir, was machen wir hier? Wo sind wir?»
Der Druide raffte die Schultern und rückte sein Kuttenartiges Gewand zurecht. Es war in einem sehr stilvollen Dunkelolivegrün gehalten, das leicht schimmerte, wenn sich Sonnenlicht darauf reflektierte. Eine goldene Kordel hielt das ganze in Form.
«Du bist aufgewühlt, denn das Schicksal hat sich erhoben, und sich Deiner angenommen, das Schicksal ist nicht benennbar, doch es umgibt uns, wir sind hier in einer anderen Welt und diese Welt lebt in der Welt, aus der wir kommen…»
«Stopp, hör auf mir solche Märchen aufzutischen. Du gehst mir auf den Geist, ich bin kein kleines Kind, das sich von einem alten Weisen herumschubsen lässt, was immer Du glaubst zu sein – ich gehe», sagte sie und machte sich auf den Weg durch das Gras.
Der Druide rief ihr noch hinterher zu warten, er sammelte nur noch schnell seine Schafsfelle auf, und eilte ihr nach, doch das Alter hatte seinem Körper bereits zugesetzt, und es war ihm kaum möglich der flinken jungen Frau hinterherzueilen, die bereits ein gutes Stück Weg hinter sich gebracht hatte. Gerade erreichte sie eine Hügelkuppe, da erschienen drei Reiter auf seltsamen Pferden, die eher wie eine Art Schwein aussahen. Die Reiter waren dunkel gekleidet und schwangen jeder eine Bola, die gerade als der Druide eine Warnung rufen wollte, von deren Händen flogen und sich um die Beine der Frau wickelten.
Sie fiel. Hart.
Die Reiter waren schnell heran, lasen sie auf eines der Reittiere und eilten davon.
Der Druide erreichte die Hügelkuppe und sah auf ein weites Tal hinab. In der Ferne sah er Rauchschwaden, die auf eine Ansiedlung schliessen liessen. Er wusste – in der Theorie, mein Gott! – dass es möglich wäre, dass auf einzelnen Atomen Lebewesen lebten, aber doch keine Vernunftbegabten, die sich mit der Zurichtung von Tieren auskannten! Wo waren sie bloss gelandet? Wie war so etwas nur möglich, das überstieg doch nun wirklich die Möglichkeiten des Kos-mos, Zufälle zu erschaffen.
Aber er machte sich nur etwas vor. Natürlich wusste er, dass dies durchaus möglich war, ja sogar sehr wahrscheinlich, wenn man ge-nauer drüber nachdachte. Die Geschichte musste sich so entwickeln, es war vorherbestimmt. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wer der Autor war, und was er mit ihnen noch alles vorhatte.
Um nicht seinerseits gefangen zu werden wanderte er etwas zurück, und versteckte sich auf seinem Weg so gut es ging im Laub und den Gräsern, während er den Reitern folgte.


Einige Zeit später materialisierten sich drei Geister mitten in der Feu-erstelle. Diese war inzwischen heruntergebrannt. Einige Ascheflöckchen wirbelten auf, ansonsten liess sich die Ankunft der Sicherheitsbeamten für die unbeteiligten Beobachter – eine Gruppe von Eichhörnchen, die mit sechs Beinen ausgestattet waren – nicht feststellen. Nur wer eine tiefe seelische Verbindung mit dieser Seele hatte, oder besonders darauf geschult war, die Nicht-Lebenden zu erkennen, vermochte sie in ihrem Spiritualkörper zu sehen.
Nachdem das Mädchen verschwunden war, umfing ihn wieder die Leere. Dann erkannte er auf einmal, dass jemand bei ihm war. Es freute ihn sehr, dass es sich dabei um seine Freunde handelte. Diese waren zu den gleichen Schlüssen gelangt wie er, und hatten sich bereits gefunden, bevor sie nun auch ihn in der Leere des Univer-sums ausmachten. Sie besprachen das weitere Vorgehen, und sein dringender Appell, der von seiner Liebe getragen wurde, liess kaum einen anderen Entscheid zu, als den, seiner Liebe nun beizustehen. Vergessen und Verziehen war, dass sie ihren Tod herbeigeführt hat-te. So etwas Spannendes hatten sie schon längst nicht mehr gemacht, vermutlich noch nie, während sie lebten, und bevor sie sich mit dem Ursprung vereinten, wollten sie noch eine Weile in der Welt aktiv sein. Ausserdem waren sie Freunde, und zwar gute – und Freunde hielten zusammen, wenn die Stürmischen Winde des Lebens über sie hereinbrachen. Dies war ein Wissen, dass sie nirgendwo gelernt hatten, ein überdimensionales Wissen, dass sich in jeder Seele manifestierte, sobald sie als menschliches Wesen geboren wurde.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie herausfanden, dass es noch andere Welten gab, als jene, aus der sie stammten, zudem waren sie äusserst verblüfft wie viele davon es gab. Sie erreichten dank der niemals endenden Verbindung bald die Metalltür, und es war ihnen klar, dass die Frau darin stecken musste – irgendwie. Wie genau, war ihnen eher nicht klar. Wir sprechen hier von praktisch veranlagten Männern, nicht von irgendwelchen Taschenphilosophen. Ihre Seele war geprägt von einem Leben, das sich aus Pragmatismus und Freude zusammensetzte und gute Angewohnheiten liessen sich nicht so schnell loswerden, auch wenn sie inzwischen Geister waren. Auch als Geister waren sie der festen Überzeugung gute Geister zu sein, und so, und ausserdem brauchten sie sich nun nicht mal mehr an seltsame Vorschriften zu halten, die ihnen den Spass verdarben. Sie konzentrierten sich also auf die Tür, den Ton angebend natürlich der neue Freund des Mädchens, und so sangen sie auf stille Weise ein uraltes Lied, worin Leben und Liebe sich zu einer gewaltigen Kraft verschmelzen konnten.
Der Kater betrachtete die Geisterwesen anfangs interessiert, denn wie wir alle wissen sind Katzen hochspirituelle Wesen, die mehr se-hen, als andere Wesen. Doch als sie zu Singen anfingen, machte er sich wieder daran seinen neuesten Rattenfang zu verspeisen. Auch Katzen waren praktisch veranlagt.
So gelangten sie zu dieser Welt in der Welt, manifestierten sich dort, wo sie lange Zeit gelegen war, und aufgrund der Anwesenheit ihres physischen Körpers die Umgebung mit ihrem seelischen Atem infi-ziert hatte.
«Und wo ist sie?», sagte der rote Geist, dessen Farbe auf seinen et-was übertriebenen Reinlichkeitssinn schliessen liess, dem er als Mensch nachgegangen war. Der Vorteil ein Geist zu sein, bestand für ihn darin, dass die physische Welt ihn nicht erreichen konnte.
«Hier ist eine Feuerstelle, also war sie vermutlich hier», meinte der blaue Geist, jener, der Vorschriften, aber auch Loyalität in Gross-buchstaben schrieb und sich stets bewusst blieb, dass es bei der ganzen Aktion darum ging, seinen Freunden treu zu sein.
«Ja ich spüre ihre Anwesenheit – fragt mich nicht wie», ergänzte der weisse Geist, der ganz in Liebe aufgegangen war, als er das müde Lächeln seiner Freunde sah, «aber ich weiss es einfach. Gehen wir mal da rauf.»
Als sie die Stelle erreichten, wo die Gesuchte entführt worden war, erfasste alle ein Gefühl von Zorn und Furcht. Sie wussten nicht ge-nau was los ist. Vor allem, da das Fühlen als Geist sich gänzlich vom menschlichen Fühlen unterschied, welches hauptsächlich von körper-lichen Funktionen bestimmt und gesteuert wurde. Sie jedoch fühlten, was die Seele des Mädchens fühlte. Und sie waren beklommen.
Auch sie sahen nun den Rauch der Ansiedlung, und da es langsam eindunkelte, die ersten Lichter, die von den Bewohnern in ihren Häu-sern entzündet wurden.
Die drei Geister machten sich auf den Weg zur Ansiedlung. Sie gin-gen geradeaus darauf zu. Dazwischen lag eine Höhle, und ihr Gespür für die Seele der blonden Frau liess ihren geraden Weg nach kurzer Zeit schräg werden, und in einem Bogen kamen sie schliesslich zu einem grossen Tor, das in den Fels hineingebaut schien.


Auch die beiden Männer machten sich auf den Weg. Sie waren beide aufgebracht, noch dazu aus denselben Gründen und das männliche Testosteron kannte für solche Situationen eine Antwort, die darin bestand möglichst viel Aktivität zu entwickeln. Während also Testos-teron und Adrenalin in ihren Geist eingespeist wurden, machten sie sich unter Führung des Älteren auf den Weg ins nächste Teslamobil und auf die Suche nach der Frau. Es wäre zu diesem Zeitpunkt si-cherlich ein etwas belustigender Gedanke für sie gewesen, hätte sie gewusst, dass sie zurzeit von sechs Männern gesucht und von einem Kater vermisst wurde. Allerdings hatte sie zu dem Zeitpunkt gerade ihre Aufmerksamkeit anderweitig gelagert und es war ihr daher nicht zum Lächeln zumute.
Das Teslamobil war eine der Erfindungen, die das Konsortium ziem-lich bald nach der Machtübernahme aus den Sicherheitsschränken kramte, worin die Pläne für derartige Wissenschaften seit Jahrzehn-ten gut behütet schlummerten. Die ganze Theorie war vollends ausgereift und es brauchte nicht viel Zeit sie in mechanische Wunder zu transformieren - nun da genug Interesse und Geld zur Verfügung stand. Die Wunder kamen vornehmlich den Oberen zugute, und so gesehen war es natürlich nicht unbedingt das, was Tesla damals be-absichtigt hatte, als er seine Tests durchführte. Aber es war ein Anfang. Und aller Anfang ist schwer. Danach geht es leichter. Und so konnten sich Heerscharen von Zivilisten bald ebenfalls über die eine oder andere Einrichtung freuen, die ihren Alltag versüssten.
Das Teslamobil steuerte die Wohnung der Delinquentin an, die sich erdreistet hatte, Dinge zu tun, von denen in den letzten Jahren wenig Informationen an die breite Öffentlichkeit gedrungen waren. So auch in diesem Fall. Die Verschleierungsabteilung hatte bereits alles Menschenmögliche unternommen, um die Sache unter Ver-schluss zu halten.
«All das wäre nicht passiert, hättet ihr nicht so einen drakonischen Staat entworfen», maulte der Jüngere gerade. Das passte dem Kontrolleur nun gar nicht, schliesslich war seine Geduld zurzeit etwas strapaziert und was wusste der Uneinsichtige denn schon von der Macht. Nun, er würde es ihm erklären.
«Du glaubst alles zu wissen, nicht wahr? Ich sage Dir jetzt mal et-was, und ich hoffe Du hörst gut zu. Es ist nicht leicht, an der Macht zu sein. Oh ja erspar mir diese blasierte Mimik, wir haben sie Dir so programmiert. Allerdings nicht zu dem Zweck uns in Frage zu stellen, sondern um sie jenen zu zeigen, die Dir mit leeren Versprechungen von Freiheit begegnen. Ich weiss nicht was an Deinem Genetischen Programm nicht stimmt, aber so war es jedenfalls nicht gedacht.»
«Klingt sehr überzeugend, muss schon sagen…»
«Hör auf rumzusäuseln, und hör zu. In dieser Welt in der wir leben, gab es unzählige Menschen, Meinungen, Ansichten und Nationen, die alle mehr oder weniger eines zum Ziel hatten: Streit. Was aber bringt das, wenn in den politischen Gremien jahrelang darüber disku-tiert wird, was nun richtig oder falsch ist? Wohin das Boot der Menschheit steuern soll? Was wir brauchten das waren Taten, mein Freund. Und keine Worthülsen. Wie aber wäre es zu erreichen gewe-sen, ausser durch Kontrolle? Hätten wir warten sollen, bis die Menschen von sich aus auf die Idee kämen, dass wir Harmonie benö-tigen? Wir hätten vermutlich seither schon drei Kriege geführt, wenn sich nicht einige Leute zusammengefunden hätten, um die Welt grundlegend zu verändern. Wir waren anfangs wenige, doch wir wurden mehr. All jene, die etwas zu verlieren hatten. All jene, die daran interessiert waren, dass es weiter ging, und nicht alle paar Jahre von einigen Verrückten zum endgültigen Stillstand gebracht wird..»
«Gratuliere! Ihr seid doch die Verrückten, und ihr habt den Stillstand gebracht!»
«Eben nicht! Was wir taten war, einige Formeln der Gleichung zu verändern. Wir gaben den Menschen wonach sie sich sehnten, Wohlstand, Zufriedenheit, ja sogar Glück und gleiche Chancen für alle.»
«Nur dass manche, wie Du, mehr hatten, als alle, so wie es schon immer das Problem mit euch Kontrolleuren war – nur dass ihr ver-mutlich etwas mehr Geld hattet…»
«Du kannst so viel vermuten wie Du möchtest, aber der Punkt ist: wir hatten Erfolg. Wir haben erreicht, wovon Generationen von Men-schen nur träumten. Wir haben eine Welt erschaffen, worin jeder seinen Platz hat, jeder glücklich ist, und jeder bekommt, was er ver-dient, wir haben definiert, was jeder verdient.»
Hier nun wurde dem jungen Mann bewusst, was mit dem Kontrolleur los war. Er glaubte tatsächlich was er sagte! Er war nicht blind ge-genüber den Tatsachen, sondern von seiner Arroganz verblendet. Statt auch nur die Möglichkeit zu erahnen, dass es noch andere We-ge als die des Konsortiums gab, ging er völlig in seinem Weltbild auf, dass er selbst mitgestaltet und erschaffen hatte. Er war ein Gefan-gener seiner Macht geworden, nicht nur seines Systems. Er stand soweit über den Menschen, die er befehligte, dass er völlig vergessen hatte, ein Mensch zu sein. Er war nicht länger von Sorgen geplagt, ausser jenen, die er sich selbst erschuf – erschaffen musste, um sich weiterhin lebendig zu fühlen. Und doch war auch er nur ein Rad des Ganzen. War nur einer von vielen, wenn auch ein Mächtiger.
Der Jüngere erlaubte sich ein wenig Mitleid mit dem alten Mann. Alt war er augenscheinlich. Selbst die modernste Technologie konnte das Altern nur herauszögern, nicht aber gänzlich verbannen. Der Tod war nach wie vor eine Konstante, und es erschien dem Unein-sichtigen logisch, dass der Tod der drei Sicherheitsleute den alten Mann an sein eigenes, irgendwann bevorstehendes Ableben erin-nerte. Er verstand nun dessen aufgebrachtes Reden. Der alte Mann fürchtete sich vor dem Tod.
«Sagt mir, Kontrolleur, was ist es, was ihr erreichen möchtet, was ist es, das ihr noch nicht erledigt habt?»
Die Weitung der Pupillen des alten Mannes war filmreif. Er be-herrschte sich, immerhin war er ein Kontrolleur, doch es gelang ihm nicht ganz. Dennoch war es beachtlich.
«Meine Aufgabe ist es der Menschheit Stabilität zu bringen. Es darf nicht angehen, dass alles was wir Menschen erreichen können, durch Zerstörung und Krieg vernichtet wird. Wir waren einstmals kurz da-vor ausgelöscht zu werden. Und das einzige was diesem Ziel noch immer im Weg steht, sind unzählige Zellen von Uneinsichtigen, die nichts weiter möchten, als die Harmonie in Frage zu stellen. Wir sind diejenigen, die der Menschheit Frieden gebracht haben, und wieso ihr das nicht einseht ist mir absolut unverständlich.»
Nun war es gesagt, die Katze war aus dem Sack. Der Kater nagte derweil weiter an einem Bein – die Ratten waren wirklich gross dort unten. Der Kontrolleur quasselte noch eine Weile weiter über seine Vision, seinen Frieden auf Erden, den er in seinem Inneren nie ge-funden hatte. Der ihm gezeigt hätte, dass nicht die Macht und der Einfluss auf andere das war, was sein Ziel erreichen würde. Oh hätte er nur einen kurzen Einblick in den Geist seiner Sicherheitsleute ge-winnen können, statt jetzt nur ihre toten Körper zu betrachten, und langsam den Zorn in sich zu kultivieren. Die Erde hätte vielleicht an-ders ausgesehen. Doch die Erde war grösser als ihre Teile und sie erfüllte jeden, und wurde von allen erfüllt. Sie war nicht traurig, nicht zornig. Sie tat was ihre Aufgabe war – sie existierte. Um all ihren Lebewesen, und den vielen Planeten in ihr, um all den Wesen auf diesen Planeten die Möglichkeit zu geben, ebenfalls zu existieren. Zu leben. Und zu sterben, wenn es an der Zeit war. In einem niemals endenden Kreislauf.

Die Sonne ging unter, der Mond ging auf, beschaulich leuchtete das Weiss eines Neutrinos auf eine weite Ebene, dieser Welt. Fast wie flüssiges Silber, legte sich die cremige Schicht aus Licht auf die Gras-halme, gab den Tieren der Nacht die Möglichkeit, ihre reflektiven Augen zur Sichtung von Beute zu nutzen. Der Druide war weit ge-wandert und erreichte gerade eine Stelle, an der ein hübscher kleiner Bach fröhlich plätschernd die Stille durchbrach und eine Atmosphäre von Frieden und Ruhe brachte. Der Druide war unruhig. Er musste das Mädchen unbedingt einholen, sonst... er konnte sich gar nicht Ausmalen was es für die Weiterentwicklung von Gaia bedeuten wür-de, wenn sie ihren Weg nicht gehen konnte. Dennoch ahnte er, dass nur wenn er selbst sich gefühlsmässig nicht durcheinanderbringen lassen würde, eine Chance bestand, dass er sie retten konnte. Um sich also etwas zu beruhigen, setzte er sich an den Bach und beo-bachtete, wie einige nachtaktive Libellen waghalsige Flugmanöver über dem Wasser ausführten. Schon faszinierend, wie das Leben selbst in diesen kleinen Tieren, milliardenfach kleiner, als ihre Ver-wandten in der Dimension der Erde, vorhanden war, und ihnen die Möglichkeit gab, zu wachsen, zu fliegen, sich zu paaren, eine Gene-ration nach der anderen. Eine gewaltige Anzahl - unvorstellbar viele dieser Libellen mochten schon über diesen Bach geflogen sein, man-che davon wurden von Fröschen verspeist, andere waren vielleicht abgestürzt, während sich die Planeten um sich selbst herumdrehten. Eine tiefe Ruhe überkam den Druiden, als er sich ins Bewusstsein rief, wie unendlich vielschichtig das Sein war, wie viele Möglichkeiten immerzu bestehen würden. Manche waren wichtig. Aber niemand war unentbehrlich - das Leben würde einen Weg finden. Gleichzeitig wurde ihm jedoch auch bewusst, dass für ihn die Wichtigkeit dieser Frau durchaus höchste Priorität hatte. Sein eigenes Leben, seine Daseinsform als der Druide der er war, war mit dem Lebensweg der Frau durchwoben. Es mochte kosmisch gesehen keine Rolle spielen - für ihn spielte es eine Rolle. Mit diesem Wissen, war es ihm nun möglich, nicht zwanghaft an ihre Rettung zu denken, wie noch vor wenigen Minuten, sondern sich einfach dem Leben hinzugeben, wie er es von seinem Mentor gelernt hatte. Das tun was richtig und nötig ist - mit Vertrauen auf Gaia - doch ohne Zwängerei.
Derart gestärkt machte er sich wieder auf seine Reise, die Grashalme wurden nun von einem echten Wald abgelöst, mit Bäumen, die in einer morastigen Landschaft herumstanden, wie Riesen, die eine Volksversammlung abhielten. Was mochten die Bäume hier miteinander besprechen? Waren sie nicht ebenso lebendig wie er selbst - wie die Libellen am Fluss? Ja das waren sie, und in ihrem langsamen Wachstum, ihrem langsamen Dasein, das so vieles ge-sehen hatte, welche Weisheit mussten sie inzwischen erlangt haben. Dem Druiden war wohlig warm ums Herz, und einer inneren Eingebung folgend, umarmte er den Baum, der ihm am nächsten war. Und er verschmolz geradezu mit dem Harzgeruch, dem Ra-scheln der Blätter und dieser festen unerschütterlichen Birkenhaut des Baumes. Energie floss von ihm zum Baum, vom Baum zu ihm, und alles was Gaia jemals erschaffen hatte, war bei ihnen in diesem Moment.
Für den Druiden hatte diese Verschmelzung einige positive Neben-wirkungen, die unter anderem darin bestanden, dass er sich die Nachtsicht von Katzen zu eigen machen konnte, sowie ein Gespür für die Seelen seines Lebenskreises entwickelte. Diese Fähigkeiten waren ihm natürlich auch sonst zu Eigen, allerdings nicht in dieser Ausprä-gung und Stärke. Was er brauchte waren Gefährten, mit diesem Gedanken im Kopf lief er also durch den Wald, und nun aufs Äusserste fähig Dinge zu erkennen, sah er das Tor bald nachdem er den Baum hinter sich gelassen hatte. Es war aus Efeu geflochten, wie es die Art der Elfenwesen war.
Die Elfen hatten die Erde vor einigen Jahrhunderten verlassen, als die neue Religion in Europa eine Gefahr für sie wurde. In der alten Religion, der noch so illustre Gestalten wie Merlin und auch Saladin angehört hatten, war ein Austausch zwischen Menschen und Elfen stets möglich, von beiden Seiten gewünscht und seitens der Men-schen auch erhofft, denn die Menschen - nun sie waren Geschichtenerzähler und so stilisierten sie die Elfen zu einer Art von höheren Wesen, die ihnen Rat und Anleitung gaben. Und umgekehrt, da schmunzelte der alte Druide, umgekehrt waren die Elfen Spieler und Gaukler, die bei diesen Geschichten noch so gern die ihnen zu-gesprochene Rolle übernahmen. Sie halfen den Menschen mannigfaltig, unter anderem damit, dass sie ihnen Inspiration für das weitere Zusammenleben gaben. Die Menschen waren kriegerisch. Und die Elfen wollten ihnen das nicht wegnehmen. Sie fanden es zwar etwas sinnlos, ständig reinkarniert zu werden, nur weil irgend-ein König etwas mehr Land auf einer Karte sein eigen nennen wollte, aber da sie die tieferen Zusammenhänge der alten Religion durchaus verstanden hatten, sahen sie ein, dass die Menschen das offenbar irgendwie brauchten, um glücklich zu sein. Und welcher Elf würde denn dem Glück eines anderen Wesens im Wege stehen? Als jedoch die neue Religion anfing zu unterscheiden zwischen Hexen und Zau-berern, zwischen Gut und Böse, da war für die Elfen ein neues Zeitalter angebrochen, das sie mit wachsender Vorsicht, schliesslich mit Furcht betrachteten. Sie zogen sich zurück. Sie gingen hinein in die Welt, so wie es der Druide und das Mädchen getan hatten. Nur vereinzelt kamen besonders wagemutige Elfen hervor und liessen sich mit ausgewählten Menschen ein, liessen Shakespeare einen Sommernachtstraum und Lord Byron einen schaurig schönen Herbst erleben - auf dass die Menschen nicht völlig vergessen mussten, was die Elfen und sie einst verband. Die Gnome waren da schon etwas forscher und so durchzog sich die Literatur der Menschen für viele Jahrhunderte immer wieder mit Berichten von Gremlins, kleinen Geis-tern, Wichteln, Poltergeistern und vielem anderen mehr, und die Menschen, die sie sahen, waren des Herzens froh, und lebten oft ein Leben voller Liebe und Harmonie, wissend und verstehend, wie reichhaltig das Leben war, wie viel mehr es gab, als das, was die meisten Leute für real hielten.
Das Tor hätte aus einem dieser literarischen Werke stammen können - Narnia vielleicht - war aus Grashalmen zusammengesetzt, die den Efeu stabilisierten, und der Druide ging nun hindurch. Er befand sich nun in einer Art Tunnel, der am anderen Ende hell leuchtete, ein Feuer schien dort zu glühen. Während er durch den Gang schlen-derte, rief er sich ins Gedächtnis was sein Mentor ihm einst riet: «Lass ab die Gedanken, lass ab Dein Streben, lass ab, alles Weltliche und sei einfach so da, so wie Gaia Dich dahingeleitet hat. Oder haben wird. Oder vermutlich eher NICHT haben wird, weil naja, du siehst, es gab schon sehr, sehr lange keinen Austausch mehr, und ich wüsste nicht, warum sich das nochmals ändern sollte. Wohin die Elfen verschwanden, welche der Quadrillionen von Welten sie sich ausgesucht haben, das haben sie uns nie gesagt.» Sein Mentor wäre vermutlich erstaunt, hätte er gesehen, wen der Druide im Begriff war zu treffen. Doch er war schon längst zu Gaia zurückgekehrt, der Dru-ide war also auf sich selbst gestellt.
Nachdem er seinen Geist derart gereinigt hatte, öffnete sich vor ihm eine grosse Lichtung. Feuer glühte in Keramikschalen auf den Holzplateaus, die auf halber Höhe an den Baumästen befestigt wa-ren, verbunden durch Brücken, die schwindelerregend von einem Plateau zum nächsten führten. Hinauf kam man entweder über mehre Treppenstufen, die offenbar direkt aus den Bäumen heraus-gewachsen waren, wie flache Äste - oder über einen Seilzug. Überall waren Panflöten zu hören, und manches Gekicher liess sich ver-nehmen. Eine ganze Schar junger Elfenkinder hüpfte glücklich über die Wiesen, die auch im dunklen vom Mondlicht erhellt zu erblicken waren. Offenbar spielten sie ein Ballspiel, und kleine Metalltore stellten einen Bestandteil des Spiels dar. Erinnert mich irgendwie an Kricket, dachte der Druide.
Dann wurde er in Empfang genommen. Ein Elf mit ebenmässigen Zügen, und spitzen Ohren, wie es das Genom der Elfen für sie vorge-sehen hatte, kam auf ihn zu. «Seid gegrüsst, Weltenwanderer, letzter von wenigen, die ein solches Unterfangen begannen. Habt ihr Lust mit uns zu kommen, hinauf auf die Tannen?»
«Ihr versteht sicher gut, ich würde es tun, doch ist dieser Baum nicht eher 'ne Buch'?», sagte der Druide, wohlweisslich die Sprache der Elfen gebrauchend, um ihnen Freude zu bereiten - denn sie hatten es gerne, wenn die Menschen mitspielten, und sich nicht in griesgrämi-gem Selbstbehauptungstrieb übten.
«Ah ihr zaubert ein Lächeln auf meine Lippe, das gibts ja nicht kommt von Eurer Sippe, und weiss Bescheid, welch Buch und Baum sich hierhergetraun», sagte der Elf grinsend.
Zugegeben, es war nicht immer ganz einfach, herauszufinden, was die Elfen mit ihren Worten meinten. Aber was soll’s, der erste Kon-takt war hergestellt und er liess sich treiben. Nach einer schaukligen Fahrt erreichten sie das obere Blättergewirr und dort erwartete sie bereits ein Teekrug - denn die Elfen wussten früh, was in ihrem Wal-de vor sich ging, da brauchte es keine Kameras und Monitore wie auf Erden, sie spürten Wesen und ihr Schimmern weit. Ganz besonders wenn sich einer frech an einen ihrer Bäume heranmachte, also wirk-lich - viel gelacht wurde dort oben auf den Bäumen, und dem Druiden fiel ein Stein vom Herzen, von dem er trotz der Ermahnun-gen seines Mentors gar nicht gemerkt hatte, dass er dort sass.
Er erzählte ihnen nun von dem Mädchen und seiner überstürzten Flucht, und vermied es allzu genau auf sich selbst einzugehen, so sie ihn nicht fragten, denn allzuschnell war man der Ruhmsucht verfallen und wollte prahlen, mit welchen Pflanzen man das Wundfieber am besten zu kurieren hätte, statt einfach zu sein, und sich zu öffnen.
Sie sprachen bis tief in die Nacht hinein - dann wurde dem Druiden eine Gästebehausung gegeben, worin er ruhen mochte, auf dass er für den kommenden Tag gestärkt sei.

Das Teslamobil fuhr nun zum Ministerium für Überwachung, eine Institution, die direkt aus der Firma hervorgegangen war, die schon im letzten Jahrtausend die Kameras für Bahnhöfe, Regierungsge-bäude, Strassen und öffentliche Plätze gebaut hatte. Im Laufe der Kontrolle wurden die Kameras immer ausgefeilter und es waren technische Wunderwerke, die auf viele hundert Meter gestochen scharfe Bilder und sogar Töne aufnehmen konnten, was die Instal-lation von Wanzen mehr oder weniger überflüssig machte. Als ihm der Kontrolleur ihr nächstes Fahrtziel bekannt gab, merkte der Jün-gere an, wie toll er es fände, nun endlich in die Brutstätte des Teufels zu kommen. Dies liess den Älteren ein humorloses Lachen von sich stossen, wie wenn es eine Fliege auf dem Butterbrot wäre.
«Glaubst Du wirklich ihr wäret die ersten gewesen? Nein… ihr seid die letzten.»
Der Jüngere wusste nicht, ob der Kontrolleur das wirklich glaubte, oder nur eine seiner Parolen vom Stapel liess, dennoch liess ihn der Gedanke frösteln, zu gut wusste er, wie wenige sie waren, und wie beschränkt ihre Möglichkeiten, wie wenig sie in ihrem Wunsch er-reicht hatten, sich vom System zu lösen. Wären sie wirklich die letzten, es wäre fürwahr eine traurige Welt.
Der Kontrolleur erriet seine Gedanken und sagte: «Was ist denn ü-berhaupt euer Ziel? Was wollt ihr denn eigentlich erreichen? Wir hatten schon Unruhen, bevor Du auch nur daran gedacht hast, zu existieren. Dass war ziemlich am Anfang. Lange Zeit merkten die Menschen so gut wie nichts von unseren Bemühungen. Natürlich gab es Diskussionen über den Chip, natürlich gab es die einen oder anderen Verschwörungstheoretiker, doch all ihre Warnungen waren derart geprägt von ihrem Lebenswandel, der in erster Linie darin bestand, leere Bierdosen durch Bahnhofshallen zu kicken und sich in Wein-gesättigten Diskussionen, als Philosophen zu versuchen, dass kein vernünftiger Mann sie wirklich ernst nahm. Das kam unseren Zielen natürlich gut zupass, denn dank der bereits weit gediehenen Kontrolle der Medien waren wir in der Lage, das Bild einer heilen Welt, gegenüber der Angstmacherei der Verschwörungstheoretiker stets von neuem zu porträtieren. Ausserdem waren die Menschen nicht allzu gebildet. Was im Bereich der Genetik möglich war, das nun ja, glaubten wir selbst kaum. Nur einige Wissenschaftler hatten wirklich das Wissen über die Techniken, und diese Handvoll exzentrischer Forscher konnten wir für wenig Geld kaufen: nur eine Möglichkeit zu forschen, das war alles, was sie brauchten, um sich unserem Willen zu beugen.»
Der Jüngere war erstaunt über den missbilligenden Tonfall in der Stimme des Kontrolleurs. Offenbar hatte dieser einige Angewohnhei-ten in seinem Denken, die mit den heutigen Genetischen Programmen schon von Beginn weg ausgemerzt wurden. Er rief sich erneut ins Gedächtnis, dass der alte Mann noch im letzten Jahrtau-send geboren wurde, lange Zeit bevor die neue Welt Wirklichkeit wurde. Wiederum war es die Genetik, die ihn noch am Leben liess. Nichts anderes. Wie viel musste dieser Mann gesehen haben in sei-nem Leben. Ungewollt entwickelte er eine gewisse Ehrfurcht vor dieser schillernden Persönlichkeit.
«Aber schliesslich merkten sie es doch. Sie begriffen, dass die Kon-trolle bereits weit fortgeschritten war. Überall hatten wir Kameras, und ich meine wirklich überall. Es wird Dich erstaunen, dass damals fast jeder einen persönlichen Computer sein eigen nannte. Und diese Computer konnten überall hin transportiert werden. Schlecht für die Überwachung? Könntest Du denken, doch wir hatten zusammen mit der Firma unlängst Kameras entwickelt, die in diesen Computern, den Laptops wie sie genannt wurden, installiert waren. Hinter den Bildschirmen. Wir sahen also weit mehr, als jemals bekannt wurde. Und natürlich hatten wir das Internet fest in unserem Griff. Mächtige Computer durchforsteten alle Daten, die von Menschen darin einge-tragen wurden, und es wurde unglaublich viel eingetragen», der Kontrolleur rollte mit den Augen während er fast lächelte. Aber nur fast…
«Eine Gruppe von Informatikstudenten hatte Kontakte mit einer an-deren Gruppe, die sich nur die Dünkel nannte. Diese Dünkel waren äusserst kritisch eingestellt gegenüber den Überwachungstechnolo-gien. Es erstaunte die Geheimdienste, wie viel Wissen sie zusammengetragen hatten. Es war jedoch gleichzeitig auch so, dass sie das eher von einem politischen Standpunkt aus verurteilten. Sie hatten wenig Ahnung von den technischen Möglichkeiten. Das änder-te sich, als sie an mehreren Universitäten die Vereine der Informa-tikstudierenden unterwanderten. Und sie von der Gefahr überzeugten.
Diese Fusion führte schliesslich zu einer Kettenreaktion. Weltweit gingen ganze Universitäten auf die Strasse, davon überzeugt, dass alles was man sie lehrte nur dazu diente, die Menschheit zu unter-drücken. Je nach Land und Kultur wurde anders damit umgegangen, doch ich muss zugeben, dass wir tatsächlich nicht damit gerechnet hatten. Zwar waren die Bürger mehrheitlich noch immer der Ansicht, dass es sich hierbei nur um verwirrte Jugendliche handelte, die zu viele Drogen konsumierten.
Natürlich taten wir unser Möglichstes um die Grundhaltung der Menschen, die lieber in Sicherheit ihre tägliche Routine durchlebten, als einigen aufmüpfigen Jugendlichen ihre Gedanken zu opfern, wei-ter zu fördern. Dennoch bestand eine gewisse Gefahr, denn schliesslich brauchten wir auch die Jugend, und konnten nicht einfach darauf verzichten, diese zu überzeugen. Wir hatten zwar bereits mit der vereinzelten Implantation der Chips begonnen, waren jedoch noch nicht flächendeckend damit aufgetreten. Es war eine Zwischenzeit, alles stand auf der Kippe. Und natürlich hatten diese Jugendlichen auch Eltern… »
Hier schwieg der Kontrolleur für einige Minuten, während die beiden den Verlauf des Pfades im Auge behielten, den das Teslamobil genommen hatte. Einige Menschen gingen ihren mehr oder minder vorherbestimmten Wegen nach. Manche hatten Tragtaschen, andere Aktenkoffer, die sie wie kleine Schneckenhäuschen überall mit sich hinschleppten. Darin war, ähnlich dem Leben einer Schnecke, ihr ganzes Leben drin. Ein Leben, das von Zahlen, von Arbeit, von Routine und von Plänen bestimmt und geregelt war. Ein Leben, worin sie nicht träumten, jemand anderes zu sein, sondern glücklich und zufrieden damit, der zu sein, der sie waren. Sie hatten keine Bilder an den Wänden in ihren Büros. Sie kauften keine Blumen für ihre Geliebten. All dies war unnötig. War nicht pragmatisch. War hinderlich für die Produktivität der Menschheit, das Ziel weiter zu kommen, weiter zu forschen. Ohne Stehenbleiben. Ausser die Ampel stünde auf Rot.
«Mein Sohn war einer von ihnen», diese unerwartete Neuigkeit ver-schlug dem Jüngeren beinahe die Sprache. «Er hatte ein Studium als Informatiker begonnen, wie es vorgesehen war. Doch es war nicht vorgesehen, dass er sich diesem Abschaum anschliessen würde. Es war nicht vorgesehen, dass er meinen Computer hackte und emp-findliche Daten an die Untergrundbewegung weitergab. Er hat mich verraten», der Kontrolleur schlug aufs Armaturenbrett, bevor er sich wieder unter Kontrolle brachte. Der Jüngere schwieg wohlweisslich, manchmal war es besser zu schweigen, und andere ihre Geschichte erzählen zu lassen. Manchmal war es wichtig zuzuhören.
«Sie schmiedeten nicht einfach Pläne in irgendwelchen Kaschemmen, nein sie gingen hin und setzten diese Pläne tatsächlich um! Sie orga-nisierten sich – wie sie das hinbekamen, ohne dass wir eingreifen konnten, ist mir noch immer ein Rätsel, aber sie taten es. Und als erste Aktion traten sie weltweit in den Städten in Erscheinung, in lange, schwarze Mäntel gehüllt, das Gesicht mit Schuhcreme be-schmiert, sodass es für die Kameras sehr schwierig wurde, sie zu erkennen. Sie hatten keine Anführer. Sie hatten keine Ränge, nie-mand der als der grosse Organisator in Erscheinung trat. Die einen planten etwas, andere planten auch etwas, wieder andere waren nur Fussvolk, doch all diese Bezeichnungen wechselten – sie waren flexi-bel, aufs äusserte fähig, alle ihre Positionen stets wieder neu zu besetzen. Denn niemand erschien ihnen wichtiger als der nächste. Natürlich war mein Sohn wichtig, da er so direkt in Kontakt zu mir stand. Doch auch ohne ihn hätten sie einfach weitergemacht. Zumin-dest dachten wir das. Und sie wohl auch.
Denn mein Sohn war… speziell… das sagt wohl jeder Vater von sei-nem Sohn, doch in diesem Fall scheint es zu stimmen. Die Menschen vertrauten ihm blind, er war wie ein Leuchtfeuer, das die Fackeln ihres Herzens entzündete. Er hatte eine enorme Ausstrahlung, sicher-lich geerbt von seiner Mutter, die eine berühmte Schauspielerin war, zu dieser Zeit. Sie lehrte ihn schon als kleines Kind, aufzutreten, in Erscheinung zu treten, vorne hin zu stehen, und die Herzen der El-tern bei den Schulaufführungen im Sturm zu erobern. Die Studenten, sie liebten ihn. Die Dünkel… sie benutzten ihn. Dessen bin ich über-zeugt.»
Der Kontrolleur wirkte tief bewegt. Die Geschichte war noch nicht vorbei, das spürte der Jüngere deutlich.
«Sie griffen an. Wie? Nun sie hatten herausgefunden, wie ihre Computer manipuliert waren, sie sahen die Kameras. Sie zerstörten alles. In einer unvorstellbaren Koordination gingen sie auf öffentliche Plätze, versammelten sich, nahmen ihre Computer und zündeten sie an. Sie zerstörten danach alle Kameras auf diesem Platz, bevor sie ausschwärmten und sich die Kameras in den Bahnhöfen vornahmen. Natürlich griff die Polizei ein – auch andere… Doch diese Massnah-men waren nur der Auftakt. Am nächsten Tag waren die Gefängnisse zum bersten gefüllt mit Leuten, denen einzig vorgeworfen werden konnte, Vandalismus betrieben und sich gegen die Staatsgewalt gestellt zu haben. Und dann kam eine zweite Welle. In unserer Stadt war mein Sohn wie eine Galleonsfigur vor die Demonstranten gestellt worden. Sie kamen zum Platz der Freiheit. Dort hatten sie eine einzi-ge Kamera verschont. Mein Sohn stellte sich zusammen mit seiner Rotte vor diese Kamera und stellte die Frage, was unser Ziel sei. Wir könnten sie versprengen, fesseln, ja sogar erschiessen – doch diese Frage hätten wir zu beantworten.»
Der Jüngere nickte unmerklich. Diese Frage hatte er sich auch schon des Öfteren gestellt: was wollten diese Kontrolleure denn eigentlich?
«Wir liessen die Spezialeinheit auffahren. Meine Kollegen und ich verfolgten das Ganze in der lokalen Fernsehstation, unserer Basis, wenn Du so möchtest. Und dann... überstürzten sich die Ereignisse. So sagt man doch, nicht wahr?», der Blick des alten Mannes war leer geworden, und er wurde bleich angesichts seiner Erinnerungen. «Die Kamera war auf meinen Sohn gerichtet. Sein Blick wurde merklich zorniger, als er sah, wie wir ihnen begegnen würden. Wiederum keine Worte, keine Antworten, wiederum nur rohe Gewalt. Wir mussten das tun, es ging nicht so weiter, es durfte nicht sein, dass aus dieser kleinen, lächerlichen Revolution ein Flächenbrand wurde, der die Gesellschaft gespalten hätte. Nicht so kurz vor dem Ziel. Und sie hätten klein beigeben müssen, was hatten sie denn schon entgegenzusetzen? Mit Pflastersteinen und Bierflaschen gegen gepanzerte Einheiten vorzugehen, war schlichtweg dumm. Die Ein-heit fing an, die Jungen Leute einzukassieren.» Die Augen des Kontrolleurs fingen an zu glänzen, «doch mein Sohn war nach wie vor uneinsichtig. Und er wurde immer lauter in seinen Forderungen, da traf ihn eine Tränengaskapsel… mitten ins Auge… mein Sohn… sein charismatisches Gesicht, das mich so sehr an seine Mutter erin-nerte… wurde mit einem mal ein roter Punkt, aus seinem Auge floss eine Fontäne Blut… er… er stürzte, mein Sohn stürzte, einfach so.. vor diese Kamera, und blieb dort liegen. Mein Sohn starb an diesem Tag…»

Die Stille, die sich nun auftat, hätte der Stille kurz nach dem Tod gut Konkurrenz machen können. Nur das Getriebe des Teslamobils durchbrach sie mit monotonen Geräuschen. In sich gekehrt fuhren die beiden Männer weiter. Mit der Zeit fasste sich der alte Mann wie-der. Auch wenn er ein Kind der alten Tage war, so hatte er sich dennoch stets gut im Griff, auch ohne allzu viele chemische und ge-netische Hilfsmittel. Er erzählte dem Jüngeren nun, dass er hin und wieder an das Grabmal seines Sohnes ging, um einfach dort zu sein. Dabei dachte er nicht an damals, nicht an heute. Er war einfach dort. Legte die Hand, die bereits fleckig geworden war, vom Alter, auf die-sen Marmorstein. Und blieb dort, bis die Sonne unterging. Der Jüngere war erstaunt, wie offen ihm der Kontrolleur all dies erzählte. Wie lange war es her, da er es überhaupt jemandem erzählt hatte, das fragte er sich nun. Vermutlich sehr lange. An der Spitze war es einsam. Und wer eignete sich besser, als einer, dessen Leben in die-sem System sowieso verwirkt war. Doch welche Rolle ihm der Kontrolleur zugedacht hatte, das konnte er sich noch nicht ausmalen.
Nachdem sein Sohn gestorben war, hielten die Kämpfenden Inne. Ein Toter war ein Toter. Und das erschütterte die Zivilisten und Polizis-ten, die so etwas keineswegs geplant hatten. Es war eine Grenze überschritten. Dies spürten alle sehr deutlich. Und die Studenten zogen sich zurück. Gemäss den Untersuchungen des Geheimdiensts waren sie schlichtwegs zu erschüttert, und glaubten zudem, dass der Tod des Sohnes des Kontrolleurs ausreichen würde, wie wenn er ein Märtyrer wäre, um die Massen zu überzeugen, dass sich etwas tun musste, im politischen Bereich. Sie hatten sich verschätzt. Die Mas-sen waren nicht betroffen. Stumm schauten sie die Erklärungen seitens der Regierung im Fernsehen. Stumm öffneten sie ein Bier, und besprachen an den Stammtischen, dass es schon immer so ge-wesen sei, dass Unvernunft sich nicht auszahlt. Stumm waren und blieben sie. Denn sie hatten etwas zu verlieren. Sie waren reich ge-nug, um sich darum zu sorgen, und vernünftig genug, sich nicht weiter um solche Dinge zu kümmern. Als die Implantation des Chips schliesslich verordnet wurde, zeigte sich keine Besorgnis in der Bevölkerung. Die Stimmung war zusehends ergebener geworden. Die Menschen waren ausgeglichen und ruhig. Sie empfingen den Chip ohne Murren. Danach war es einfach.
Das was wir brauchen, das was wir geben - das sind wir.
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Re: Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

Ihre schwarzen Haare waren leicht gewellt und fielen in einer anmutigen Weise auf ebenmässige Gesichtszüge, worin nicht Strenge sondern Klarheit lag. Ihre Augen waren klein und sanft, blitzten von einer blauen Iris umrandet, wenn sie sich auf intelligente Weise umsahen. Sie war von schlanker Statur, gekleidet in einem schwarzen Overall, der ihr eine Aura von Gefährlichkeit verlieh, der durch ihren sportlichen Körperbau eher noch unterstrichen wurde.
Sie war sich ihres Äusseren bewusst. Das Training für die höheren Ränge hatte ihr diesbezüglich sicherlich geholfen. Doch im Grunde genommen war dies für sie nur Repetition. Sie hatte früh gelernt, zu erkennen, wenn Männer und auch Frauen sich aufgrund ihrer Ausstrahlung vor ihr zu verstecken begannen. Die Menschen spürten bei ihr eine innere Kraft, die von einem elfengleichen Gesicht porträtiert wurde. Vielleicht stammten ihre Vorfahren tatsächlich von den Elfen ab. Manche sagten, es gäbe Verbindungen zwischen den Menschen und dem alten Volk, bevor diese sich in eine andere Welt zurückzogen. Doch die Legenden verblassten mit der Zeit und waren seit mindestens 300 Jahren nur mehr als Märchen empfunden worden. Genetisch untersucht wurde sie natürlich. Mehrfach. Die Elite duldete in ihren Reihen keine möglicherweise gefährlichen Eigenheiten, die zu einem ungünstigen Zeitpunkt hervorbrechen und das ganze System in Gefahr bringen könnten. Doch was die Genetiker nicht schafften, war herauszufinden, wie die Menschen in ihrem Bewusstsein funktionierten. Immer wieder kamen auf diese Weise mental äusserst fähige Personen an die Macht. Personen, die ihre eigenen Agenden hatten. Personen, die das System auf eine Weise durchschauten, die den Kontrolleuren grosse Angst bereitet hätte. Es waren keine Uneinsichtigen. Eher das Gegenteil davon. Und sie alle strebten nach Einfluss. Den sie erhielten.
In Ihrem Fall war es für sie von Vorteil ihre Ausstrahlung, ja ihre Schönheit, für ihre Zwecke zu nutzen. Ohne dabei aufzufallen. Aus welchen Gründen auch immer: die Menschen, insbesondere die Frauen, waren der Ansicht, schöne Frauen hätten nicht das Zeug dazu, sich in den höheren Positionen zu halten, und dort Macht und Einfluss zu gewinnen. Ein Irrtum, wie sie sehr wohl wusste. Sie musste nur einigermassen ruhig sein, nicht gross auf die Pauke hauen, und siehe da, keiner würde erwarten, welche Fähigkeiten in ihrem Inneren schlummerten.
Der Kontrolleur hatte sich angekündigt. Bald würde er mit einem dieser verwirrten Kreativen hier eintreffen. Sie wusste was sie von diesen "Uneinsichtigen" wie sie von den Kontrolleuren genannt wurden, zu halten hatte. Immerhin war sie massgeblich daran beteiligt, die Nester auszuheben, oder - meistens - erst einmal eine Weile zu beobachten. Was sie dabei sah, rief in ihr ein tiefes Bedauern für diese armselige Parodie menschlicher Grösse hervor. Früher, ja da gab es noch Helden - heutzutage jedoch, schien es hauptsächlich schwache, kleine Fische zu geben, deren Heldenmut sich erschöpfte sobald sie eine Einladung erhielten. Sie lächelte - ein Lächeln, das ihr die Unterwerfung mehrerer Kontinente sichergestellt hätte - und freute sich über diesen Einfall, den sie vor einiger Zeit den Kontrolleuren, als einen ihrer eigenen verkauft hatte. Die Kontrolleure waren so leicht zu kontrollieren, sie hätte laut gelacht, wäre sie zurzeit nicht gerade im Beisein mehrerer Bediensteter im Kontrollraum des Ministeriums für Überwachung.
Einzig dieses närrische Mädchen, das am Morgen des heutigen Tages die Regeln gebrochen und Menschen getötet hatte, war eine Ausnahme unter den Aufständischen. Hochintelligent, wie es schien. Aber natürlich keine Konkurrenz für ihre überlegene, füchsische Schläue. Nein, das Mädchen einzufangen wäre nur eine Frage der Zeit - anschliessend konnte sie sich ihrer annehmen. Schliesslich war es schon lange her, da sie einen Menschen getroffen hatte, der nicht nur tat, was ihm seine Genetik befahl oder der sich in völliger Ergebenheit geradezu aufgelöst hatte. Sie brauchte mal wieder einen richtigen Gesprächspartner. Partnerin täte es auch. Und je nachdem...
Konzentration! Sie brauchte sich darum jetzt nicht zu kümmern. Zuerst galt es diesen alternden Kontrolleur wieder loszuwerden, und sein Karnickel irgendwo wegzusperren. Man könnte ja schon fast glauben, die beiden wären gute Freunde, wenn man hörte, was sie im Teslamobil so alles besprachen. Meine Zeit. Und so was kontrolliert diese Welt?
Sie schüttelte den Kopf - das Teslamobil erreichte soeben die Einfahrt. Einige Codes später, die völlig überflüssig waren und einzig der Verschleierung gegenüber den Kontrolleuren selbst diente, öffnete sich das drei Meter hohe Tor - Einschüchterung war wirklich eine feine Sache.

Der Kontrolleur und sein Gast kamen in einen Sitzungsraum, der aus dunkelschwarz gefärbten Fenstern mit einem Hauch von Chrom und einigen chromierten Stühlen bestand, die in einer gradlinigen Ordnung um einen passenden Tisch herum standen. Am Kopfende sass eine schwarzgekleidete Frau, die keine Anstalten machte, vor dem Kontrolleur irgendwelche übertrieben ehrgefällige Grüsse aufzuführen. Es war dem jungen Mann klar: diese Frau hatte Macht. Sein Hypothalamus war alarmiert und mittels Noradrenalin wurde ein Gefühl von Gefahr in seinen Metabolismus geschüttet. Da sein Körper jedoch zurzeit keine Möglichkeit hatte zu fliehen, erreichte ihn das Gefühl auf eine lähmende Weise, die seinen ganzen Verstand benebelte. So sagte er denn auch nicht viel, und liess sich von den Gesichtszügen der dunkel gekleideten Frau verzaubern. Sollte da tatsächlich Elfenblut durch ihre Adern fliessen, es wäre eine hübsche Begebenheit gewesen für ein Sonett. Nur dass heutzutage niemand mehr Sonette schrieb. Nicht auf dem Teil der Erde, der von den Kontrolleuren beherrscht wurde. Und so liess er die Schultern hängen, und liess sich in einen der Stühle fallen, wie es von ihm verlangt wurde.

«Das Mädchen kann nicht allzu weit gekommen sein», sagte sie und drückte einen Schalter, der offenbar im Tisch verborgen war. Ein Hologramm erschien auf dem Tisch, was nun auch erklärte, warum die Fenster so dunkel waren. Der ganze Raum war ein Vorführraum, wie ihn irgendein ausnehmend phantasieloser Erfinder getauft hatte, ein Ort worin mittels neuzeitlicher Technologie jedes beliebige 3D-Bild erschaffen werden konnte.
«Hier sehen wir eine Ansicht der Stadt, wir haben ihren Weg zurückverfolgt, bis sie in dieses Haus hier eindrang. Darin fanden wir eine ziemliche Unordnung, ansonsten jedoch keine Hinweise auf untergründische Aktivitäten. Unser werter Gast kann sicher später mehr dazu sagen», sie hob eine Braue, als sie das sagte, wie um anzudeuten, dass sie nicht wirklich daran glaubte.
«Vom Haus aus führt ein Weg in die Kanalisation, danach in die Metro. Die Pläne der Metro», sagte sie als sie mit einem violett gefärbten Fingernagel auf den Tisch tippte, «sehen wir hier.»
Nun polterte der alte Kontrolleur los, «was unternimmt das Ministerium? Wir erwarten Ergebnisse!»
Sie merkte, dass er offenbar etwas aufgebracht war, vermutlich aufgrund des Gesprächs der beiden im Teslamobil. Ach alte Menschen, schmunzelte die Beobachterin. Wie sie sich ständig an Episoden erinnerten, die längst vorbei waren, statt sich auf die anstehenden Probleme zu konzentrieren. Sie würde nie so werden. Lieber starb sie in der Ausübung ihrer Pflicht, oder beim Versuch mehr Einfluss zu gewinnen, als dass sie dereinst ein solches Überbleibsel von künstlich verlängertem Leben darstellen mochte. Da wäre sogar ein natürlicher Tod irgendwann mit 70 Jahren noch besser.
«Wir sind dran», mehr musste sie nicht sagen, nur diese drei Worte gesprochen mit einem kühlen, aber charismatischen Unterton, und der Kontrolleur konnte wieder beruhigt schlafen. Der Kontrolleur liess sich indess ebenfalls in den Sessel fallen, und für einen kurzen Moment sahen die beiden Männer einander so ähnlich, dass sie die Gerüchte beinahe glaubte… Aber nein, nicht diese zwei. Und wenn, spielte es so oder so keine Rolle.
Der Junge Mann schien sich inzwischen wieder etwas von seinem Schock ihr Antlitz zu sehen, erholt zu haben, dachte sie amüsiert. Mal sehen, ob er brauchbar wäre, oder was sie mit diesem Typen tun sollte, der noch dazu offenbar sogar gleich alt war, wie sie. Er machte nicht viel her… nur seine Augen schienen eine gewisse Intelligenz auszustrahlen. Oder war es gar Fröhlichkeit? Sie musste es genauer analysieren, aber dazu hatte sie später noch genug Zeit. Erst einmal das Tagesgeschäft erledigen, nicht wahr? Sie lächelte wieder innerlich, bei dem Gedanken an einen der Sprüche des Konsortiums, den sie schon soo oft gehört hatte, dass sie ihn eines Tages einfach abgestreift hatte, wie einen Mantel, der fleckig und rissig und ausgebleicht war. Sie mochte Schwarz. Schwarz war wenigstens eine Farbe. Nicht wie dieses scheinheilige Weiss, worin die Kontrolleure und die Mittelschicht gekleidet waren. Dieses Vorspielen von Reinheit und Ausgeglichenheit. Ruhe und Frieden. Ruht doch in Frieden. Sie wandte sich an den jungen Mann.
«Wir werden jetzt ebenfalls in diesen Untergrund gehen – und zwar persönlich. Ich habe grosse Lust das Mädchen eigenhändig aufzuspüren, und ihr werdet mir dabei behilflich sein. Ich habe keine Angst davor, dass ihr mir entwischen könntet, dafür reicht euer Training nicht aus. Kontrolleur, ich möchte sie bitten, hierzubleiben und auf unsere Nachrichten zu warten».
Kurz darauf machten sie sich auf den Weg zu dem Haus worin die Frau bereits früher verschwunden war. Sie hatten ähnliche Wege. Und sie hatten ungleiche Ziele. Wo die einen suchten, versuchten die anderen zu finden. Doch beide Wege führten zum gleichen Ort. Es war die Tür, hinter der ein Kater auf die Rückkehr seines Menschen wartete.



Der Ritt über die Prärie war nicht unbedingt das Gemütlichste, was sie an diesem Tag je erlebt hatte. An Armen und Beinen gefesselt, konnte sie nicht allzu viel daran ändern, dass ihr Körper bei jedem heftigen Galopp hoch und runter geworfen wurde. Doch alles hat ein Ende, und so auch diese Marter. Die Reiter erreichten eine Bergkuppe, worin eine Höhle durch ein grosses Holztor verborgen wurde. Mit geübten Bewegungen liessen sich die drei von ihren seltsamen Reittieren fallen, befreiten ihre Geisel vom Sattel und begaben sich mit ihr zum Tor. Sie klopften rhythmisch gegen das Tor, woraufhin es sich alsbald von einem grotesken Knirschen begleitet öffnete.
Dahinter waren Fackeln an den Wänden eines verschlungenen Ganges angebracht, die von unsichtbaren Winden flackernd gemacht, bedrohliche Schatten warfen. Die Entführer schlugen ein rasantes Tempo an, Schritt für Schritt führten sie das blonde Mädchen tiefer hinein in die Dunkelheit. Sie hatte im Flackerlicht Gelegenheit zu beobachten, dass die drei von gedrungener Statur waren, ein Bart quoll aus den tief in die Stirn gezogenen Kapuzen hervor, kraftvoll schienen sie gebaut. Als hätte sie die Erde selbst aus einem dieser vielen Höhlen ausgeworfen.
Sie kamen zu einer grösseren Höhle, fast schon eine Halle, deren Boden weit unter ihnen lag und deren gegenüberliegende Wände in diesem Fackellicht weit entfernt schienen. Eine Holztreppe, von fähigen Zimmermannshänden zusammengebaut, führte hinab ins Dunkel. Als sie dort ankamen, fiel ihr auf, dass der Boden sehr glatt war, fast wie Marmor – etwas, das sie hier nicht unbedingt erwartet hätte. Sie hatte keine Angst. Angst war eine unnütze Emotion, die ihr in so einer Situation nur hinderlich sein konnte. Die Männer, oder Zwerge, oder was auch immer sie sein mochten, waren während des Ritts anständig geblieben, hatten ihr hin und wieder einen Schluck aus einem Weinschlauch gegeben, der mit Wasser gefüllt war. Soweit keine unmittelbare Gefahr. Sie musste schauen, was die drei vorhatten. Und ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen. Zudem spürte sie… Aufregung… diese Entführung war vermutlich das Abenteuerlichste, was sie in ihrem Leben jemals erfahren hatte.
Wie ihre Mutter zu sagen pflegte: Nimm das was das Leben Dir bietet, geniesse es, und lass Dich drauf ein. Zumindest hatte sie den komischen alten Bartträger nicht mehr im Nacken, dafür drei jüngere Bartträger, hm, fast wie bei dieser Hydra von der ihr ihre Mutter erzählt hatte. Sie wusste nicht, ob sie wirklich ihre Mutter war, aber sie dachte auf diese Weise an sie, als eine unerschütterliche, auf ihre Weise mutige Frau, die alles tat, um sie zu lehren, zu schützen, zu schelten und zu umarmen. Sie war nach jeder Definition, die wichtig war, ihre Mutter - und sie vermisste sie sehr…

«Wir sind da.» Ah ja, sie teilten offenbar des älteren Bartträgers Vorliebe für kurze Ansagen. „Da“ war ein Tisch, der mehr oder weniger in der Mitte dieser Höhle aufgestellt worden war. Dreibeinige Hocker umrundeten die Holztafel, die auf kunstvolle Weise verziert war. Sie fragte sich unwillkürlich, wie sie das Ungetüm, das einen Durchmesser von etwa vier Meter aufwies, durch diese Gänge geschleppt haben mochten, bis ihr die Kerbe auffiel, die sich durch die Mitte der Platte zog, und darauf hindeutete, dass der Tisch aus zwei Hälften bestand, die mit einem silbrig glänzenden Metall miteinander verbunden wurden. Vermutlich wurde das Metall geschmolzen und dann in einem besonderen Verfahren mit den beiden Hälften verbunden, sodass der Eindruck entstand, dass es sich um einen einzigen grossen Kreis handelte. Solche Technik brauchte jemanden, der liebevoll mit allerlei mechanischem Gerät umzugehen wusste.
Sie merkte nicht einmal mehr, dass ihr das alles im Bruchteil einer Sekunde auffiel. Sie war sich gewohnt, dass ihr Hirn ihr alle nötigen oder unnötigen Informationen auftischte, damit sie mittels ihres Bewusstseins die Teile herausfiltern konnte, die sie gerade brauchte. Andere Menschen wären vermutlich sehr neidisch gewesen, wenn sie gewusst hätten, auf welch praktische Weise ihr Denken funktionierte. Doch da Telepathie auch in diesem Jahrhundert noch immer ins Reich der Legenden gehörte, war das nicht weiter wichtig. Wichtiger war, dass es ihr zum Vorteil gereichen konnte, wenn sie wusste, wie diese Kapuzenmännlein tickten, was sie mochten, und worin sie ihre Stärke sahen. Sie setzten sich erst einmal hin.
Kurz darauf kamen ein weiterer Kapuzenträger, dessen dunkelviolettes Gewand ihm würdevoll über die Schultern fiel, sowie zwei in weniger pompösen Kleidern eingehüllte Gestalten, die Wurst und Käse und ein wenig Brot auftischten [ja lieber Leser das SOLL ein Hinweis darauf sein, dass Du zwischendurch mal was isst], bevor sie wieder im Dunkel verschwanden. Ein gelbbraunes Gebräu war ebenfalls aufgetischt worden, Schaum krönte den oberen Teil der Humpen.
«Was ist das», fragte sie, darauf bedacht würdevoll und selbstbewusst zugleich zu wirken.
«Bier», sagte der violett Gekleidete.
«Und jetzt?», fragte sie.
«Trinken wir», antwortete er.
Als sie das Gefäss zu ihren Lippen hob, bedeutete er ihr, zu warten, und sprach:
«Wir heissen Dich in unseren geheiligten Hallen willkommen, wir bitten gnädigst um Verzeihung für die schmähliche Unterwerfung, deren ihr Teil hattet, doch eure unverzügliche Ankunft, bei uns, dies war uns wichtig. Sehr.»
Er hatte eindeutig eine etwas seltsame Sprache, auch wenn sie nicht ganz drauf kam, warum dem so war. Nun ja, sie verstand ihn, und er verstand sie, das war ja schon mal gut, und dass er sich für die Entführung entschuldigte war geradezu prächtig. Sie war gespannt was er noch sagen würde, doch vorerst hob er nun seinerseits den Humpen, rief laut hallend «Bott, Bott, Bott» und sie alle tranken von dem Gebräu.
Es schmeckte ein bisschen metallisch, mit leichtem Aroma von Honig, nicht übel, schön kühl. Sie hatte etwas vergleichbares noch nie getrunken, schliesslich war Alkohol längst von der Liste erlaubter Erfrischungen gestrichen worden, und das höchste der Gefühle, was die kontrollierten Massen zu sich nahmen, bestand aus Früchten. Manchmal waren die Früchte gegoren, sodass es durchaus noch Alkohol gab. Doch es bemühte sich kaum jemand, dies den Kontrolleuren mitzuteilen. Sie jedoch lebte in der Stadt, und dort war derlei Gärung so gut wie ausgeschlossen.
Auch die Wurst und der Käse mundeten mit dem frisch gebackenen Brot ganz ausgezeichnet, und im Gegensatz zu dem komischen Kauz, der sie durch die Tür gelotst hatte, machten die Hutzelmänner keine Anstalten, sie zu irgendwas zu drängen. Abgesehen vom Bier, wie sie es nannten, von dem sie ihr stets wieder aus einer grossen Amphore nachfüllten, wann immer ihr Krug zur Neige ging. Als sie das bemerkte, begann sie etwas vorsichtiger zu trinken, damit die Kadenz des Nachfüllens ein bisschen verringert wurde. Aufgrund ihrer ausgezeichneten Genetik musste sie sich jedoch keine Sorgen machen, die Enzyme die dem Abbau giftiger Chemikalien dienten, waren bei ihr besonders sorgfältig programmiert worden. Praktisch wenn man ein Versuchskaninchen war, das ausgebüchst war. Unpraktisch, dass sie es nicht wusste. Aber was wissen wir schon, von unserem Wesen hier auf Erden? Wir leben einfach so dahin, und hoffen es ergibt sich aus dem was wir tun.

Die Zwerge erzählten ihr, dass eine Zeit des Erwachens angebrochen war, die sie mit Besorgnis sahen. Die Elfen begannen sich mit den Menschen zu verständigen, die in ihren Dörfern lebten, und beide schienen grosses Interesse an den mechanischen Kenntnissen der Zwerge zu haben. Leider war es jedoch so, dass die Zwerge aufgrund der Erzählungen der Elfen, was auf der Erde abgelaufen ist, etwas vorsichtig geworden waren, denn nicht alle Technologie sollte in die Hände derer gelangen, die sie missbrauchten. Sie waren darauf angewiesen, aus erster Hand zu erfahren, was die Menschen auf der Erde davon hielten. Was die Mechanik aus ihrem Planeten gemacht hatte. Und ob es eine gute Idee wäre, diese Technologien mit den anderen Völkern zu teilen.
Natürlich erwarteten sie keineswegs sofort eine Antwort auf diese Fragen, man habe ihr ein Quartier zugeteilt, worin sie alle Annehmlichkeiten des Lebens und Schlafens finden konnte, auch wollten sie ihr anschliessend gleich die Frauen der geheiligten Hallen vorstellen, damit sie sich austauschen könnten. Es solle ihr an nichts fehlen, und wenn sie etwas braucht, würde ihr das sofort gebracht.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde sie wieder misstrauisch. Wer etwas wollte, und das mit so viel guter Gesinnung unterstrich, wollte meist noch etwas mehr, als das was er sagte. Sie wusste nicht viel über Elfen und Zwerge, die entsprechenden Bücher gab es schon längst nicht mehr. Einzig die Erzählungen von ihrer Mutter spukten in ihrem Kopf herum. Sie wusste nicht so Recht was sie davon halten sollte, dass es auf dieser Welt Menschen geben sollte.
Sie wusste nur, dass sie zurzeit müde war. Der Tag war längst zur Nacht geworden, und es war ein langer Tag gewesen. So willigte sie vorerst ein – was hätte sie auch schon gross anderes tun können, und alsbald war sie in ihrem Quartier und lag in ihrem Bett. Kurz vor dem einschlafen, dachte sie nochmals an das Gespräch... hatte der Kapuzenmensch wirklich von Elfen gesprochen? Kurz darauf nickte sie ein. Irgendwo tief unter Tag, legten sich die Träume auf ihr Sein, in denen sie wieder auf die Geister traf, die sich dazu entschlossen hatten, noch eine Weile unter den Lebenden zu weilen, um sie zu beschützen. Und natürlich lag sie einen grossen Teil des Traums in den Armen ihres Geliebten.

Der Uneinsichtige und die Beobachterin stiegen gerade die Leiter hinab, die vor einigen Stunden von der blonden Frau genutzt wurde, um tiefer hinabzusteigen in die Katakomben der Stadt.
«Und? Was hältst Du von unserem grossen Kontrolleur?» fragte sie mit sarkastischem Unterton. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte, denn auch wenn es grundsätzlich keine Rolle spielte, so war er noch immer am Leben und solange dieser Zustand anhielt, wollte er ihn nicht unnötig in Gefahr bringen.
«Du bist nicht sehr gesprächig, was?» sie schmunzelte und dabei leuchteten ihre Augen. Ein Effekt, der mit den neueren Technologien der Schminkkunst gar nicht mal so schwer zu erreichen war. Nur dass sich die wenigsten derartiges Leisten konnten, davon einmal abgesehen, dass die wenigsten überhaupt Lust dazu hatten. Jegliche Oberflächenverschönerung war zu wenig pragmatisch für diese aufgeklärten Menschen, die die Erde derzeit bevölkerten. Ihr war zwar klar, dass dies zum Plan der Kontrolleure gehörte, es war ihr jedoch unklar, warum die Leute da überhaupt mitmachten. Ihre wunderschön gefärbten Augenbrauen, das Leuchten in ihren Augen, kaum etwas war besser geeignet, um die Aufmerksamkeit der einfachen Leute – nach ihrem Weltbild, sozusagen fast alle anderen – auf sich zu ziehen, ohne dabei tatsächlich im Mittelpunkt zu stehen. Es war ein Schauspiel. Wenige wussten wie einfach dieses Spiel war. Weil sie es nicht wagten. Sie wagten nicht, sich zu verkleiden, zu maskieren, so zu tun als ob. Und das verhinderte, dass sie erreichten, was immer sie erreichen wollten. Der Mut, sich einfach mal anders zu zeigen, als man war, und gleichzeitig auf diese Weise viel mehr zu zeigen, wie man ist, war ihnen verwehrt. Weil sie glaubten, sie müssten ihre eigene Rolle finden, und darin aufgehen. Doch es gab keine eigene Rolle, es gab nur das eigene Sein, und dieses Sein, das war eh schon, also warum danach suchen? Wenn sie mit einem Ministerrat zusammenkam, musste sie da eine 24jährige Frau sein, oder konnte sie nicht auch eine Prinzessin mimen, die jeden der Anwesenden mit gewagten und grossen Worten in ihren Bann zog, sodass diese anfingen zu denken?
Sie behielt solche Gedanken wohlweisslich für sich, wusste sie doch, wie wenig die Menschen ihres Zeitalters davon hielten, irgendwas zu spielen, das nicht von den Kontrolleuren vorgegeben wurde. Es war gefährlich, und vermutlich würde sie einiges früher auf dem virtuellen Schaffot landen, worin die Hauptverräter des Systems alle früher oder später landeten, doch solange sie konnte, wollte sie dieses Spiel, diese Maskerade aufrechterhalten, denn es beflügelte und belebte ihr Sein, es gab ihr ein Gefühl von Lebendigkeit, und danach war sie hochgradig süchtig, so süchtig, wie ein Mensch nur sein konnte. Der Nervenkitzel, sich in Regierungsgebäuden zutritt zu verschaffen, einzig mit dem Hinweis, beim Ministerium zu arbeiten, mit den nötigen Blicken die Wachen davon zu überzeugen, es mit jemandem zu tun zu haben, der äusserst ungemütlich werden konnte, wenn sie nicht genau das taten, was sie von ihnen wollte, das war für sie unvergleichlich aufregend. Noch dazu, weil sie an und für sich überhaupt keine Handlungsbefugnis hatte, um irgendwem ungemütlich zu werden. Nur dass dies niemand merken konnte, solange sie eingeschüchtert waren.
Sie war jedoch von ihrer Art her kein schlechter Mensch. Sie mochte ihre Untergebenen (die keine waren) und sie mochte sogar den Kontrolleur auf ihre Weise, auch wenn ihr sein Alter doch etwas auf den Docht ging. Sie mochte diese Leute, weil sie naiv waren, ähnlich Kindern, die eine Welt durch Augen betrachteten, die mit viel Angst vor dem Unbekannten einherging. Aber anders als Kinder, hatten sie den Mut aus früheren Tagen nicht mehr, sich der Welt zu stellen, auszuprobieren und sich dabei halt mal eine blutige Schramme zu holen. Sie waren so kontrolliert, so gefestigt in ihrem Dasein, dass sie manchmal, wenn sie des Nachts allein in ihrem Bett lag, weinte – weinte um Menschen, die sie gar nicht kannte, selten verstand, und irgendwie doch verstand. Sie weinte um diese Menschen, weil sie sich nicht getrauten zu spielen.
Dann wieder war sie zornig, über deren Unlust, einfach mal zu sein, einfach mal mitzumachen, doch was konnte sie schon tun, anderes als ihr Spiel zu spielen, und es sich nicht verderben zu lassen, von jenen, die seltsam traurig waren, ohne dies zu merken?

Auch dieser Junge, der Uneinsichtige, war seltsam traurig – doch er war jetzt an ihrer Seite, dank ihres gekonnten Rollenspiels, worin sie dem Kontrolleur ihre Wünsche indoktrinieren konnte, einfach weil dieser es nicht merken wollte. Weil er in seinem Inneren durchaus glauben wollte, dass es Menschen gab, die sogar ihn übertrafen – das hatte sie sehr schnell gemerkt, besonders als der Kontrolleur im Teslamobil mit dem Jüngeren diskutiert hatte. Das Gespräch über seinen Sohn hatte ihr dies offenbart. Auch wenn sie das gar nicht gebraucht hätte, um es zu bemerken. Menschen an der Spitze der Macht waren stets einsam, denn niemand sonst war dort oben - ausser jene, die einfach so taten als ob sie es wären.
Und so ging ihr Plan auf, denn es war durchaus ihr Plan diesen jungen Mann (der noch dazu irgendwie ganz süss aussah) in ihrer Nähe zu wissen, weil sie glaubte, oder zumindest hoffte, dass sich daraus ein Abenteuerspiel spinnen liess.
Mit diesem Wunsch, dieser Einstellung war sie in Etwa genau das, was das Schicksal - wäre dieses ein Mensch gewesen - sehr gerne hatte. Sie war eine Läuferin, die diagonal zum Chaos und diagonal zur Ordnung im Sein stand. Jene Läufer, das waren Schicksalsgeplagte, denn sie riefen Geister herbei, die sich nicht kontrollieren, nur erfahren liessen. Keine Geister wie jene drei Kontrolleure nun, die auch Widergänger genannt wurden. Sondern Elementargeister, das was die Wissenschaft im Periodensystem entdeckt zu haben glaubte. Es war Chrom, es war Titanium, es war Gold, Eisen und Blei, Wasser und Wasserstoff, Helium - flüchtig wie der Wind, und doch irgendwie da, es waren Geister, die mit ihr spielten, und mit denen sie spielte. Das war ihr natürlich nicht so bewusst – und doch spürte sie, dass sie aufgehoben und mitgetragen war, in dieser Welt.

Sie waren auf dem Weg durch die tiefen Gänge der Erde – manche nannten sie die Metro, wenngleich diese Gänge viel älter waren. Gegraben worden sind, als es noch eine Verbindung gab, zwischen dem Alten Volk und den Menschen. Oh ja auch so eine Begriffsverirrung: denn die Menschen waren viel älter, wenngleich sie einige Metamorphosen hinter sich hatten: mal grösser waren, andere Augen besassen – doch jetzt waren sie gleich einer Raupe zu den Menschen geworden, die wir später auch noch auf der Elfenwelt treffen werden. Die letzte Form, die fünfte Stasis.
Diese Gänge waren also älter. Doch jetzt waren sie mit Marmor und mit Beton und mit Eisen und mit Stahl versehen, mit Linien, die die Energie dieser Gänge von einer Metrostation zur nächsten trugen, ohne dass die menschlichen Erbauer derartiges auch nur geahnt hätten. Oder hatten sie es doch? War es möglich, dass manche von den Erbauern der Metro von einem inneren Drang geleitet wurden, die „Ley Lines“ zu verstärken, damit auch in dieser Stadt ein tiefes, tiefgreifendes Netzwerk entstehen konnte, das Gaia die Möglichkeit gab, zu wachsen und zu gedeihen? Möglich war vieles; viel mehr, als beispielsweise die Uneinsichtigen auch nur erahnten.

So sagte dieser junge Mann denn auch: «wo bringt ihr mich hin? Werde ich jetzt hingerichtet?»
Das verblüffte sie ziemlich, weil sie gerade daran dachte, ihn zu fragen, wie alt er sei, sodass sie verdutzt schwieg. Was dem anderen natürlich in der derzeitigen Lage als bedrohliches Schweigen reinkam, weshalb er denn auch gar nervös wurde und sie eingeschüchtert von der Seite anschaute. In ihrer schwarzen Kluft war sie hinter dem Strahl ihrer Taschenlampe kaum mehr als ein düsterer Schatten, wie ein Dämon erschien sie ihm, unterstrichen wurde der Effekt von einem Umhang, den sie sich gegen die Kälte umgeschlungen hatte, bevor sie den Abstieg wagten.
«Sei nicht so besorgt», sagte sie schliesslich, sie bemerkte seine Nervosität durchaus, und diese passte ihr nicht, denn nervöse Spieler waren meist schlechte Verlierer. Und zu verlieren hatte er so oder so nichts. Schliesslich hatte er ja bereits alles verloren. Sie amüsierte sich des öfteren selbst mit solchen Gedanken, denn schon als kleines Mädchen war ihr klar geworden, dass die Menschen einfach nicht alles verstanden, was sie verstand, und es wäre ihr allzu arrogant erschienen, wenn sie den anderen auf mühselige Weise zu erklären versuchte, wie sie dachte. Als müssten diese sie verstehen, damit sie sie mochte. Nein, da war es ihr lieber sie kommunizierte auf die gespielte Weise mit ihnen, als dass sie diese armen Seelen gänzlich verwirrte.
«Wir sind auf der Suche nach Deiner blonden Freundin, hast Du das vorhin nicht mitbekommen? Noch dazu haben wir jetzt den Kontrolleur hinter uns gelassen, und das sollte Dir eigentlich aufzeigen, dass es auch noch andere Leute unter uns Herrschenden gibt», sie sprach das Wort leicht sarkastisch aus, «als Du möglicherweise ahnst. Naja, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir dank der allgemeinen Struktur in der Luft hier unten und ihrem genetischen Fingerabdruck mehr oder weniger genau wissen, wohin sie gegangen ist, wir müssen nur ihren Spuren folgen, und.. Achtung!» - sie holte eine Blasterkanone hervor, die sie bislang unbemerkt irgendwo an ihrer Uniform trug, und erschoss die fauchende Ratte, die gerade zum Sprung ansetzte, noch bevor diese ganz abgehoben war. Die Ratte drehte sich aufgrund des Rückschlags um die eigene Achse und blieb reglos liegen.
«Wir sollten etwas konzentrierter sein hier unten, das war knapp. Diese Biester tragen mehr undefinierbare, mutierte Krankheitskeime in sich, als wir auch nur ahnen können. Ich glaube die einzige Spezies die damit klarkommt, das sind die Katzen, die überall hier unten einen lautlosen Krieg gegen die Rattenviecher führen. Ich habe das auf den Monitoren gesehen», erklärte sie lächelnd, als er sie nur verdutzt anschaute.

Er war ganz schön durcheinander. Nicht nur, dass ihn diese Frau verwirrte, beeindruckte und dann wieder verwirrte, war sie offenbar dazu übergegangen ihn jovial anzusprechen, als wären sie auf irgendeinem Studentenausflug. Er musste einen Teil seines Selbstvertrauens zurückgewinnen, wenn das hier irgendwohin führen sollte. «Sie ist nicht meine Freundin, ich kenne sie kaum, um genau zu sein, und wenn das wenige was ich von ihr weiss stimmt, möchte ich am liebsten gar nicht mehr wissen, nachdem was sie getan hat.»
Er meinte natürlich die Sicherheitsleute, das war ihr klar. Aber waren das nicht seine Feinde? Was spielten die für ihn für eine Rolle? Der Typ war offenbar doch interessanter und vielschichtiger als sie zuerst gedacht hatte.
«Wie auch immer Du zu ihr stehst, wir müssen sie jedenfalls finden, ich habe da einen Verdacht, dass sie viel wichtiger ist, als irgendwer geahnt hat. Ist Dir eigentlich bewusst, wie gering die Chance ist, drei Sicherheitsleute unseres Regiments auszuschalten, und dann noch zu fliehen? Kaum ein Mensch hätte das geschafft, und das bedeutet irgendetwas an ihr ist ...speziell. Du wirst mir dabei helfen sie zu finden, denn auch wenn Du sie offenbar nicht magst, Du hast sie bestimmt schon mal getroffen. Das allein genügt, um den einen oder anderen Entscheid zurückzuverfolgen, den sie auf ihrer Flucht getroffen haben mag.»

Ja getroffen hatte er sie durchaus schon. Er mochte das nicht so unumwunden zugeben. Schon gar nicht wenn er daran dachte, wie es damals gelaufen war. Sie war so… liebreizend gewesen, hatte viel gelacht und war im grossen und ganzen ein Engel. Sie hatte sich jedoch nicht für ihn interessiert. So wie sie es ausgedrückt hatte, klang es halbherzig logisch, so als wüsste sie, dass sie ihn mit einigen schlauen Worten abwimmeln konnte, wie man einen Wachmann abwimmelte der es mit den Kontrollen zu genau nahm. Sie sagte, es wäre ungünstig, wenn sich Beziehungen zwischen Menschen des Untergrunds ergaben, weil so Druckmittel entstanden, die dem Widerstand nicht zuträglich wären. Sie fand es also besser, wenn er sich bei den kontrollierten Frauen umschaute, zudem hätte sie zurzeit kein Interesse an einer Beziehung, weil ihr Leben auch so schon genug ausgefüllt wäre. Worte! Irgendwie hatte er ihr geglaubt, ja sogar glauben wollen, weil das zumindest noch den Hoffnungsschimmer enthielt, dass sie sich vielleicht mehr aus ihm machte. Doch sein Realismus war allzu gross, und er wusste von da an mit einiger Bestimmtheit, dass sie ihn nicht liebte, und er sie nie haben würde. Von da an wurde der Kontakt zu ihr immer eisiger. Sie zog sich zudem immer mehr in ihrer Wohnung zurück. Ging kaum noch aus. Naja. So hatte er sie aus den Augen verloren, und mit ihr auch das Interesse am Widerstand. Was gefährlich war, wie sich zeigte, als er die Einladung erhielt. Offensichtlich war er unvorsichtig geworden, weil er nicht mehr an diese Sache glaubte. Und jetzt war er hier mit dieser attraktiven Ministeriums-Frau. Statt eines Engels – eine Dämonin an seiner Seite. Sollte das bereits ein Zeichen dafür sein, wie sein weiteres Leben verlaufen würde?
«Schwelgst Du in Erinnerungen, an schönere Tage?» fragte sie mit ihrer typischen aufreizenden, aber in erster Linie nervend hochgezogenen Augenbraue. Diese Frau hatte ihn noch nicht gebrochen! So viel war klar.
«Keine schöneren Tage, als mit einer Dunkelelfin in einem dunklen Loch herumzukriechen…»
Sie prustete laut los, «eine Dunkelelfin, das bin ich also für Dich, na wunderbar», sie kicherte noch ein bisschen. «Woher kennst Du dieses Wort? Waren wir wieder mal nicht gründlich genug, in unserem Bestreben, die Literatur zu vernichten?» fragte sie ironisch.
«Shakespeare, falls Dir der Name was sagt», antwortete er.
«Oh wirklich, habt ihr auch einige seiner Werke behalten? Soweit ich weiss schrieb er aber nichts von Dunkelelfen, na komm schon, woher hast Du das?»
«Na gut», sagte er genervt, «ich weiss nicht genau was es ist, es ist in einem roten Lederband eingewickelt und es steht in goldenen Buchstaben „Die Kreaturen des Warhammer Universums“ – ich weiss aber nicht welchen Kriegshammer die damit gemeint haben. Darin stehen lauter unvernünftige Zahlen, und die Beschreibung von Wesen anderer Art. Keine Ahnung ob es Literatur oder Prosa ist, oder gar ein Buch aus einer anderen Welt», auch er konnte ironisch sein, wenn er wollte.
«Du beschäftigst Dich mit Dingen, von denen Du keine Ahnung hast, oder?» sie sagte es nicht bösartig, eher wie die grosse Schwester es sagen würde, mit einem mitfühlenden Tonfall. Und irgendwie hatte sie ja Recht. Er war da in Dinge hineingeraten, die zu gross für ihn waren, und er fragte sich, warum er das getan hatte. War es Liebe? Oder Unvernunft?
«So mein Junge, wir sind da – hier endet ihre Spur. Sieh mal da ist ein Kater.»
Der Kater machte sich gerade über die letzten Reste der Ratte her, als die beiden eintraten. Er musterte sie aufgeregt, aber interessiert. Er wusste, dass er mit einem Hechtsprung zwischen ihren Beiden hindurch fliehen konnte, aber hatte dem Druiden ein Versprechen gegeben, und auch wenn er als Felltier, wie sie sich nannten, durchaus mal ein Versprechen brechen konnte, wenn es zum Beispiel um eine feine Forelle ging, die auf dem Küchentisch lag, so zwang ihn die Loyalität als Verbindungstier, hier zu bleiben. Und mit den beiden Menschen zu verfahren, wie es die Katzen seit jeher taten. Vordergründig unterwürfig, und verschmust. Er gab einen entsprechenden Laut von sich, was die schwarzgekleidete Menschin dazu brachte, sich zu bücken, etwas von süss zu schwafeln und ihn zu kraulen. Abgesehen von der gefühlsmässigen Sensation die das Kraulen in seinem Katergemüt auslöste, war sein Plan mal wieder voll aufgegangen. Menschen waren so einfach… Viel einfacher als Hunde – wobei die auch recht leicht um die Pfote zu wickeln waren, wenn man ihnen erstmal eins auf ihre ewig tränenden Nasen gegeben hatte.
«Und wo ist sie?»
«Ich habe keine Ahnung, Kleiner», sagte sie.
«Würde es Dir etwas ausmachen, mich nicht so zu nennen?»
«Ja. Also sie ist nicht hier, nur das putzige Tierchen hier.»
Putzig, dachte der Kater und erhöhte das Volumen seines Schnurrens um einige Dezibel. Er fand, es war an der Zeit, selbst nach dem Druiden zu schauen, wenn er bei ihm war, konnte dieser ebenfalls zur Tür zurückkehren, und es war sicher spannender, als hier weiter herumzulungern und auf die Rückkehr der vielen Leute zu warten, die bereits in der Tür waren.
Daher öffnete er kraft seiner magischen Aura den Zugang in der Tür, zur Welt, auf der unsere anderen Freunde bereits waren. Er sprang vom Arm der Schwarzgekleideten hinein in die Tür, und verschwand vor den Augen der Menschen.
Diese fanden das gelinde gesagt etwas seltsam, und gingen etwas vorsichtiger zur Tür. Als sie sich dem Rahmen näherten, wurden sie geradezu hineingesaugt. Einige Dunkelheit später erwachten sie auf einem fremden Planeten. Die Sonne war inzwischen aufgegangen. Der Kater kuschelte sich zwischen den beiden Menschen, und machte ein Nickerchen. Diese Toröffnungsrituale ermüdeten ihn immer sehr. Dauernd Schlafen war auch so eine angenehme Begleiterscheinung des Lebens als Katze.

Kapitel 3

Die Sonne ging auf, über den Feldern, sie ging auf, wie es die Art von Sonnen ist. Majestätisch. Unerschöpflich. Alles überstrahlend. Sie ist hell, die Schatten weichen vor ihr zurück. Die Blätter der Pflanzen und ihre Blüten wenden sich ihr zu. Die Menschen freuen sich, dass sie entgegen ihren Befürchtungen tatsächlich wieder einmal aufgegangen ist. Die Tiere räkeln sich in ihren wärmenden Strahlen. Sie verbindet alles und jeden, lässt Wärme zurück und das eine oder andere Vitamin. Im Omega und im Gamma ist sie zuhause, doch ihre Radioaktivität wird gemildert durch die Atmosphäre, die belebte Planeten umhüllt und bedeckt, wie eine Schicht Sahne auf der frischen Milch, die in unzähligen Kuhställen überall im Universum geschöpft wird. Die Sonne. Eine Sonne. Ein Stern unter vielen. Während die Tür, worin dieser Stern sich befindet, als solches in tiefster Dunkelheit verborgen bleibt. Einst war das Metall der Tür Bestandteil eines bekannten Schwerts, heute ist sie weit gereist, wurde mehrmals eingeschmolzen, umgeschmolzen, doch nichts von all dieser Hitze konnte den Sternensystemen in ihrem Inneren etwas anhaben, geschützt waren diese von dunkelster Materie, eingebettet in einem unendlichen Nichts, blieben die Planeten der Elfen, und die Monde, die um diese Planeten herumwuselten, wie lustige Quarks auf der Suche nach Bewegung, beschützt von der Dunkelheit. Das Schwert bestand seinerseits aus Elementen, doch im Inneren der Elemente, ja viel tiefer, als jedes Nanoskop, das die Menschen besassen, jemals messen konnte, da war erneut Leben. Ein Leben, das nicht unähnlich war, dem Leben auf der grossen Erde. Einem Planeten der seinerseits von schwärzester Dunkelheit umgeben, darin eingebettet und davon beschützt wurde. Zusammen mit seinem Stern. Würde man das Sonnensystem und die Galaxie stark vergrössern, worin sich die Erde und ihre Schwestern befanden, man käme dort wieder heraus, wo das Kleine verschwand. Dies war die Raumkrümmung, und sie erfasste das gesamte Universum, das Universum war eins – im Kleinen, wie im Grossen.
Dank der Kugelförmigkeit all dieser Dinger, war es möglich, dass auf allen Planeten im Multiversum, das Schauspiel eines Sonnenaufgangs ermöglicht wurde. Wie das in anderen Universen aussah, das wissen wir nicht, und es muss uns derzeit auch nicht kümmern. Es gibt noch genug zu entdecken, bevor wir das Ziel unserer Reise, die zugleich die Reise von Gaia ist, erreicht haben. Wie die Schildkröten anderer Universen, war Gaia bestrebt, ihr Ziel zu erreichen. Doch manche Gelehrte, von denen es eine Handvoll gab, verteilt auf den vielen, vielen Planeten, die das Universum umfasste, manche glaubten inzwischen, dass das Sein an und für sich, das Ziel sei. Wir werden es vermutlich irgendwann herausfinden, bis dahin können wir Gaia vertrauen, dass sie stets – von Tag für Tag aufs neue, die Sonne aufgehen lässt. Wie dankbar wir Gaia dafür sein dürfen. Und wie wenig Dankbarkeit sie von uns verlangt.

Der Druide wurde von einem Kitzeln an der Nase geweckt. Die Sonnenstrahlen, die durch die Bambusgrashütte hindurchschienen, lösten auf mikroskopischer Ebene ein Spiel von winzigen Staubflöckchen aus. Der Druide begrüsste die ersten Zeichen des neuen Tages mit einem herzhaften Niesen. Schon war einer der Elfen heran.
«Auf Auf erwacht, der Tag, er ist erneut vollbracht. Habt ihr auch den Schlaf ganz gut gefunden, jetzt kommen zu euch neue Stunden.»
«brmbl?»
«noch nicht ganz wach, gebt fein Acht, wenngleich der Druide jetzt erwacht»
Dem folgte ein Lachen von mehreren offenbar sehr lustigen Geschöpfen. Er machte sich auf die Socken. Oh… Socken ja, daran hatte er nicht gedacht. «seht nur her, Feine Freunde, ich bin noch hier in Socken, die euch vermutlich nicht verlocken, denn sie sind ganz schweissdurchnässt, nicht so trocken, wie’s Geäst»
«Macht nichts Macht nichts alter Knabe, Feenstaub ham wir hier genug zur Gabe», sprachs der Elf und wickelte einen Beutel auf, der nun den ganzen Druiden von Kopf bis Fuss mit Staub bedeckte, der dabei schelmisch im Sonnenlicht glitzerte, als wäre er lebendig und guter Dinge.
«Nun seid ihr erstmal trocken – vor Wind geschützt und auch vor’m Schlotte’n, schliesslich wollen wir, das Freud’ ihr habt, solang hier».
Flüchtig, aber nur flüchtig, fragte er sich fürwahr, wie lange er das Gereime aushalten würde. Aber er fand es durchaus sympathisch, war mal ganz anders, als das übliche gleichgeschaltete Gebrabbel zu dem die allzu anständigen Menschen manchmal fähig waren. Nein, das war auch unfair, sie konnten nichts dafür, dass sie den freien Willen noch nicht entdeckt hatten. Taten sie dies, stand ihrem ganzheitlichen Dasein nichts mehr im Wege. Und fürwahr, er half ihnen dabei, tat er das etwa nicht?

Wir sehen, auch Druiden sind nicht vor Eitelkeit gänzlich gefeit. Manchmal da überkommt’s auch die Besten und Weisesten. Wenn auch meist auf andere Weise, als die weniger Erleuchteten… Wir dürfen ihm verzeihen, schliesslich hat er uns gerade in Gedanken den freien Willen zugesprochen, und so sollten wir die Gelegenheit nutzen. Schliesslich sind wir keine Dämonen, nur stille Beobachter seiner Wege.

«Kommt nun – jetzt da der Schweiss euch hat verlassen – und hebt mit uns die Tassen, darin glüht schon gar sehr fein – bester Honigmet, kommt nun zu uns, zu unserm Heim», sagte der Elf den Vorhang der Bambushütte lüftend, den Druiden zum Rauskommen einladend.
Dem Druiden, in dessen Hirn, wie allen spirituell sehr bewanderten Menschen, beim Gedanken an Alkohol stets alle Warnsignale ihres geschulten Geists ausgeschaltet wurden, was vermutlich mit der spirituellen Seite in ihnen zu tun hatte, lief das Wasser bereits im Munde zusammen. Honigmet von Elfen! Gab es etwas Köstlicheres in Gaia? Ambrosia nannten es die Alten. Und Ambrosia war es sicherlich, zumindest kam es nahe an das heran, was jene Götter von denen es einstmals auch auf Erden nur so wimmelte, ausschenkten. Bevor auch sie sich in andere Welten zurückzogen, nicht die gleichen, wie diese Welt auf der wir uns gerade mit dem Druiden zusammen befinden.
Der Alkoholgehalt war eher niedrig, schliesslich war es früher Morgen und der Tau, der nun von den Blättern des Waldes tropfte, war gerade erst entstanden, doch es genügte, die grundsätzlich schon eher fröhliche Gesellschaft der Elfen fürderhin fröhlich zu gestalten.

Nun war es keineswegs so, dass die Elfen – und schon gar nicht der Druide – vergessen hatten, dass ein ernstes Anliegen sie zusammen geführt hatte, wie es die Viehtreiber mit den Schafen taten, wenn die Zeit des Schärens gekommen war. Sie waren hier um zu besprechen, was mit dem blonden Mädchen geschehen sein konnte, wohin sie verschleppt worden sein mochte, und wie man sie von dort befreien könnte. Die Elfen vermuteten bereits, dass sich die Tiefengnome des Mädchens bemächtigt hatten, vermutlich um irgendwelche technologischen Geheimnisse der Menschen zu erlangen. Was die übliche Vorgehensweise dieses stets in Dunkelheit lebenden Volkes war. Sie nahmen dazu die Gestalt der Zwerge an, die im kollektiven Bewusstsein aller Menschen schlummerte, auch wenn die Zwerge gar nie existiert hatten. Nicht in diesem Universum. Doch seltsamerweise kannten alle Wesen deren Aussehen, mit Bart und Kettenhemden, und einer Vorliebe für Äxte. Und die Tiefengnome waren sehr raffiniert. Entführten hin und wieder Menschen von der Erde und nutzten das wenige an technischem Sachverstand, das sie inne hatten, um das Wissen der Menschen in seltsame Gerätschaften zu verwandeln, die ohne Elektrizität auskommen mussten, und entsprechend vereinfacht wurden. Allein, es verschaffte den Tiefengnomen ein respektables Einkommen unter den Menschen dieser Welt, und auch die Elfen mussten sie notgedrungen respektieren. Auch wenn ihnen das Entführen gar nicht in den Kram passte – barg es doch zu viele Risiken für ihre Unentdecktheit.
Es wäre den Elfen natürlich nie in den Sinn gekommen, doch das, was die Kontrolleure auf der Erde taten, half ihnen ungemein, ihre Verschleierung für immer aufrecht zu erhalten. Denn jeder der Menschen, die entführt worden waren und zurückkehrten, stammelte etwas von Ausserirdischen. Sicher die richtige Bezeichnung, wenngleich auch nicht sehr genau – befand sich der Planet streng genommen ja in der Erde. Nur machte das die Entsprechenden in den Augen ihrer Mitmenschen zu Verrückten, die allenfalls belächelt, manchmal auch mit harten Drogen ruhig gestellt wurden. Die Tiefengnome waren also ein Übel auf Erden und für die Elfen, doch die Kontrolleure hatten deren Wirken paradoxerweise fest im Griff. Zwar gab es schon auch unter den Herrschenden auf Erden den einen oder anderen, der neugierig war, was denn nun eigentlich hinter diesen Berichten stecken mochte. Doch ihre selbstauferlegte Phantasielosigkeit liess sie das, was wirklich dahinter steckte, einfach nicht sehen. Und so widmeten sie sich wieder ihrer geliebten Bürokratie, die so einfach, so reglementiert und überschaubar war. Ja, auch die Kontrolleure und ihre Anhänger, die hatten eine kleine Welt in der Welt – ebenso geschaffen, um sich zu verstecken, vor den Mysterien des Lebens, wie es die Elfen geschafft hatten, sich vor den Menschen zu verstecken.

Die Elfen und der Druide tranken einige Gläser Honigwein – oder auch Met, manchmal auch Ambrosia getauft – und lauschten manch einem etwas längeren Gedicht, vorgetragen von wagemutigen jungen Elfen, die die Gelegenheit nutzten, sich hier zu präsentieren, um der einen oder anderen Elfendame zu imponieren. Dabei kamen sie auch zu dem Plan, dass es nicht anginge, dass eine Frau von der Erde, ihrer aller Heimat, einfach so von den Tiefengnomen des wunderschön klingelnden Tageslichts entfernt würde, ohne dass eine Delegation aus Elfenfürsten, gemeinsam mit dem Druiden unverzüglich zu der Bastion in der Erde reisen würde, um ihre Herausgabe zu verlangen, und sie in die Obhut des Druiden zurückzubringen – so soll es sein, und zwar unverzüglich, jedenfalls nach dem obligatorischen Spiel zur Auflockerung der Muskeln, dem die Elfen tagtäglich frönten. Den Druiden erinnerte es erneut an Kricket, nur dass er keine Pferde sah und die Regeln auch nicht wirklich verglichen werden konnten. Wie die Regeln lauteten, war ihm jedoch nicht ersichtlich, aber da ein Teil dieser Regeln offenbar vorsah, andere Teile der Regeln ausser Kraft zu setzen und sich damit einige zusätzliche Punkte zu holen, die jedoch der anderen Gruppe zu gute kamen, stellte er für sich fest, dass er zu alt war, um die Elfenspiele zu durchschauen und er liess sich einfach treiben, was natürlich genau dem entsprach, was die Elfen sich erhofft hatten.
Die Sonne wanderte derweil gen’ Mittag.


Sie erwachte in einer Höhle. Keine Sonne. Sonne war nicht im Sonderangebot heute. Eine Kerze flackerte auf der Anrichte einer kunstvoll gezimmerten Kommode aus rötlichem Holz, vermutlich eine Eberesche. Die Kerze stand in einer Bronzehalterung, die zugleich als Auffangbecken fungierte, sodass kein Wachs auf das Holz tropfen konnte. Ein kleiner Verschluss würde die Flamme ersticken, sobald die Kerze tief genug gebrannt war und im Inneren des Ständers verschwand.
Sie schwang sich erstmal die Haare aus dem Gesicht und rieb sich den Schlaf aus den Augen, offenbar gab es hier auch Heinzelmännchen, und blickte schlaftrunken umher. Ein Spiegel in ovaler Form war über der Kommode angebracht. Ansonsten war ihr Gemach eher spärlich eingerichtet. Ein Nachttopf war in einer Nische versteckt, wo sich, leicht erhöht auch ein Krug mit Wasser und etwas Seife befand. Auf der anderen Seite war ein Kamin, der jedoch erloschen war, Holz lag auch keines herum. Keine Bilder, kein sonstiger Schmuck.
Hatte dieser Zwerg gestern irgendwas von Elfen geredet? Von anderen Welten? Was sollte das alles? Der alte Mann, dem sie unter der Metro begegnet war, hatte sich ja nur kryptisch ausgedrückt, war ausserdem hochgradig schulmeisterhaft rübergekommen – ein Zeichen dafür, dass er vermutlich selbst nicht wusste, was los war. Sie kannte den Typ. Möglichst viel reden, und wenig sagen. Nicht so ihr Ding. Dafür hatte sie jetzt neue „Freunde“ gefunden, die irgendwas von ihr wollten, und das nicht allzu offen sagten, dafür aber von irgendwelchen Märchengestalten zu erzählen begannen. Wirklich ausgezeichnet. Also wenn das wirklich eine andere Welt war, hatte sie es bislang ausgezeichnet gemacht. Sie lächelte. Sie war ein optimistischer Mensch und sah keinen Sinn darin, ständig düstere Gedanken zu hegen. Klar, die kleinen Männer wollten sie irgendwie veräppeln, aber sie selbst war ja nicht auf den Kopf gefallen, also konnte sie damit umgehen. Elfen… das war ja lustig. Sie schüttelte langsam den Kopf.
Es klopfte nun an die Holztür und sie öffnete sie sogleich. Sie gehörte nicht zu den Leuten, die etwas auf die lange Bank schoben. Wenn hier was faul war, würde sie es früh genug herausfinden, und vorläufig waren die ja alle ganz freundlich.
Der Zwerg – Bart, Kapuze, eine Axt um das Hüftgelenk – wenn das kein Zwerg war, wusste sie ja auch nicht, was dann ein Zwerg wäre… - der Zwerg begleitete sie zum Esssaal, wo sie ja auch gestern Abend schon etwas zu futtern bekam, was sich ihr auf biochemischen Prozessen aufgebauter Magen selbstverständlich gemerkt hatte, und so brummte er bereits, als er den feinen Käse sah und das unvergleichliche Brot, das bereits gestern serviert worden war. Sie tranken ein seltsames Gebräu, das sie irgendwie an Tee erinnerte, irgendwie aber auch völlig anders schmeckte. Sie wollte sich nicht erneut die Blösse geben, und verzichtete darauf zu fragen, was sich darin befand. Stattdessen sagte sie, «nun mal raus mit der Sprache, das von gestern Abend war doch nicht alles, was ihr von mir möchtet?»
Dies löste in den anwesenden Zwergen, auch der im violetten Gewand war wieder dabei, ein unruhiges Sesselrutschen aus, von dem sie bislang nur in Geschichten erzählt bekommen, selbiges aber noch nie live gesehen hatte. Nun ja, es war ein ulkiger Anblick und sie lächelte. Dabei zeigte sie offenbar ein bisschen zu viele Zähne, denn einer der Zwerge entschuldigte sich und rannte in einen Gang.
«Was hat er denn?»
«Nervösen Magen»
«Und was wollt ihr?»
«Wissen»
«Und ihr glaubt, ich wisse das, was ihr möchtet das ich es euch gebe?»
«Ja.»
«Also, das mit den Elfen ist Quatsch oder?»
«Weißt Du nicht wo Du bist?»
«Eben gerade war ich noch in einem dunklen Gang, hatte meine Katze dabei und auf einmal – schwupp – wachte ich in hohem Gras auf. Nein, ich weiss es nicht – sollte ich?» sie lächelte aufmunternd, lächeln konnte sie gut. Den Zwergen war ihr Lächeln offenbar egal.
«Du bist auf dem Refugium der Elfen.»
«Das ist ein Scherz.»
«Nein.»

Von diesem Punkt an, wölbte sich ihre Stirn wieder in die Klimaregion leichter Regenschauer, mit Anzeichen von Gewittern, und wären die Zwerge wenige Stunden zuvor bei ihr in der Wohnung gewesen, hätten sie jetzt vielleicht Angst bekommen. Waren sie aber nicht, daher nahmen sie es gelassen. Das Gespräch nahm nun einen etwas anderen Verlauf. Dabei wurde ihr mitgeteilt, wo sie sich befand, was sie nicht wirklich glaubte, aber es erstmal dabei beliess, anschliessend erzählten sie ihr die gleiche Story wie schon am Vorabend, und auch das glaubte sie nur bedingt, bis sich die Zwerge schliesslich dazu herabliessen, ihr reinen Wein einzuschenken, ein Getränk, das offenbar ebenfalls aus Hopfen und Malz bestand, der ihrer Meinung nach inzwischen vergoren war.

«…und aus diesem Grund brauchen wir Deine Hilfe.»
Sie überlegte. Was konnte sie den Zwergen schon an Technologie berichten? Ohne Elektrizität waren die Gerätschaften, die sie kannte, und von deren Funktionsweise sie ungefähr so viel wusste, wie von ihrem Computer, also gar nichts, einigermassen nutzlos. Sie dachte an ihren Job auf der Erde. Wobei sie nach wie vor der Meinung war, irgendwo auf der Erde zu sein – was streng genommen gar nicht mal so falsch war, wenn auch nicht ganz richtig. Als 3D-Designerin hatte sie natürlich nicht nur mit dem Computer zu tun, sondern auch mit dem Design, das sie jeweils zusammenbaute. Ihr Computer war weit davon entfernt, ähnlich hochstehende Bilder zu produzieren, wie der Raum, in dem die Beobachterin dem Alten und dem Jungen die Lage schilderte. Sie musste daher zumindest eine Ahnung davon haben, was sie konstruierte, damit dieses anschliessend in Dateiform von einem Gerät zum nächsten gereicht werden konnte.
Und darunter waren durchaus auch mechanische Geräte, die für den Acker- und auch den Minenbau verwendet wurden, nachdem einige Ingenieure anhand der Bilder Aufträge an die Fabriken erteilten. Sie konnten also ins Geschäft kommen – doch sie wäre kaum eine der intelligentesten Frauen des Planeten Erde gewesen, hätte sie dabei nicht auch an das Wohl ihres Clans – der Uneinsichtigen, wie sie von den Kontrolleuren genannt wurden – gedacht. Und so handelte sie einen Vertrag mit den Zwergen aus, von denen wir wissen, dass es Tiefengnome sind. Und in diesem Vertrag war auch von Hilfe die Rede, für jene Menschen, die gerne Gedichte schrieben und lasen, und sich von alten, längst verstorbenen Geistern inspirieren lassen mochten. Ein Pakt wurde geschlossen zwischen der Menschenfrau und den Tiefengnomen. Und er sollte beiden zum Vorteil gereichen. Ob der Plan auch für beide Seiten so vorteilhaft aufging, das werden wir sehen.


Derweil vor dem Tor zur „Zwergen“-Binge. Es standen dort drei Geister. Schon in der Nacht nur schwerlich zu erkennen, waren sie nun kaum mehr als ein flüchtiges Zittern in der Luft, wie man es auf den Highways sehen konnte, damals, als jeder der ein Auto hatte, das noch sehen durfte. Die Tiefengnome, die sich weder mit Autos noch mit Highways allzu gut auskannten, erkannten das natürlich nicht. Sondern sie erkannten, dass sich dort irgendetwas Magisches befinden musste, was die Luft derart verzerrte. Zwar waren sie keine Magier, weit davon entfernt Druiden oder gar Elfen zu sein, aber sie waren gute Beobachter. Sie hätten sich mit den Kontrolleuren womöglich gut verstanden, so gesehen war es ein Glück, dass die junge Frau ihnen zuvor gekommen war. Die Geister waren erkannt. Und da die Tiefengnome raffiniert waren, hatten sie für derartige Begebenheiten eine ausgeklügelte Logik. Jedes Wesen war von irgendwas gesteuert. Auch Geister mussten logischerweise von irgendwas gesteuert sein. Und auch wenn Geister sich von den physischen Dingen gelöst hatten, war es durchaus im Bereich des Möglichen, dass sie ähnlich dachten, wie es andere – lebendigere, wenn ihr mir den Ausdruck erlaubt – Geister tun würden. Sie öffneten also das Tor, um anzuzeigen, hier geht’s lang. Und siehe, die Geister folgten der Aufforderung ohne grosses Nachdenken. Das gleiche machten die Gnome anschliessend mit drei weiteren Türen, und das Flimmern war alsbald in einem düsteren Loch eingetroffen, worin sie von einem Tiefengnom angesprochen wurden, der sie zwar nicht sehen konnte, aber zumindest arrogant genug war, um sich das nicht anmerken zu lassen.
«Werte Gäste, was können wir für euch tun?»
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie ein Geist auf so etwas antwortet. Wohl konnten sie ihn hören, sich ihm verständlich zu machen, das war ihnen aber nicht beschieden, denn der Gnom träumte nicht, sondern war hellwach. Sie mussten ihm etwas zu trinken geben, das war der Einfall des blauen Geists, der sich als Mensch stets an die Vorschriften hielt, zumindest wenn diese ihn nicht an der Ausübung seiner Pflicht hinderten. Der weisse Geist machte sich also an die nächste Weinflasche heran, und konzentrierte seinen Astralkörper darauf. Das funktionierte, der Wein wackelte. Der Gnom war wie gesagt von einer raffinierten Spezies, und er erkannte die Zeichen der Geister, als das was es war. Um es genau zu nehmen, hätte er sich so oder so, demnächst über die Weinflasche hergemacht, eine Spirituelle Anweisung dazu zu erhalten, machte es aber natürlich einfacher für ihn, seine tägliche Ration etwas aufzustocken. Er rief denn auch nach seinem Diener, der ihm bitteschön, noch einmal eine Kiste mit diesen Flaschen bringen sollte, dies sei die Anweisung der Geister und man möge sie so schnell wie möglich erfüllen.
Es ist nicht bekannt, ob es etwas Erbärmlicheres gibt, als einen Tiefengnom der sich allein in seiner Höhle betrinkt, aber die Geister nahmen es gelassen. Genau genommen nahmen sie fast alles gelassen in letzter Zeit. Was natürlich daran lag, dass nicht eine Tonne von Gefühlen, Erinnerungen und spontanen Reaktionen auf ihre Umgebung ihnen die Gelassenheit stahl.
Alsbald war der Gnom so weit – sich mit ihnen zu unterhalten.
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Re: Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

Und aus der Dunkelheit sprach eine Stimme zu ihm - und sie sprach Worte, die er selten vernahm. Er wusste wenig von der Dunkelheit und wenig vom Dunkel. Er war ein freier Mann. Er war ein hoher Mann. Viele Menschen taten was immer er für sie bestimmt hatte. Taten, was richtig und harmonisch war. Denn er hatte - gemeinsam mit anderen - eine Welt erschaffen, die ihresgleichen suchte, im Multiversum. Es gab auf dieser Welt keinen Krieg, kaum Streit, und jeder war dort wo er sein sollte, tat was er tun sollte. Und dieses Tun, das half dem Grossen und Ganzen, dieses Tun war eins mit der Welt, eins mit ihm, der all dies erdacht und gemacht. Doch kaum jemand war, wie er nie vergass, wirklich befreit. Vom Tod. Dem Schnitter, dem Mann in Schwarz, dem Sensenmann. Er war die Nemesis, er war der Wahrheit letzter Schluss. Er war Dunkel. Das wohl war er. Und er war mächtiger als alles andere auf Erden. Er erreichte wen immer er zu erreichen hatte. Schnitt ab den Lebensfaden, den die Wesen mit ihrem Körper verbanden und es war durchaus so, dass er derjenige war, der sie letztlich tatsächlich befreite. Denn er war das Ende, das Neuanfang verhiess.
Der Mann war ihm lange Zeit entflohen. Er war in einem ständigen Katz und Mausspiel mit ihm. Seine Wissenschaftler halfen ihm, zu fliehen. So konnte er Leben, leben leben Leben!
Noch war die Zeit nicht gekommen sich von diesem Leben zu verabschieden, noch war da Zeit, erkauft durch Genetik erkauft durch Wissen, gar mächtiges Wissen. Doch eines wusste auch er. Wusste es in seinen Gedanken, seinem Sein, und manchmal ja da war er. Der Tod. Und sprach zu ihm. Lockte ihn. Versprach ihm ein neues Leben, ein Ende der Qualen, ein Ende dessen, was ihn daran hinderte gänzlich loszulassen von der Welt von dem was er erschaffen hatte, Kraft seines Angesichts. Denn er war stolz und er war froh, konnte er der Welt bieten, bringen, was er als richtig erachtete: Endlosen Frieden.
Dafür opferte er - nun bald seit 40 Jahren - seinen eigenen Frieden, seine Lebenszeit war überfällig, gar überfüllt. Er sollte schlafen. Doch im Schlaf, wie auch in dieser Nacht, da traf er allzu oft mit dem düstren Skelett zusammen, spielte Würfel mit ihm, Nacht für Nacht - Schlaf für Schlaf. Doch er konnte einfach nicht aufhören zu spielen, die Menschen, sie brauchten sein Wissen, seine Führung, sie brauchten ihn. Er musste weiterspielen, so lange er gewinnen konnte, solange er gewinnen konnte, würde er spielen. Denn nichts liess ihn erkennen: er, war nur Teil von Gaia. Nicht Gaia selbst. Er hatte Pläne, er hatte das Wissen und die Macht diese umzusetzen und er wollte dies tun. Denn er war ein sozialer Mensch, einer der sich um andere kümmerte und sich selbst stets in die hinteren Ränge verwies. Oh. Ja. Ja, Tod, Du hast Recht, ich bin der Führer, bin der der die Schafe leitet, aber Tod, verstehst Du nicht, ohne mich da kommen die Wölfe und reissen sie in Stücke. Kommen Krieg und Chaos und erdrücken die Harmonie auf Erden. Siehst Du's nicht ein? Lass mich leben, ich bringe ihnen das Licht.
Und der Tod, er lächelte - das tat er immer. Das lag in der Natur eines Skeletts - das war der Weg des Todes. Lächelnd die Zwänge des Daseins zu durchschneiden. Die Zwänge aufzulösen, als hätte es sie nie gegeben. Er war nicht beliebt. Doch er war der Wahrheit letzter Schluss. Und jede Seele war ihm - letztlich - dankbar.
Der Kontrolleur wachte schweissgebadet auf. Er blickte in seiner Kammer auf, die sich im Ministerium befand - sein Herz klopfte laut in der Stille der Nacht. Die ersten Lichtschimmer der aufgehenden Sonne schienen durch das Fenster. Das Fenster zur Welt - zu seiner Welt, die er so überhaupt nicht loslassen konnte. Nicht durfte! Nicht durfte...

Das Kricket Spiel endete schliesslich und die Elfen sammelten sich um die Feuerstelle herum. Dem Druiden fiel auf, dass die bunte Elfenschar, die in grünen, braunen, ja sogar roten und violetten Tönen gekleidet waren, in verschiedenen Grüppchen zusammen standen. Ob dies ein System hatte, oder gänzlich dem Zufall überlassen war, konnte er nicht erkennen. Möglicherweise handelte es sich dabei um Familienclans, denn allein an den Kleidern liess sich nicht erkennen, wer miteinander verbunden war. Die fein gestickten Symbole sagten dem Druiden nicht viel - manche glaubte er aufgrund seiner Lehren wieder zu erkennen. Andere waren offenbar rein dekorativ. Die Männer waren teils mit Frauen zusammen, die Arme auf feste Weise umschlungen, andere standen weit entfernt vom anderen Geschlecht, einer sogar gänzlich allein im Wald.
«Was ist mit diesem?», fragte der Druide seinen Gastgeber, wobei er auf den Einzelgänger zeigte, «sammelt er Kräuter in den Wiesen, oder stellt er mehr, die Verbindung zu den Bäumen her?»
«Nein. Nichts dergleichen.», antwortete der Elf sonderlich brüsk. Danach schien das Thema für ihn erledigt. Der Druide fragte nochmals nach. Als der Elf antwortete verlor er sein ganzes Strahlen und war auch im Reimen nicht länger so gekonnt, wie er es bislang unter Beweis gestellt hatte. Anscheinend hatte der Einzelne aus eigenem Antrieb beschlossen, sich nicht einem der Grüppchen anzuschliessen und sich stattdessen der Natur und der Sonne, wie er es ausdrückte, zuzuwenden. Anscheinend war das für den Elf mit dem sich der Druide unterhielt eine sehr ungewöhnliche Entscheidung. «Seht wohl her, druidischer Freund, wir Elfen sind ein Volk von Einigkeit gesäumt. Doch wie der Wald besteht aus Buchen, Tannen, Föhren - so bestehen wir auch aus mehreren Bögen. Ein Bogen das ist unser zuhaus, so war’s schon immer, so ist’s Brauch.»
Offenbar war der Einzelne nicht bereit gewesen, diese Differenzierung zu akzeptieren. Er warf ihnen vor, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen, und wollte fortan, keinem der Bögen angehören, was ihn jedoch bei den anderen in ein schiefes Licht rückte. Es mochte zwar stimmen, dass es hin und wieder schwierig geworden war, beispielsweise Hochzeiten zwischen verschiedenen Bögen stattfinden zu lassen, und auch die Kricketspiele nahmen mehr und mehr an Ernsthaftigkeit zu, doch es war den Elfen nicht vergönnt, zu erkennen, dass der Einzelne das Übel der Wurzel durchaus erkannt hatte. Der Druide konnte als Besucher den Blick unmittelbar auf die Probleme richten, die sich durch eine derartige Separierung ergeben konnten.
«Seht Druide, Tradition ist wichtig, sie bestimmt, was für uns ist richtig. Wertet nicht ohne zu sehen, was ihr so oder so nicht könnt verstehen. Nur als Beispiel beim Spiel mit Ball, er hat kein' Bogen, nimmt so nicht Teil, im Fall!» Der Druide wusste nicht ob er von des Elfs Erregtheit in der Sache belustigt oder besorgt sein sollte, und nahm an, dass beides seine Berechtigung hatte. «Da keinen Bogen er zu Eigen», sagte er, «ist's wohl zu meinen, er ist sein eigner. Könnten wir die Quest kurz unterbrechen - ich muss tatsächlich mit ihm sprechen.»
Der Elf schürzte die Lippen, und ein bedrohliches Glitzern in seinen Augen hatte den sonst so fröhlichen Ausdruck von seinem Gesicht gewischt. «Wie ihr meint.» Er bedeutete dem Elf unverzüglich herzukommen, was diesen nicht sonderlich zu interessieren schien, aber er kam, wenn auch mit dem Gang eines Mannes, der gerade so per Zufall sowieso in diese Richtung schlendern wollte. Er wurde dem Druiden vorgestellt, danach gingen sie zum Wald. Die Elfen löffelten unterdessen eine Suppe aus, danach wurden die letzten Vorbereitungen für die Befreiung der holden Maid getroffen.

Sie schlenderten durch den Wald, der mit moosbehangenen Stämmen aufwartete, Sonnenlicht flutete durch die Buchenblätter. Ein Fluss plätscherte in der Nähe und glitzerte silbern wenn sich das Licht in ihm brach.
«Ihr verzeiht, wenn ich auf das traditionelle Gereime verzichte, doch mir ist gerade nicht danach», sagte der Elf, «es ist nicht klug, euch mit mir zu unterhalten. Das wird wieder monatelang zu Diskussionen Anlass bieten. Aber wo ihr nun schon einmal hier seid, lasst uns das Gespräch beginnen. Die Elfen sind ein uraltes Volk. Manche unter ihnen sind mit einer Gesundheit gesegnet, die es ihnen ermöglicht, Jahrhunderte zu überdauern. Im Laufe der Zeit wurden viele Sitten und Gebräuche geschaffen, die ein Zusammenleben derart langlebiger Geschöpfe ermöglicht haben. Die Traditionen sind wichtig. Aber sie wurden allzu starr. Wenn sich heute eine Frau in einen Mann verliebt, der einem anderen Bogen angehört, tut sie gut daran, diese Liebe in ihrem eigenen Bogen nicht an der grossen Tanne einzuschnitzen. Erst wenn sie sich dem Mann geöffnet hat - bibbernden Herzens, denn wenn er sie nicht ebenso liebt, könnte das für sie und ihren Ruf Konsequenzen haben - nur wenn beide einander bejaht haben, und bereit sind, zueinander zu stehen, komme da was wolle, kann ihre Liebe gedeihen. Meines Erachtens ist das keine gute Entwicklung. So wie die Frau nie ganz Teil des Bogens ihres Mannes wird, ist auch der Mann beim Bogen seiner Frau meist nur ihr Anhang. Selten mehr. Sogar wenn sich fragile Freundschaften mit den verschwägerten Bögen entwickeln, sind diese nie so offen und frei, wie sich das die Elfen gewohnt sind. Und die Kinder entscheiden sich dann für den einen oder anderen Bogen, was oft sehr schwierig ist, für das andere Elternteil. Nein, diese Situation ist unerträglich und wirft einen Schatten auf die Elfen - auf den Wald der Elfen, wie ich alle gemeinsam bezeichne.»
«Was genau ist denn ein Bogen?»
«So etwas ähnliches wie eine Sippe, nur dass es über Verwandtschaft hinaus geht. Gemeinsame Interessen, die Stickmuster auf den Kleidern, die Orte, wo man sich zur Jagd und zum Ausreiten trifft, es ist wie eine Kultur innerhalb der Kultur. Dabei gehört doch der ganze Wald allen Elfen! Dabei sind wir eins mit den Naturgeistern, weil wir Elfen sind, nicht weil wir dem einen oder anderen Bogen angehören. Die Naturgeister wissen das. Die Elfen haben es vergessen.»
«Glaubt ihr, andere werden eurem Beispiel folgen?»
«Genaugenommen tun sie das bereits. Allein schon die erwähnten Liebenden, die oftmals stets nur zu zweit auftreten, und auch manche ihrer Kinder - sie leben bereits nicht länger in ihren angestammten Bögen - auch wenn sie noch deren Muster auf der Kleidung haben und die jeweiligen Regeln der Bögen nachleben. Im Vordergrund gehören sie dazu. Im Herzen, wissen sie, dass sie frei sind - ja eigentlich gezwungen sind zu sein.»
«Zum frei sein gezwungen - das ist nicht wirklich frei…»
«Recht habt ihr - darum habe ich diesen Schritt gewagt. Damit sie merken, dass sie nicht völlig allein sind. Denn viele dieser gezwungenermassen Freien, sie fühlen sich wie Verräter an ihrem Bogen, oder glauben, sie wären die einzigen mit diesen Problemen. Ich veranstalte hin und wieder Treffen. Damit ein Austausch stattfindet, damit sie sehen, dass nicht sie das Problem sind, sondern die Tradition.»

Nun wusste der Druide, woher Shakespeare seine Inspirationen hatte. Wie lange ging das schon so? Es war nicht wichtig. Er sah die Argumente des Einzel-Elfs. Aber er sah auch, dass dessen Vision unter einem schwierigen Stern stand. Die Sitten der Elfen waren mindestens seit ihrem Kontakt mit dem Autor von Romeo und Julia, also seit mehr als 400 Jahren unverändert kompliziert. Vermutlich länger, und in all der Zeit konnten all die Liebespaare nur wenig daran ändern. Sie würden einander nicht der Gefahr aussetzen, vom jeweiligen eigenen Bogen abgelehnt zu werden. Doch immerhin – gäbe es mehr von seiner Sorte, Ungebundene - auch nicht von seinem Herz gebunden - so könnte es durchaus sein, dass sich etwas veränderte, mit der Zeit. Er sah den Elf an. Dieser war nicht hochnäsig. Er war auch nicht allzu verspielt. Eine ernsthafte, ja für einen Elf geradezu erwachsene Mine zierte sein Gesicht. Und doch wirkte er so jung und schön, wie alle von seiner Art. In seinen Augen sah er nicht Stolz – sondern Würde. Der Einzel-Elf wusste, dass er sich mit seinen Handlungen auf einen unmöglichen Posten gesetzt hatte. Er wusste aber auch, dass dieser Weg der einzig richtige für ihn war. Der Druide wünschte ihm den Segen Gaias.

Danach kehrte er zurück zu den Elfen, sein Begleiter blieb im Wald. Die Elfen hatten ihre Vorkehrungen abgeschlossen und waren bereit zum Aufbruch. Und so machten sie sich auf – zu den Toren der Tiefengnome. Um mit ihnen einige ernste Worte zu wechseln. Wenn sich Elfen bewegen, so sieht niemand Fraktionen und Gruppen, keine Bögen und Sippen. Wer die Elfen wandern sieht, mit bunten Kleidern und Wipfeln und Minnesängern und lachenden Kindern. Die alle gemeinsam pure Lebendigkeit und Fröhlichkeit ausstrahlten, wer hätte da vermutet, wie tief die Schluchten zwischen Einzelnen von ihnen waren? Gaia gibt ihnen und uns und allen Lebewesen Brücken, doch sie sind unsichtbar. Nur wer den Mut hat, seinen Fuss auf die Brücke zu setzen – auch auf die Gefahr hin sie zu verfehlen und in die Schlucht zu fallen – kann die Brücken finden. So gibt Gaia uns den freien Willen und so gibt sie uns Beistand zugleich.

Sie materialisierten nahe einer Feuerstelle. Das Leben in Gaia neigt zu Wiederholungen. Es wurde schon spekuliert, ob das einfach die Begrenzung war, die Gaia überwinden wollte, oder ob es einen tieferen Sinn hatte, dass Situationen und Geschichten sich des öfteren häuften, immer wieder nachgespielt und nachgeahmt wurden, oder ob es gar reiner Zufall sei. Natürlich könnte man in diesem Fall anfügen, dass es gar nicht so seltsam sei, dass alle an der gleichen Stelle des Elfenplaneten herauskamen, so auch die Beobachterin und der Uneinsichtige. Andererseits war das Universum ziemlich gross und sie hatten eine Katze dabei. Katzen veränderten normalerweise die Umstände in denen sich die menschlichen Tragödien, Schicksale und Liebschaften abspielten. Offenbar gab es einen Grund, warum die Katze diesmal nicht in das Schauspiel eingriff und die Rollen neu verteilte.
Warum sie das nicht tat, verrät sie uns nicht, doch immerhin: sie schnurrt, als die Beobachterin sie streichelt. Dabei blickt die schwarzgekleidete Frau auf meterhohe Grasstängel und blinzelt im morgendlichen Sonnenlicht. Sie war etwas durcheinander. Eben noch waren sie in einem muffigen Raum, nun aber in der freien Natur. Einem Ort, den sie nicht allzu oft aufsuchte, ihr gefiel die Stadt und ganz besonders gefiel ihr das Ministerium. In der Stadt war Leben, war etwas da, für das es sich zu leben lohnte: Menschen mit denen man spielen konnte, Situationen denen man sich stellen konnte. In der Natur war so etwas nicht zu finden, da gab es wohl Tiere und Pflanzen, aber deren Aufmerksamkeitsspanne war ihr dann doch etwas zu gering.
Auch der Uneinsichtige blickte mit offenem Mund staunend in die Landschaft und war sich gar nicht bewusst, dass er soeben genau dort gelandet war, wovon er immer geträumt hatte: einem Ort, an dem es keine Kontrolleure gab. Einer Welt in einer Welt. Wie wir inzwischen wissen, war auch in dieser Welt nicht alles nur eitel Sonnenschein, doch für den Moment schien sie, und so war es eigentlich schade, dass er es nicht wusste.
Die beiden Menschen waren gedankenverloren, lauschten dem Rauschen der Gräser, weit entfernt hörten sie das Gekreische von Vögeln, vermutlich Bussarde oder auch Habichte, die mit fernrohrartigen Augen kilometerweit das Land nach kleinen Mäusen und anderen Beutetieren absuchten, bevor sie sich fallen liessen und blitzschnell angriffen. Die Menschen brauchten einen Moment um sich zu sammeln, um ihre Gedanken zu ordnen, wieder zu sich selbst zurückzufinden, sich einzugestehen, dass sie tatsächlich hier waren, wo auch immer das war. Danach bauten sie ohne grössere Schwierigkeiten ihre Filter ein, und stellten sich der Situation.
«Ihr seid voller Überraschungen, grosse Kontrolleurin!», höhnte der Uneinsichtige, der aufgrund des plötzlichen Ortswechsels einen Teil seiner Unangepasstheit zurückgewonnen hatte, und sich nun einbildete der Frau die Stirn bieten zu können. «Ist das der Ort an den ihr jene deportiert, die Eurer Kontrolle zu entgehen versuchen?»
«Weisst Du eigentlich, dass Du manchmal etwas starrsinnig wirkst?» gab sie zurück. «Warum beharrst Du so darauf mein Feind zu sein?»
«Warum? Das fragst du nicht wirklich, oder? Ich sage Dir warum, weil ich weiss, was mit den Menschen geschieht, die ihr einfangt. Weil ich die Berichte kenne, darf ich zitieren?»
Ohne abzuwarten, was sie dazu meinte, zeugte ihr Gesichtsausdruck jedoch bereits davon, dass es ihr nicht gefallen würde, wiederholte er eines der Gedichte, die unter der Hand verteilt wurden.

Bist frei wie ein Vogel
Kannst lesen und hören
Dann achte das Dunkel
Flieg hoch und weit
Geben sie Vögeln zu trinken
Ist nicht Wasser der Trunk
Lässt Ohren zuwachsen
Und Augen nachlassen
Flügel gestutzt
Kannst nicht mehr fliegen

Die Beobachterin runzelte die Stirn. «Was soll das, ein drittklassiges Gedicht, ohne die Tiefe der Werke von einst. Was glaubst Du zu wissen, dass es Dir erlauben würde in einem derart gehässigen Ton mit mir zu sprechen?»
Es waren Situationen wie diese in denen der Uneinsichtige wirklich daran glauben mochte, dass sie gewinnen konnten. Die Kontrolleure waren derart unkreativ und nicht fähig zu erkennen, was offensichtlich war… Doch dann wurde ihm wieder bewusst, dass er es hier mit einem Profi zu tun hatte. Diese Frau tat vermutlich nur so, als würde sie es nicht verstehen.
«Ihr wendet finsterste Genetik an, um die Menschen gefügig zu halten. Wenn ihr einen der unseren eingefangen habt, kommt er in eines eurer Zentren, worin ihm mittels allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Technologie, an die Ihr so sehr glaubt, völlig neue Gedankenmuster gewinnt. Oder besser gesagt, seine Denkfähigkeit verliert.
Nicht genug damit, dass ihr uns auf diese Weise gefügig macht, sodass wir gar nicht mehr fähig sind, uns an die Freiheit zu erinnern, nein – falls es nicht klappt und zur Sicherheit, wendet Ihr übelste Erpressung an. Studienkollegen und sogar Menschen die mit der Untergrundbewegung überhaupt nichts zu tun haben, werden von euch bedroht, und es wird einem klar gemacht, dass es in deren Interesse wäre, sich an die Regeln zu halten.»
«Das sind doch völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen! Wir erpressen niemanden! Wozu auch? Und die „Hirnwäsche“ von der Du sprichst, ist nichts weiter als die Vorführung der Errungenschaften unserer Welt. Wir müssen niemanden erpressen oder manipulieren, damit er einsieht, dass unser Weg der einzig richtige ist, um Chaos und Krieg von der Menschheit fern zu halten.»
«Sagt ihr das? Ich sage ihr wisst ganz genau, dass ich Recht habe, nur könnt ihr es nicht einsehen, weil für euch das alles nur ein Spiel ist, aber ihr spielt mit den Menschen…»
Er redete noch eine Weile, doch er hatte damit bereits den Wunden Punkt in ihr berührt. Und sie war tatsächlich berührt, so seltsam ihr das gleichzeitig auch vorkam. Sie war doch gar nicht so. Sie hatte ein Herz. Sie mochte die Menschen, und es käme ihr nie in Sinn, ihre Spiele als Manipulation zu sehen. Andererseits… war es schon möglich, dass sie an der einen oder anderen Sitzung im Central Plaza von Praktiken gehört hatte, die an diese Art Vorwurf zumindest nah ran kamen. Doch der junge Mann verstand sie nicht. Verstand überhaupt sehr wenig.
«Darf ich Dich mal kurz unterbrechen?» fragte sie in versöhnlicherem Tonfall. «Wo wir sind, ist mir nicht klar. Wo wir jetzt hingehen, hingegen schon. Wir suchen noch immer diese blonde Frau, und ich denke wir haben hier in meinen Armen ihren Kater.»
Der Kater hob den Kopf und tat, was Katzen in solchen Situationen immer tun, er streifte auf herzerweichende Weise mit seinem Kopf über ihren Oberarm.
«Lass uns also das Kriegsbeil einstweilen begraben, und dann machen wir uns auf den Weg. Soweit ich sehe, hat es hier keine Kameras, also kann ich Dich nur bitten, mich an einem fremden Ort nicht einfach allein zu lassen. Irgendwie kommen wir hier auch wieder weg, aber bis dahin bleibt uns nur, an unserem Ziel festzuhalten, denn es ist momentan das einzige was uns bleibt.»
Der Uneinsichtige sah ein, dass ihre Karten durch den seltsamen Ortswechsel neu gemischt worden waren. Es hiess also neu anzufangen und zu sehen, was sich daraus ergab. Ganz dämlich war die Beobachterin offenbar nicht, und womöglich liess sich aus dieser Situation ja doch noch ein Gewinn für die Bewegung erzielen. Sie war genau so auf ihn angewiesen wie er auf sie. Sie sollte nur nicht denken, dass er nicht merken würde, dass sie ihn manipuliert hatte. Oder doch – eigentlich sollte sie genau das denken. Mal sehen, wer bei diesem Spiel die besseren Karten zog.
Einstweilen neu formiert, begaben sie sich auf die Hügelkuppe wo die blonde Frau vom Druiden zuletzt gesehen wurde. Der Kater wurde seltsam nervös, was den beiden Menschen durchaus auffiel. Er spürte, dass sich hier die Wege des Druiden von seiner Menschin getrennt hatten, und war hin und hergerissen. Einerseits war da ein Versprechen, das er dem Druiden gegeben hatte, andererseits war seine Bindung zu der Frau natürlich dank jahrelang erhaltenen Streicheleinheiten stark gewachsen. Da er sowieso keine Möglichkeit hatte, die beiden Menschen zu informieren, überliess er ihnen die Entscheidung. Naturgemäss stritten sich die beiden alsbald darüber, ob sie dem Wald folgen oder die Ebene betreten sollten. Menschen stritten immer, das war ein seltsames Paarungsverhalten, das der Kater mehr als einmal bei dieser sonderbaren Spezies beobachtet hatte.
Sie entschieden sich für den Wald.


Kapitel 4
Die Geister sammelten sich um den Tiefengnom. Dieser war gerade dazu übergegangen den Zustand der Betrunkenheit in den Zustand des Deliriums zu verwandeln. Dafür gab es kein physikalisches System, zumindest taugten diese nicht viel. Im Delirium werden viele Dinge ziemlich klar - andere dafür umso unklarer. Wer im Delirium die Augen weit aufmachte, konnte Dinge und Wesen sehen, die ihm sonst verborgen blieben. Normalerweise handelte es sich bei diesen aber um Wesen, die mit Betrunkenen nicht allzu viel anzufangen wussten. Nur selten kam es vor, dass ein Wesen der besonderen Art den Kontakt zu einem Menschen auf diesem Weg suchte. Es gab andere, subtilere und auch etwas gesündere Wege Kontakt herzustellen, und die meisten Wesen bevorzugten diese. In diesem Fall jedoch waren die Geister sehr zielstrebig und gerne bereit einen möglichst guten Draht herzustellen. Und seien wir mal ehrlich, der Tiefengnom hätte sich so oder so die Kante gegeben, also spielte es nun wirklich keine Rolle. Was die Geister nicht wussten, während ihrer Reinkarnation wurden sie aufgrund ihres bisherigen Lebenswandels zu Schutzgeistern. Dem Tiefengnom konnte also wenig passieren, denn sie hatten die Gabe, Vergiftungen zu heilen, und noch einige andere äusserst praktische Fähigkeiten. Der Tiefengnom war also in bester Gesellschaft und nachdem er den Zustand des Deliriums erreicht hatte, gab ihm der blaue Geist - der sich direkt vor seinen Augen befand, die Hand und eine wohlige Wärme durchflutete den Körper des Tiefengnoms, was seine Leber sehr begrüsste. Es fällt den Menschen verhältnismässig leicht Dinge auch weiterhin zu sehen, wenn sie sie einmal gesehen hatten. Manche verwendeten Filter in ihrem Geist, die sie vor allzu vielen Eindrücken dieser Art bewahrten. Manche taten das nicht, und wurden verrückt. Aber wer für die Sichtungen der anderen Welt gut vorbereitet worden war, der konnte ohne Gefahr für seine geistige Gesundheit damit umgehen und sich mit den Wesen unterhalten, so sie sich zeigten. So auch in diesem Fall.
«Ihr seid wirklich hier!»
«Ja wir sind hier», sagte der blaue Geist.
«Was macht ihr hier?»
«Wir suchen eine Frau mit blonden Haaren, ihre Schwingung war in Richtung des Tors auszumachen, und so kamen wir hierher.»
«Oh.»
«Genau.»
«Sie ist hier, spricht gerade mit den Ältesten.»
«Ausgezeichnet, dann bringt uns zu ihr.»
«Zuerst eine Frage: Wie kommt’s dass ich euch sehen kann?»
«Wir wissen es nicht.»
«Seid ihr tot?»
«Ich sag mal - noch nicht ganz…»
Die Geister hatten es nicht eilig. Nachdem sie nun wussten, dass es der Frau gut ging, und dass sie sie bald sehen würden, war soweit alles in Ordnung. Sie konnten dem Tiefengnom, der ihnen bei ihrer Suche den entscheidenden Hinweis gegeben hatte, also durchaus noch mit einigen Antworten eindecken - sofern sie sie kannten.
Der Tiefengnom war insbesondere an den quasi-magischen Eigenschaften, der Zusammensetzung ihres visuellen Bilds und den Funktionen ihrer Avatare interessiert. Also alles Dinge von denen sie nicht die geringste Ahnung hatten. Als er anbot, mit ihnen einige Experimente durchzuführen, bahnbrechend für die Wissenschaft ohne Zweifel aber gänzlich uninteressant für die drei Geister, war der Zeitpunkt gekommen sich zu verabschieden. Der Tiefengnom sah sich einigermassen betrogen, schliesslich war er es, der sie sichtbar gemacht hatte. Ein Irrtum aber ein verständlicher, wenn man die Menge an Wein berücksichtigte, die er für das Delirium aufgewandt hatte. Trotz allem sah er natürlich die Möglichkeiten die sich ihm durch seinen Erstkontakt boten: er war ihr Sprachrohr. Ob die junge Menschenfrau sie sehen konnte, das wusste er natürlich nicht, aber er bezweifelte es dennoch. Im Zweifeln war er gut. Er konnte an Dingen zweifeln, die ihm das Leben sicherlich erleichtern würden, sofern er sie zuliess. Er zweifelte daran, dass sich weibliche Tiefengnome, die Gnamines genannt wurden, mit einem exzentrischen Wissenschaftler wie ihm einlassen würden. Das bedeutete zwangsläufig, dass seine Ernährung und sein Ordnungssinn darunter litten. Es gab keinen Grund ordentlich zu sein, wenn daheim kein liebendes Herz auf einen wartete. Es gab keinen Grund wertvolle Studien- und Ingenieurszeit für das Kochen zu opfern, wenn kein Herz da war mit dem man es teilen konnte. Der Tiefengnom zweifelte auch daran, dass ihm diese Einsamkeit wirklich etwas ausmachte. Er zweifelte daran, dass es sinnvoll wäre mit anderen zusammen Forschung zu betreiben, ja er zweifelte sogar, dass es nutzbringend wäre Lehrlinge auszubilden, die ja doch nur im Weg rumstanden. Er war der geborene Zweifler - kombiniert mit einem Hang zum Trinken, was ihm zweifelsfrei eine Expertenrolle im Umgang mit Geistern einräumte. Er zweifelte denn auch an deren Absichten und teilweise sogar daran, dass es Geister waren. Geister waren niemals so jovial. Geister waren meist mürrisch. Geister waren zweifelsfrei nicht so, wie diese drei seltsamen Besucher hier.
Vorurteile und Zweifel geben zusammen eine seltsame Kombination. Weniger in ihren Gedanken verworrene Kreaturen, konnten dieser speziellen Form des Umgangs mit der Umwelt meist nicht ganz folgen. Andere, die waren in ihren Gedanken nicht so eingeschränkt, taten was grad notwendig erschien, oder sie hatten Visionen, an die sie glaubten. Doch der Geist des Tiefengnoms, der war hin- und hergerissen zwischen den Wundern die er während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu Gesicht bekam, und seinem inneren Drang, alles anzuzweifeln. Er bezweifelte wahlweise, ob dies eine Rolle spielte oder ob es überhaupt so war - doch er liess sich in seinen Zweifeln nicht beirren. Nein, im Gegenteil, sie bestärkten seinen Wunsch mehr über die Mechanik des Universums herauszufinden.
Die gleiche neugierige Anteilnahme liess er nun den Geistern zupass kommen. Er wollte mehr über sie erfahren. Es stellte sich nur die Frage, wie er das am besten hinbekam. Vermutlich wäre es am einfachsten, wenn er mitspielte und sie im Glauben liess, ihnen ihre Geschichte abzukaufen. Ja das klang nach einem Plan.
Der Weisse Geist durchschaute diesen Plan. Denn der weisse Geist war jener, der in die Herzen der Menschen sehen konnte, war er doch der Schutzgeist der Liebe, von denen es immer nur eine Handvoll gab, zu jeder Zeit. In dieser Funktion erkannte er die Zweifel des Tiefengnoms. Denn diese hatten ihren Ursprung in dessen Einsamkeit. Er litt und verdrängte dieses Leid indem er seine Gedanken auf äussere Vorgänge ausrichtete, daran zweifelte, sie untersuchte, sie wieder bezweifelte und dann ein mechanisches Gerät bastelte um sich die Zeit zu vertreiben. Auf diese Weise musste er nicht auf sein Herz hören, das die Gnamines so sehr herbeisehnte. Ein einsames Herz, denn es hatte nicht nur die Entbehrung der Gnamines zu beklagen, sondern auch die Ignoranz dessen, für den es ein Leben lang schlug. Dabei konnte das Herz nicht viel dafür. Das Herz liebte und begehrte. Es lag in seiner Natur dies zu tun. Und so war er ein zweigeteiltes Wesen. Zerrissen.
Der weisse Geist konnte gegen seine neue Natur so wenig tun, wie gegen seine neue Liebe zur blonden Frau. Er wollte nichts dagegen tun. Stattdessen nahm er sich vor dem Tiefengnom zu helfen, so dies möglich sei. Diesen Entschluss fällte er ganz für sich allein. Denn nur er konnte da etwas ausrichten. Dass der fehlende Ordnungssinn des Tiefengnoms gleichzeitig vom Geist der Ordnung erkannt wurde, fiel ihm zu dem Zeitpunkt nicht auf.
So machten sie sich auf den Weg in die grosse Halle und ein jeder hatte wieder einmal seine eigenen Pläne. So war es oft in Gaia. Sie hätte dazu vielleicht gesagt, dass sie das als Lebendigkeit empfand. Doch ob Gaia überhaupt sprach, oder nicht vielmehr nur einfach war, darüber sind sich die Gelehrten nicht einig. Sie teilen jedoch die Ansicht, dass sie nicht ganz so viel von uns verlangt, wie wir selbst.

Der Kontrolleur war frisch geduscht, und machte sich auf den Weg zu den Monitoren. Als er am Tag zuvor schlafen gegangen war, waren die beiden jungen Menschen gerade von denselben verschwunden, doch da er keinen anderen Anhaltspunkt hatte, als diese Monitore blieb ihm keine Wahl. Offensichtlich gab es keine Neuigkeiten. Die Monitore zeigten mehr oder minder interessantes aus dem Leben des Untergrunds - ja sie wussten von fast allen wer sie waren, nur machten sie sich nicht die Mühe einen Kleinkrieg gegen sie anzuzetteln. Im Normalfall taten auch die Uneinsichtigen genau das, was man von ihnen verlangte, nur schon um ihre Tarnung zu wahren, oder besser gesagt, bei dem Versuch sich zu Tarnen kläglich zu versagen. Nur so hin und wieder mussten die Kontrolleure eingreifen, wenn einer oder zwei oder eine kleine Gruppe anfingen von Revolten, neuen politischen Systemen oder sonstigen wahnwitzigen Ideen wie der Einführung von Kunstklassen in den Schulen zu träumen. Dann war der Zeitpunkt gekommen, einige Überzeugungsarbeit zu leisten. Sollten sie doch ihre Illusionen haben, irgendwie anders zu sein, als der Rest der Menschheit - sie waren genau gleich. Wertvolle Mitglieder der Gesellschaft. Wertvolle Arbeitskräfte. Denn eines musste der Kontrolleur zugeben: die Uneinsichtigen waren meist recht intelligent. Das mussten sie vermutlich sein, um den routinemässigen Kontrollen der unteren Sicherheitsstufen - die von dem Wissen der Kontrolleure keine Ahnung hatten - hin und wieder zu entgehen. Aber sie sahen einfach nicht ein, dass ihre seltsame Ausrichtung hin zur Kreativität und Kunst mehr Schaden anrichtete - auf lange Sicht - als damit jemals gewonnen werden konnte.
Er erinnerte sich an das Gespräch mit dem jungen Mann. Einmal hatte er ihm vorgeworfen, dass er "und seine Bande aus Beobachtern" den Menschen die Freude nahmen, Bilder, Worte und all das Zeug zu geniessen. Er antwortete ihm, dass Genuss auch mittels genetischer Mittel hergestellt werden konnte. Das Gefühl war identisch, nur war es nicht länger nötig fünf Stunden in irgendwelchen Museen seine Zeit zu verplempern, nein, man nahm das Mittel hatte den Genuss für die nächsten fünf Stunden und konnte sich wieder der Arbeit widmen. Perfekt. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Warum sahen die das nicht ein? Er schüttelte angewidert den Kopf.
Und immer wieder die Freiheit. Freiheit - was sollte das schon sein? Waren die Menschen auf den Monitoren nicht frei? Sie konnten ihren Tagesablauf mehr oder weniger selbst planen, sofern die Arbeit erledigt war, ja sie konnten sich sogar ihren seltsamen Gedichten widmen, ohne dass die Kontrolleure eingriffen. Wie viel Freiheit wollten sie denn eigentlich? So viel, dass sie wie die Drogenjunkies, die es vor 100 Jahren noch gab, und die der Kontrolleur als Kind des Öfteren gesehen hatte, dahinvegetierten und schliesslich starben? Jeder tat heute das, was er tun sollte. Keine Selbst- und Jobfindungskrisen mehr. Keine Arbeitslosigkeit mehr. Die Uneinsichtigen waren wirklich irgendwie blind auf zwei Augen. Wie viel Freiheit wollten sie? Und was wollten sie damit?
Das Problem, so resümierte der Kontrolleur, war, dass die jungen Leute heute keine Ahnung von der Welt von damals hatten. Das war ihm während des Gesprächs durchaus klar geworden. Der junge Mann träumte von einer Freiheit, die er nie gesehen hatte. Was konnte daraus schon Gutes erwachsen? Der Kontrolleur hatte die Welt fest im Griff - zum Wohle der Welt, wie er nicht müde wurde, sich selbst überzeugen zu wollen. Was er zurzeit nicht unter Kontrolle hatte, das war der junge Mann, der wie vom Erdboden verschluckt schien. Das wurmte ihn eigentlich ein bisschen, aber er war alt genug um sich davon nicht durcheinander bringen zu lassen. Er hatte immer noch genug DNS für einen zweiten Versuch... Ob er jedoch lange genug leben würde, für diesen zweiten Versuch, das wusste er natürlich nicht. So gesehen war es doch etwas mehr als nur ein Wurmen. Der Wurm hatte Tentakel und war ein lästiges Übel geworden. Nicht der junge Mann! Der war genau das was er erwartet hatte, ja sogar insgeheim erhofft. Schliesslich war es keineswegs sicher, dass eine Rekonstruktion wirklich auch im Bezug auf das Gehirn funktionieren würde. Als sich der junge Mann selbstständig für den Untergrund entschieden hatte, war dem frohlockenden Kontrolleur bewusst geworden, dass sein Plan aufgehen würde. Nur dass der Junge jetzt nicht mehr hier war. Verdammt.


Nun endlich näherte sich die Elfenschar der Behausung der Tiefengnome. Dort versammelten sie sich und es waren nicht wenige. Diese Elfen setzten sich zusammen aus Sehern und Weisen, uralten Wesen, die den Anschein erweckten von Anbeginn der Zeit hier zu sein, wo immer sie waren. Diese Wesen teilten ihr Sein mit allem um sie herum, und so war es kaum verwunderlich, dass Tiere und allerlei Feengestalten sich um sie scharten, während sie durch das Land zogen.
Die Sonne hatte die unvergleichliche Stärke im richtigen Moment zu scheinen, immer dann wenn bedeutende Ereignisse sich darum balgten ins Angesicht der Realität gezerrt zu werden, sich innerhalb von Gaia zu manifestieren, dann schien sie und ihr heller Glanz leuchtete auf die Gesichter unter denen die starken Herzen schlugen, die diese Ereignisse in Gang setzen würden. Die Sonne kam manchmal durch Wolken hindurch, wo zuvor tiefste Nebel das Land einhüllten, und sie war da, wenn Verträge unterzeichnet, Pakte geknüpft wurden und Schicksale sich erfüllten. Die Sonne… sie blieb heute abwesend. Dicke Wolken hatten sich getürmt, ein leichtes Nieseln hatte begonnen, seine feine Pracht aus nebelartigem Wasser auf die Elfen und den Druiden niederprasseln zu lassen.
Dieser war mitten unter den Elfen und als Mann der Natur war es ihm zu eigen geworden eine Kapuze zu tragen, denn auch wenn die Dichter und andere verrückte Gestalten der Ansicht waren, dass Sternenhimmel und Sonnenschein zum Wesen der Welt gehörten, wie die Traube zum Wein, so war er dahingehend etwas weiser und er wusste, dass die Natur sich niemals zähmen liesse, denn sie war was wir einfachen Sterblichen fühlten, sie war uns in gespiegelter Reflexion.
Allerdings wurde seine Kapuze mit der Zeit etwas nass. Trotz all seiner Weisheit war der Druide noch immer ein Mensch, dessen Haut gar zögerlich erst auf die Tropfen reagierte, und die Nässe auf seinem Nacken schliesslich doch eher kalt empfand. Die Kapuze war aus reiner Baumwolle und sie zeigte sich förmlich einladend den kühlen Himmelstropfen. Indessen der Druide sich rekelte in seiner nunmehr nassen Kluft, erreichten die Elfen das Tor der Tiefengnome.
Dort versammelte sich alsbald die Schar der Gespaltenen, die sich doch immerzu die Elfen nannten, denn sie wussten nichts ob ihrer Spaltung und wenn sie es wussten, so war es ihnen nur dienlich des Spottes und der Zänkerei. Hier nun traten sie auf, als wären sie geeint, und kein Tiefengnom, der durch die Ritzen in den Felsen rund um das Tor herum gemeisselt spähte, konnte sich rühmen, nicht zu erschauern, von dem Anblick den die Elfen hier boten. Es war zudem schon mindestens eine Weile her, seit die Elfen sich derart geeint zusammen blicken liessen. Zuletzt so hätte ein übereifriger Historiker, von denen es immerzu manche gab, so oft auch versucht wurde, von Despoten und anderen Herrschern, diesem Berufsstand den Garaus zu machen, zuletzt da war dies im Krieg mit den Riesen, die aus direkter Linie von den einstmaligen Germanischen Göttern abzustammen schienen, die sich gemeinsam mit den anderen Fabelwesen dereinst von Terra verabschiedet hatten, als es dort zu heiss wurde, angesichts der vielen Freudenfeuer mit denen sich die Menschen im Spätmittelalter die Zeit vertrieben.
Die Tiefengnome waren leicht überrascht. Nur leicht, denn sie wussten, sie hatten hier eine Frau gefunden, deren Bedeutung über das hinaus ging, was in den vielen Jahren der Getrenntheit von Terra auf dieser anderen Welt vor sich gegangen war. Diese Frau war der Schlüssel, ihr Wissen das Beste, was den Tiefengnomen - ja ihrer ganzen Welt! - passieren hätte können. Sie waren auch nicht unbedingt darauf erpicht, diese Frau einfach so den Elfen zu überlassen, die sie mit irgendwelchem Schnickschnack beeindrucken würden, mit allerlei Zauberei und Tanz dazu verführen, sich ihnen auszuliefern, und ihre Bedeutung, ihre Kara so ganz einfach aufzugeben, für einige Jahre der Glückseligkeit. Nein, so fanden die Räte der Tiefengnome die sich eiligst zusammenfanden, um über die Ankunft der Elfen zu beraten, diesem Verlust einer neuen Ära musste vorgebeugt werden. Und da sich die Tiefengnome nie scheuten einen guten Handel abzuschliessen, sofern dieser ihnen zum Vorteil gereichte, wurde beschlossen, die Elfen Willkommen zu heissen, ihre Pläne zu erraten, und so auf gute Weise deren Abzug in die Wege zu leiten.

«Dieser Wald ist ganz schön dicht. Wohin ich auch schaue, überall dieses Efeu, die Luft so stickig, die Bäume dicht an dicht», sagte die Schwarzgekleidete Gestalt, mit diesem unglaublichen Gesicht, diesem Elfenbeinartigen Schimmer, der die Weichheit ihrer Wangen erahnen liess…
«’Dicht an Dicht’, so bist Du nun zu einer Dichterin geworden, meine liebenswerte Begleiterin?», fragt der junge, uneinsichtige Mann.
Ihre Reaktion war in Etwa was er sich erhofft hatte, ein Straffen der Schultern, eine Zornesfalte, dicht über ihren starken Augen. «Du wagst es also, mich ohne jegliche Rücksicht darauf, dass ich in dieser Welt Deine einzige Hoffnung bin, nach Hause zu kommen, du Jüngling, du weltfremder, steifer Ast, mich herauszufordern? Ich habe ja gehört», fuhr sie fort, «welch jämmerliche Kunst Deine erbärmliche Sammlung von Abgewandten inzwischen zustande bringt. Glaubst Du das liesse sich damit vergleichen, was ich in den verbotenen Dateien schon gelesen habe, Dinge von wahrer Pracht, die ihr niemals…»
Hier unterbrach er sie – nicht eben gelassen: «Was? Du willst ernsthaft behaupten, die Werke von Hemmingwees und Shykspar wurden nicht alle vernichtet? Und Du hast Zugang dazu?»
«Oh Du mein armer kleiner Uneinsichtiger, Du glaubst doch nicht etwa, dass die Kontrolleure ihr Tun und Werken aushalten würden, wenn unser Ministerium ihnen nicht von Zeit zu Zeit einen Ausschnitt aus genau diesen Werken unterkommen liessen?»
Sie lachte, es war nicht das Lachen einer alten, bösen Hexe, sondern das einer jungen, lebenslustigen Frau, die schon lange die tiefe Ironie ihrer Gesellschaft erfasst hatte. Und die sich darin wälzte und jedes Mal fröhlicher wurde, wann immer sie erneut in ihrer Sicht der Dinge bestätigt wurde, dass das Leben ein Spiel war, voller lustiger Wendungen, voller Theater und grosser Worte, hinter denen nicht mehr steckte, als der Wunsch anders zu sein, als der Nächste.
Hier nun überraschte sie der junge Mann, der neben ihr hertrottete, jetzt noch viel mehr einem begossenen Pudel ähnlich, denn eines selbstsicheren Rebellen. Denn er schwieg. Sie hatte ihn anders eingeschätzt, ihre Augenbraue verriet ihre Gedanken, hätte jemand sie gesehen, doch hier waren keine Kameras und ihr Begleiter vergrub sich in den seinen. Sie dachte, er würde nun alles unternehmen, sie auszufragen, woher sie wissen wolle, dass es sich um Originale handelte, er der ja nicht mal die richtigen Namen kannte (hier lächelte sie kurz), er sollte sie fragen, was er tun müsse, um sie zu bekommen, seine Seele würde er verkaufen, doch nein. Er schwieg. Beharrlich noch dazu. Das war nicht lustig.
«Würde es seiner Durchlaucht etwas ausmachen, mich seiner Gedanken teilhaftig werden zu lassen?»
Er seufzte schwer.
«Für Dich ist alles nur ein Spiel, alles nur ein kleines Wettrennen zwischen uns, den Kontrolleuren, Dir und all den gefangenen Seelen Eures erbärmlichen Systems.»
So viel Beobachtungsgabe, hätte ihm die Beobachterin gar nicht zugetraut.
Er fuhr fort: «Doch was, wenn aus dem Spiel einstmals Ernst wird? Wenn Menschen sterben, weil sie für die eine oder andere Sache ihr Leben opfern müssen, oder wollen, oder gezwungen werden? Was ist mit dem Sicherheitsmann, den meine Bekannte einfach so… ich mein… sie war doch… das ist doch alles nur Lug und Trug!» brauste er auf, «es kann doch gar nicht sein, dass sie, die doch genau versteht, wie wichtig…»
Die Beobachterin wusste natürlich von was er sprach. Dies wusste sie nicht etwa, weil er ihr zuvor von der blonden Frau erzählt hatte. Nein. Sie spürte es, so wie es die Art der Menschen ist, zu spüren, wenn ein tiefer Kummer den nächsten Menschen plagt, der sich ihnen offenbart. Nicht unbedingt das, was in den Schulen des Systems gelehrt wurde. Nicht eben das, was sie selbst glaubte. Und doch war es da, dieses Wissen, teilhaftig zu werden, an dem was ein anderer empfand. Mitgefühl. Und mit diesem Gefühl, auf dessen Schwingen fliegend, wie ein Vogel der einem Krokodil die Zähne putzt: Liebe. Zaghaft – zierlich – schwach. Und so unendlich viel stärker als das Krokodil. So unendlich Weise, und… nun sagen wir, verschlagen. So war dies Vögelchen.
Der Rebell er war nun ganz verwirrt. Schon seit einiger Zeit böse, ja wütend auf das blonde Mädchen, dessen Herz ihm nicht zugewandt, deren Wunsch nach Freiheit alle persönlichen Wünsche zunichte machend, dieser Fernen, die nun sogar ein Leben auslöschte für einen Kampf, den sie ja doch nie gewinnen würden. Doch nun öffnete sich ihm neben der Wut eine neue Empfindung.
Diese neue Empfindung war der Schmerz. Das war jener, den er nicht zulassen konnte, ja durfte, denn es war nicht an ihm, über das Schicksal anderer zu bestimmen. Darin unterschied er sich von dem Druiden. Er unterschied sich auch von den beiden Frauen, die sein Herz ergriffen, obwohl er dies von der einen nicht einmal wusste. Doch was ist schon Wissen, angesichts der Emotion. Diese würde immer ihren Weg finden, egal, was einer wusste oder konnte. Diese Unterscheidung machte ihn tatsächlich zu einem Uneinsichtigen, einem der nicht sah, nicht sehen wollte, was für seine Schicksalsbegegnungen ganz normal war: ein jeder beeinflusste den Nächsten. Selbst jene, die ihren Sinn in den Steinen dieser Mauer des Systems fanden, das er anprangerte, sie alle, zeitlebens und oft auch darüber hinaus, beeinflussten, wen sie trafen. So wie die Atome sich von Augenblick zu Augenblick neu zusammen setzten. Mal dicht an dicht und dann wieder nicht.
Er setzte sich auf einen Stein, sein Blick fernab vom dichten Wald, fernab von der Beobachterin, die nun ihn beobachtete.
Nie zuvor hatte sie einen Menschen so beobachtet, wie nun diesen jungen Mann auf dem Stein. Dessen Herz nun weit. Und dessen Sehnsucht unerreicht. Und sie sah, wie er kämpfte, und wie er rang mit seinem Schmerz, wie er schliesslich verlor, wie sich seine Augen netzten, und wie mit dem ersten Schluchzen der Staudamm nicht länger halten konnte, was er in sich ertrug. Und alles was er in den letzten Stunden, Wochen und Monaten erlebt hatte, brach über ihn hinein, sodass selbst die Spechte sich andere Bäume suchten, wo sie in Ruhe nach Würmern suchen konnten.
Sie aber, blieb bei ihm.

Der Kontrolleur war unterdessen unruhig. Es lag daran, dass Gaia nicht allein in denen und um jene herum zu finden ist, die von ihrer Existenz etwas ahnen. Genaugenommen lag es nicht daran, sondern vielmehr an der Kraft, die sich nun im Kontrolleur manifestierte. Er hatte zeitlebens sein Dasein so verstanden, dass er beschützen wollte und musste, was er liebte, das heisst, alle Menschen. Dieser Wahn mag uns und ganz besonders den Uneinsichtigen etwas übertrieben erscheinen, wenn wir sehen, was er aus der Welt gemacht hatte, in der langen Zeit in der er lebte. Und doch kommen wir nicht umhin ihm zugute zu halten, dass Stabilität sein System auszeichnete, das System, das er zu entwerfen mitgeholfen hatte, und das nun Hass und Gleichgültigkeit in die Herzen jener legte, die damit konfrontiert wurden. Womöglich war dem Kontrolleur nicht bewusst, dass er dadurch, dass er dem Tod stets ein besserer Schachspieler war, das Gefüge der Energielinien kräftigst durcheinanderbrachte. Nicht unbedingt mit seinem Leben, schon vor ihm gab es solche, die ein unnatürlich langes Leben hatten, und auch bei diesen streckten Glorie und Zerfall ihre Köpfe zusammen, bestimmten über Jahrtausende die Geschicke und die Geschichte der Menschheit. Doch im Vergleich zu der beinahe greifbaren Stasis, die das Leben des einzelnen Menschen umgab, liessen sich selbst biblische Gestalten kaum vergleichen.
Was der Kontrolleur erreicht hatte, war die Schaffung eines mechanischen Geräts, das inzwischen eine ähnliche Macht über die Menschen inne hatte, wie dies Gaia von Anbeginn der Zeit aufgrund ihres Daseins und ihres Zwecks, Bühne und Regisseur zugleich, für die Menschen tat. Natürlich nur beinahe, wir sprechen hier schliesslich nicht von einer Drittklassigen Gottheit, die mit einigen Zaubertricks die Herzen von Steinzeitmenschen erreichte, sondern vom Ursprung und dem Ende aller Dinge. So weit gedieh auch das System des Kontrolleurs nicht, was man nicht zuletzt auch an der Welt sehen konnte, auf der die Elfen lebten.
Jedoch war auf Terra ein Zeitalter der Stasis und der Sicherheit angebrochen, das in der langen Entstehungs- und Werdensgeschichte von Gaia seinesgleichen sucht. Innerhalb des Systems war es fast unmöglich etwas falsch zu machen. Natürlich konnte ein jeder zu einem der Uneinsichtigen werden, oder wie der Sicherheitsbeamte zu Lebzeiten, die Schönheit der Berge erfahren.
Eine Schönheit die Erwähnung verdient. Wie sich die majestätischen Klippen über die Landschaft erheben, Bäume auf ihnen im Wind tanzend und je nach Jahreszeit ein anderes Schauspiel aufführend, das jedes Menschen Herzen erklingen lässt. Der Berg ist ein unbändiges, veränderliches Lebewesen, dessen Kraft uns überstrahlt, und dessen Grösse nicht nur in der Höhe seiner Spitze gemessen werden kann. Wer die Berge wirklich sieht, versteht mehr von der Grösse des Universums, versteht, warum wir klein sind und versteht, warum wir gross sind. Die Berge sind manchmal unerbittlich, lassen die Sonne nicht scheinen, tauchen manch’ Tal in Zwielicht und geben dennoch Geborgenheit und Schutz. Sie sind Fürsten unter den lebenden Wesen auf Erden und auf anderen Planeten. Sie sind der Planet. Seine oberste Kruste. Berge geben den tummelnden Lebewesen die grösste Ruhe und auch Gefahren und Aufregung in Form von Lawinen und Steinbrüchen. Vulkanausbrüche kommen in einem Menschenleben selten vor, und doch überdauern die Erzählungen und die Auswirkungen Generationen. Berge sind Erbauung, Erholung und Gefahr, Lebendigkeit zugleich.
Doch wozu auch immer ein Mensch sich in dieser neuen Welt bekannte, das System von Kontrolle und Beobachtung hatte seine Finger im Spiel. Oder, würde die Beobachterin hier einwerfen: war das Spiel. Schrödingers Katze war aus dem Sack. Und sie fährt die Krallen aus.
Diese Krallen spürte der Kontrolleur. Er wusste, dass etwas geschehen würde, nicht allein deshalb weil er schon lange lebte. Sondern wiederum, weil es die Art der Menschen ist, zu spüren, wenn sich Veränderungen anbahnen. Tiere spürten dies umso mehr, doch ihre Verbindung zur Welt von Energielinien und dem was wir als Jenseits bezeichnen würden, war natürlicherweise ausgeprägter. Doch selten sprechen die Tiere zu uns, in der Sprache die wir verstehen, öfters ist es so, dass sie ihre eigene Sprache sprechen, und jeder Mensch, der gelernt hat, zuzuhören, ist fortan von ihnen behütet.
Der Kater war gerade nicht im Büro des Aufsehers. (Anm. des Autors: Mist!) Der Kater streifte gerade um die Beine des Uneinsichtigen und schuf damit bewusst oder unbewusst, das müssen jene entscheiden, die die Sprache der Tiere verstehen, eine Atmosphäre in der all das gedeihen konnte, was die beiden Menschen miteinander zu teilen hatten.
Der Kontrolleur war jedoch zurzeit nicht darauf bedacht, die Sprache der Tiere zu erlernen, und Liebeskummer war in Etwa das letzte woran er dachte. Auch wenn er dieses System geschaffen hatte, war er dennoch nichts weiter als ein Teil von einem viel grösseren System, das ihn erschaffen und am Leben gelassen hatte. Nicht nur Vögel können gerissen sein.
Der Kontrolleur spürte, dass eine Umwälzung bevorstand, und dieser musste er begegnen wenn er die Welt schützen wollte, und es stand ausser Frage, dass dies immer sein oberstes Ziel war: Schutz. Er war der Inbegriff eines Schutzengels. Mag sein, dass dieser Schutzengel ein Flammenschwert geklaut hatte und nun auf eigene Faust – hin und wieder auch mit eiserner Faust – das Schicksal vieler kreierte. Und doch war er im Kern mit einer Seele bestückt, die ihm sagte, dass irgendetwas verdammt schief gelaufen war. Etwas, das all seine Pläne bedrohte. Etwas, das die Menschheit bedrohte.
Der Kontrolleur war unruhig.
Hätte ihm jemand erklärt, dass alles sich genauso entwickelte, wie es sich entwickeln sollte, hätte er vielleicht müde gelächelt, jedoch fühlte er sich nicht allzu müde, und sein Ego war durch Schlaf und die Sehnsucht nach seinem Sohn gestärkt. Es liess nicht zu, dass er lächelte, stattdessen stand ihm der Sinn nach Kontrolle. Wenn es tatsächlich etwas gab, das schief lief verdammt noch dazu, dann musste er herausfinden was das war, und wie er es vernichten konnte, bevor es zu spät war.
Ein Kontrolleur wäre kein Kontrolleur wenn er nicht die Fähigkeit hätte, vorauszuplanen. Es gab für fast alle Szenarien Pläne, und wenn der Kontrolleur gewusst hätte, wie sich die Beobachterin in stillen Nachtstunden seine Pläne angesehen hatte, und dabei lachte, wie ein kleines Kind, so wäre sie sicherlich nicht mit dem Auftrag bedacht worden, den er ihr vor wenigen Stunden gegeben hatte.
Doch Pläne sind wie Schall und Rauch, wenn sich das Schicksalsrad dreht.
Im Falle einer allgemeinen Verunsicherung in der Bevölkerung musste ein Plan in die Wege geleitet werden, diese Verunsicherung öffentlich auszusprechen, um so eine Beruhigung der Lage zu erreichen, indem mit dem menschlichen Verhalten gespielt wurde, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Eine Mücke zu fangen, ist etwas das chinesische Karatemeister ohne weiteres hinbekamen, schwerfällige Systeme taten sich da etwas schwerer. Elefanten waren jedoch grösser und konnten mit den üblichen Methoden ausser Gefecht gesetzt werden.
In diesem Fall war die Unsicherheit natürlich in erster Linie innerhalb der Nervenbahnen des Kontrolleurs zu spüren. Er wäre jedoch nicht der Mann, der er nun ist, wenn er nicht früh gelernt hätte, seiner Intuition zu folgen. Er mochte dieses Wort nicht, allzu stark erinnerte es ihn an die frühere Zeit, wo jeder dahergelaufene Junkie von Intuition sprach. Sein Bruder war… - sei’s drum, er hatte eine Intuition und diesmal ziemlich stark.
Natürlich prüfte er zuerst, ob nicht etwas sentimentale Gefühle zu seinem Sohn sein Denken beeinflussten. Er begab sich in ein nahegelegenes Holodeck und spielte ein Programm ab, worin er mit einer Projektion seines Sohnes sprach. Zwar mochte er das Programm nicht sonderlich, aber zumindest wusste er nun, dass es nicht nur an seinem Sohn liegen konnte. Nein… irgendetwas war im Gange.
Der Kontrolleur lief, ja rannte beinahe, zu einer der nahegelegenen Kommunikationsstationen und nahm Kontakt auf zu seinen Untergebenen.
«Projekt Alpha wird gestartet.»
«Aber…»
«Keine Widerrede.»
«Selbstverständlich.»
Projekt Alpha bestand im Wesentlichen darin, dass alle Verschwörungstheorien, alle Programme der Uneinsichtigen, alle Reden von Rebellen der Minen und alles was in irgendeiner Form das System in Frage stellte, und sei es auch nur eine Deportation eines Angehörigen, innert Tagesfrist in allen Medien des Planeten, in allen Schulen, in allen Regierungsstellen, und Vorstandssitzungen öffentlich zugänglich gemacht und besprochen, diskutiert und abgehandelt werden würde.
Das Ziel dieser Aussergewöhnlichen Massnahme: Durch die Teilnahme von ganz normalen Bürgern des Systems, die weder besonders Systemorientiert, noch besonders rebellisch waren, sondern einfach ihren Tagesablauf lebten, so wie er vorgesehen war, würden die wildesten und kreativsten Ideen der Aufständischen im Keime erstickt. Im Grunde genommen wäre es eine gute Möglichkeit gewesen Projekt Alpha alle paar Jahre durchzuführen, jedoch scheute der Kontrolleur bislang vor dieser Massnahme zurück, denn die Konsequenzen waren einigermassen unvorhersehbar. Der Plan war gut – ob er aufging würde sich zeigen.
Nun lehnte sich der Kontrolleur zurück. Das Gefühl einer drohenden Gefahr war gebannt. Er wusste nicht warum er – einzig aufgrund eines Gefühls - eine derart gefährliche Massnahme durchführte. Aber er spürte, dass es das Richtige war, mit jeder Faser seines Körpers – und seiner Seele.

Die blonde Frau war gerade etwas entrüstet. Die Tiefengnome wuselten umher als wäre ein Fest im Gange, und doch sah sie keinerlei Vorbereitungen für einen solchen Anlass. Es war eine Unruhe in diesen Stollen zu spüren, dass es ein Wunder war, dass die Fackeln an den Wänden nicht alles in einem Flammenmeer aufgehen liessen.
Die Tiefengnome wollten also ihr Wissen. Nun was wusste sie schon, dass ihnen dienlich sein konnte. Sie war 3D-Designerin und kümmerte sich mehr schlecht als recht um einen Aufstand gegen ein System, das ihr eine angenehme ruhige Wohnung geschenkt hatte, worin sie sich vor den halbblinden Menschen verstecken konnte, die ihren Heimatplaneten bevölkerten.
Die Gnome schienen sie einerseits zu bewachen und ihr andererseits aus dem Weg zu gehen, als wäre sie ein Geist. Und mit diesem Gedanken, in diesem Moment, kehrte auf einmal Ruhe in ihr Herz. Sie war in der grossen Halle und dort schien es ihr, als wären all die Strapazen und all das Mühsal des vergangenen Tages auf einmal nur noch halb so wichtig, kaum mehr eines Gedanken wert. Sie dachte an die Männer, die sie erschossen hatte, und obwohl sie sich nicht an den Traum erinnerte, den sie hatte, bevor sie entführt wurde, war es anders, als dort in den Strassen, die gesäumt waren von Wänden aus Chrom. Dort war sie nah dran einfach aufzugeben, und ihr Selbsthass gaukelte ihr vor, dass alles wofür sie je gelebt hatte, dort geendet hatte, in ihrer Wohnung, die solange als Schutzschild gegen die Uneinsichtigkeit der Einsichtigen gedient hatte. Und doch lief sie damals weiter. Damals? So lange war es noch gar nicht her, und ihre Unbekümmertheit wich einem Gefühl leichter Melancholie.
Jedoch nicht unangenehm. Irgendetwas in dieser Halle… es stimmte sie verständnisvoll, in diesem Moment hätte sie sich vergeben können. In diesem Moment stand das Universum still, war Gaia genötigt einen kurzen Moment die Luft anzuhalten, in diesem Moment war alles möglich.
Ein betrunkener Tiefengnom unterbrach die Stille und den Moment und Gaia seufzte.
«Mylady Mylady isch biete – ich bitte eusch… hört misch an…»
Trotz ihrer kürzlich erworbenen Kenntnisse fermentierter Getränke, war ihre Neugier noch immer grösser, als die Kenntnis darüber, dass Betrunkene zuweilen die Wahrheit sprachen, meist jedoch einfach nur ziemlich weit entfernt waren, von dem was sie durch den Wein und das Bier zu vergessen suchten.
«Endlich mal ein Zwerg der mit mir reden will, was wollt ihr?» schmunzelte sie.
«Tiefengnom, ich bitt’ euch. Es ist ja nischt so als würden wir gern nach oben, da ist’s dann doch etwas windig, findsch nicht?»
Angesichts seines Alkoholpegels geradezu eine Leistung, dieser Satz.
«Weiss nicht, ich hab gern Wind», sie dachte gerade an diese kompakte Diskette. Eine uralte Technologie, die sich nur auf dem einzigen dem Untergrund zugänglichen Abspielgerät zu Bildern umwandeln liess. Wie das Gerät genau funktionierte, wusste niemand so genau. Es gab einen Technikfreak, der behauptete, man könne, vorausgesetzt man hätte mehr von den runden Scheiben, die in den Farben eines Regenbogens funkelten, Dinge aufnehmen, die auf dem Gerät empfangen wurden. Da niemand eine Idee hatte, wie man mit dem Gerät irgendwas empfangen konnte, begnügten sich unsere Nachfahren damit, die kompakte Diskette immer wieder von neuem anzuschauen. Es war geradezu Lust, Spiel und Aufstand zugleich, bei diesen Gelegenheiten die Kekse herumzureichen, und sich vorzukommen, wie einer der Beobachter im Ministerium, während man die Menschen beobachte, die auf einem Monitor, den der Technikfreak irgendwo gefunden hatte, nun… beobachtete. In dieser kleinen Welt der kompakten Diskette war eine Szene, worin vom Wind erfasst ein Stück Papier nach oben und unten getragen wurde. Zwar entging den Uneinsichtigen die Musik, die in unseren Zeiten noch dazu abgespielt wurde, und dennoch liess dieser Tanz des Papiers die Beobachterin nie los. Es mochte so sein, dass sie ihren Beruf nur ausübte, um getrennt zu sein, von den seltsamen Menschen, die ihre Welt bevölkerte, und irgend etwas musste sie ja tun, um ihre Tarnung aufrecht zu erhalten, aber dieser Tanz gab ihr Impulse für die Konstruktion von 3D-Gebilden, mit denen kaum einer der Auftraggeber ihres Berufsstands je gerechnet hätte. Und so füllten sich die Paläste der Kontrolleure und die Marktplätze, U-Bahn-Stationen und all die Dinge, die unsere gute Bekannte deren Intelligenz genmanipuliert hoch war in ihrem kleinen Homecomputer erschuf mit kleinen Kunstwerken. Pflanzen, die sich im Wind drehten, kleine Würfelförmige Gebilde, die sich in einem seltsam anmutigen Rhythmus nach oben und unten bewegten. Und so füllte die blonde Frau die Welt mit einem kleinen bisschen Vergangenheit, das sie auf einer kompakten Diskette gefunden hatte.
Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem sie die Sicherheitsbeamten erschossen hatte, die aufgrund eines kleinen Fehlers, den der Uneinsichtige gemacht hatte, auf sie aufmerksam wurden.
Und die Energielinien wussten, was sie tun.
Wer könnte ihnen vergeben?
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Re: Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

«Wind, Mylady, isch kalt, hört mich wohl, doch das wars gar nicht weswegen isch», er hickste, «euch suscht»
«Mich sonst was?»
«Sucht!»
«Aha…»
«Ich überbring Botschaft von ihm, den ihr nicht seht.»
Langsam wurde ihr der Gnom etwas unheimlich.
«Seht, Mylady… störts euch wenn ich Mylady sage?»
Da sie nicht wusste was das Wort bedeutete, schüttelte sie den Kopf, ihre Augen zeigten einen Ausdruck, der sich in Worten unmöglich wiedergeben lässt.
«Gut Mylady das ist gut», er schien auf irgendwas zu lauschen, «Ach ja, der Blaue meint ich sollt euch sagen, dass dies eine Anrede ist, die einstmals in England üblich war, die Heimat eurer Ahnen.»
Sie wusste nicht was ‚der Blaue’ bedeuten sollte, aber sie spürte, dass irgendetwas… blaues? – den Tiefengnom dazu gebracht hatte, seine Fermentiertheit zu überwinden. Die Flasche, die er in der Hand hielt, mochte der Grund sein, warum dies nur ein zeitlich begrenztes Glück sein konnte, und doch fröstelte sie der Gedanke an das Blaue, oder den Blauen, was auch immer das sein mochte.
Sie beschloss auf Angriff zu gehen, und ihrerseits den Gnom auszuquetschen, und so in Erfahrung zu bringen, was hier los war.
«Was ist hier los?» sagte sie.
«Oh, es sind ein paar Elfen vor den Toren, die Eure Freilassung fordern. Ein alter Mensch ist bei ihnen. Ihr kennt ihn vielleicht», sagte der Gnom ausgesprochen klar und ohne jegliches Anzeichen von Fermentiertheit.
«Elfen?!» sagte sie, noch immer nicht ganz auf dieser Welt angekommen.
Der Gnom wirkte nicht beleidigt, eher verblüfft, dass sie die Gegenwart seines Volks inzwischen ohne weiteres hinnahm, und dennoch erstaunt war, wegen ein paar Spitzohren, die zu viel Sonnenlicht, oder in diesem Fall Regen, genossen hatten.
«Mylady ihr müsst mit mir trinken!» dies sagte er derart bestimmt, dass ihr der abrupte Themenwechsel erst gar nicht auffiel.
«Es scheint mir, als hättet ihr euren Anteil bereits gehabt», meinte sie und zeigte auf die Flasche. Er überreichte sie ihr ohne Widerworte. Sie schüttelte den Kopf und nahm einen grossen Schluck. Da sie dieses Getränk nicht unbedingt gewohnt war, dauerte es nicht lange, bis sie die Geister sah. Sie wäre gerne ohnmächtig geworden, doch es war ihr nicht vergönnt. Sie erkannte den Weissen Geist sofort. Sie sagte «Du!» - dann kippte sie nach vorne, stiess sich den Kopf an der Tischplatte, die wie aus dem Nichts in ihre Flugbahn geriet, und blieb erst einmal liegen.

Als sie aufwachte, rannte eine Tiefengnamin sofort aus ihrem Zimmer, zielsicher in die grosse Halle und rief aus lauter Stimme: «Sie lebt!»
Die grosse Halle war unterdessen zu einem Versammlungsort ausgerufen worden, Elfen standen einigermassen mürrisch, aber immerhin trocken in der Halle, die keinerlei Tageslicht bot. Der Tag bot zurzeit zwar auch nicht viel Licht, dichte Gewitterwolken hatten den leichten Nebel vertrieben, mit dem die Ankunft der Elfen eingeläutet wurde, aber diese Düsternis, die an Nächte erinnerte, in denen weder Feuer noch Sterne die Bäume erhellten, machten die Elfen etwas nervös. Auf der anderen Seite der Halle waren die Gnome, zu einem dichten Pulk versammelt, aus dem alldieweil ein paar Wagemutige Gnome zu den Elfen rüberwanderten, um ihnen die Waren zu zeigen, mit denen sie die Elfen schon seit mehr als hundert Jahren mehr oder weniger einfach nur langweilten. Doch die Elfen waren schlau genug, um zu erkennen, dass nur Handel diese Situation lösen würde. Die Gnome waren viel zu gerissen, um sich auf handfeste Streitigkeiten einzulassen, zudem wusste keiner der Elfen, was in den Schatten an Kriegsgerät lauern mochte. Somit machten sie mit bei diesem Spiel und sobald sie es als solches erkannten, gewannen sie die Herzen der Gnome. Zumindest derjenigen unter ihnen, die im Tausch gegen unnützen Plunder mit wertvollen Heilkräutern und gestickten Handschuhen zu ihren Clans zurückkehrten.
Der Tiefengnom im violetten Gewand jedoch raufte sich die Barthaare, während er versuchte aus dem seltsamen Druiden schlau zu werden, der irgendwie ein Elf zu sein schien, und doch so völlig anders, wie dieses Volk, und soweit er in seinen 500 Jahren zurückdenken konnte, war ihm nie ein Elf begegnet, der keine spitzen Ohren hatte. Auch war die Aufdringlichkeit des Druiden, bezüglich der Frau etwas schwierig. Der Tiefengnom hatte die Tore geöffnet, in der Hoffnung, die friedliebenden Elfen so zu überzeugen, dass sich alles durch den einen oder anderen Handel klären liesse.
Im Grunde genommen war es dem Tiefengnom egal, was die Elfen wollten, dieser Druide jedoch, schien ein besonderes Interesse an der Frau zu haben, und es war dem Gnom, als wäre da mehr dahinter, als nur das übliche Balzritual, das ansonsten als Erklärung für derartige Aktionen, die Aufwiegelung des gesamten Elfenvolks zum Beispiel, dienen würde. Der Druide war zudem ziemlicht alt. Vermutlich ging es ihm also weniger um die Frau als solches, als vielmehr… ja um was? Der Violett Gekleidete wurde nicht schlau aus dem Druiden.
Die Tiefengnome hatten glücklicherweise einen Pakt mit der Frau geschlossen, der ihnen alles Wissen zusichern würde, wenn sie nur der Frau helfen würden, ihrem Volk, das sie Uneinsichtige nannte, zu ihrem Recht zu verhelfen. Der Tiefengnom wusste nicht, welche Tragweite dieser Pakt haben würde. Und solange er neue Technologien im Tausch dafür bekommen würde, wäre es ihm auch egal gewesen, wenn er es gewusst hätte. So gesehen war er durchaus bereit, die Frau mit den Menschen ziehen zu lassen, schliesslich könnte es ja sein, dass sie Interesse daran hätte, die Wälder der Elfen zu sehen, sie war ja ganz begeistert, als sie vom Refugium der Elfen erfuhr – was zeigt, dass sich nicht nur Menschen hin und wieder irren können – und sie war sicher auch daran interessiert, den Kontakt mit ihren Verbündeten im Kampf für die Uneinsichtigen nicht abbrechen zu lassen, und einige Gnamine als Begleitung durchaus erwünschen würde.
Allerdings sprach der Druide dauernd von der Erde, die hier als Terra bekannt war, und das passte dem Violetten natürlich überhaupt nicht. Einerseits, weil das sein Geschäft vermasselt hätte. Andererseits hatte er die Menschenfrau in sein Herz geschlossen, und auch erfahren, dass sie dem Druiden gegenüber ein gesundes Misstrauen angedeihen liess.
Somit stand für ihn fest: eine Reise zu den Elfen? Warum nicht. Aber sie der Obhut des Druiden zu überlassen, der sie wer weiss wohin führen würde, eventuell sogar weg von diesem Planeten – das wollte er nicht zulassen.
In diesem Moment kam die Gnamine herein, die über die Menschin gewacht hatte, während diese ihren Rausch ausschlief.
«Sie lebt», war in diesem Moment nicht unbedingt die Formulierung, die Vertrauen schüren würde, und der violett gekleidete Tiefengnom runzelte die Stirn.


Kapitel 5

Regen prasselte auf die beiden Menschen nieder, die auf einem unscheinbaren Stein sassen, ein Stein, der ohne diese Geschichte wohl nie ins Bewusstsein von Menschen und Elfen getreten wäre. Unscheinbar war der Stein nun eben nicht. Er hatte die aussergewöhnlichen Moosflechten, die Steine in eine Art mystisches Lebewesen verwandelten. Er hatte tiefe Furchen, die sowohl von Stachelschweinen, wie auch von Wind und Regen herrührten. Der Stein war geradezu ideal für zwei humanoide Wesen – und eine Katze - die eine kleine Pause einlegen wollten. Er lag unter einer grossen Eiche, deren Blätterdach zumindest ein wenig Schutz bot, vor den Regenfällen, zu denen sich das leichte Nieseln inzwischen hochgeschaukelt hatte. Und doch blieb er Unscheinbar, denn die Elfen blieben meist in ihren Dörfern, und Menschen gab es hier schon seit den Zeiten Shakespeares nicht mehr. So wäre der Stein nie erwähnt worden, obwohl er sich doch solche Mühe gab, den Menschen – und Katzen – eine Heimstatt zu bieten.
Die Beobachterin hatte inzwischen einen Arm um den Uneinsichtigen gelegt, dessen Schluchzen verebbt war, und der sich mit zusammengekniffenen Augen an ihre Schulter lehnte. Trotz des Regens: Hätte es noch so etwas wie Hollywood gegeben, so wäre diese Szene dazu geeignet gewesen die Kassen des Filmverleihs bis zum Todestag des Kontrolleurs zu füllen. So aber blieb davon nicht viel übrig, keine Kamera war auf die beiden gerichtet, dies war eine andere Welt, und hier war nur das von Belang, was tatsächlich geschah – und es wurde durch diese Einsamkeit veredelt und rein.
«Komm, wir gehen weiter», sagte sie. Er nickte. Und gemeinsam machten sich die Beobachterin, die das Leben als Spass sah, und der Uneinsichtige, der das Leben als Ernst verstand, durch einen Märchenwald, auf den Spuren ihres Schicksals.

Auf Erden brach das kontrollierte Chaos aus.
Menschen, die sich vor nicht mal allzu langer Zeit dazu genötigt sahen, sich von Freunden oder gar Verwandten zu distanzieren, ohne wirklich darüber nachzudenken, denn das war es, was das System ohne wenn und aber forderte, wenn diese Freunde oder Verwandten sich aus dem System hinauskatapultieren, indem sie einen Leserbrief schrieben, der die Kunst hervorhob, oder die Schönheit der Berge untermalte, oder worin sich ein besorgter Leser dazu äusserte, dass die Unfälle in den Minen doch etwas häufig vorkämen - diese einfachen Menschen, die niemandem etwas Böses wünschten, denn sie waren ja Menschen, ausgestattet mit Gefühl und Anteilnahme, diese Menschen nun, lasen auf einmal in den Medien, die sie tagtäglich brav konsultierten, weil dies richtig war und normal, und weil jeder das tat, wenn er im Tennisclub etwas zum Tagesgeschehen sagen wollte – diese Menschen also lasen von delinquenten Personen, lasen über deren Geschichte, sahen ihre Freunde oder gar die Verwandten über die Monitore der Einkaufshäuser flimmern, worin sie ihre täglichen Einkäufe mit den Aktionen ergänzten, die gerade angepriesen wurden, und in dem Flimmern sahen sie, wie die Geschichte dieser Menschen erzählt wurde. ((ich krieg den Pulitzerpreis für den längsten einigermassen zusammenhängenden Satz, juhuuui))
Warum sie delinquent geworden waren. Wie sie nun in den Häusern der Vernunft zu eben dieser gebracht werden sollten, und wie in diesem Bestreben keinerlei Hoffnung oder gar Ergebnis zu finden war.
Und es gab da Berichte, wie ein Aufseher eine Minenkolonie darüber sprach, dass er Tote gesehen hatte, nicht einen oder zwei, nein viele Tote. Und das Grauen war ihm ins Gesicht geschrieben.
Und es gab Berichte, worin erzählt wurde, dass früher die ganze Welt freier gewesen sei, und die Menschen tun konnten, was immer sie wollten.
Und es gab Berichte, wonach eine Elite die Geschicke der Welt lenkte, und diese Elite sei unantastbar, denn sie gebe vor, was Antastbar sei.
Und es gab Berichte über Aliens, die insbesondere im Süden von der kleinen Insel in der Nähe des Westatlantischen Kontinents des Öfteren gesehen worden seien. Und es gab Berichte wonach diese Insel einstmals England hiess, und dass es dort Drachen gab, oder immer noch gäbe.
Es gab Berichte von Gallapagos und von einem Kontinent der ganz in Eis gehüllt sei.
Es gab Berichte von Landarbeitern, die genetisch manipuliert worden waren, damit sie immerzu fröhlich seien, und die Menschen fragten die Kassierer an den Kassen der Einkaufszentren, ob sie ebenfalls derart manipuliert wurden. Die Geschäftsleitungen zeigten sich besorgt, auch angesichts eines sogenannten Streiks, von denen es zu früheren Zeiten anscheinend unzählige gegeben hätte. Sogar von Personal der Fluggesellschaften, was unglaublich schien angesichts dessen, dass nur höchste Funktionäre überhaupt jemals die unerreichbaren Hallen einer Flugmaschine besteigen konnten, die ausserhalb des Antigravitationsfelds einer Stadt bis weit über die Kontinente fliegen konnte.
Auch die Existenz solcher Flugmaschinen war für Viele, gelinde gesagt, ein Schock.
Natürlich entstanden schnell Diskussionsrunden. In den visuellen Medien wurden Regierungsvertreter und Verschwörungstheoretiker an einen zumeist runden Tisch gesetzt, um zu verhindern, dass die Anhänger der einen oder anderen Fraktion, sich zu protestieren berechtigt fühlten, dass ihre Partei nicht genügend beachtet würde, von den Allgravameras, die in der Mitte des Tisches postiert wurden, sodass ein jeder Bürger aller Länder das Spektakel aus der Sicht betrachten konnte, die für ihn die Richtige war.

Es gab viele, die alsbald verkündeten, sie hätten es ja schon immer gewusst. Flugmaschinen ausserhalb des Antigrav-Bereichs einer Stadt? Natürlich, das ist doch logisch und dass ihre Nachbarn das noch in Frage stellten, also wirklich.
Andere nahmen Kontakt auf zu den Obrigkeiten, die für die Häuser der Vernunft verantwortlich waren. Und während sie noch bibbernd darauf warteten, dass sie demnächst abgeholt und ebenfalls eingesperrt würden, parkierte ein Antigravmobil vor ihrer Haustüre und lang entbehrte Verwandte und Freunde fielen ihnen in die Arme.
Und diese erzählten, von den Drogen, die man ihnen verabreicht hätte, und die Freunde wussten nicht wovon sie sprachen, doch ihre Freude war so grenzenlos, so selbstlos – auf einmal – dass sie ihren Irrtum und ihre Distanziertheit darob sofort vergassen. Und jene die befreit wurden, nahmen es ihnen nicht übel, nicht länger und lachten aus vollem Herz mit ihnen mit, wenn diese auch nur einen Funken von Humor aufkommen liessen.
Es bildeten sich Studentengruppen - die es zuletzt 2014 gegeben hatte - die sich in kreativer künstlerischer Anteilnahme am Weltgeschehen beteiligten, Broschüren auf geklauten Druckern produzierten, die sie von Hand am Bund zusammennähten und auf allen öffentlichen Plätzen verteilten.
Der Kontrolleur beobachtete das bunte Treiben eine Weile, schwelgte in Erinnerung, an seinen Sohn – seinen ersten Sohn - und versuchte zu ergründen, was er wohl davon halten würde. Und während die Menschen sich noch in ihrer neuen Freiheit wie Haie bewegten, deren Aquarium auf einmal unendlich gross geworden war, wo zuvor Trennwende ihre Nasenspitzen mit harter Manier darauf trimmten, in gewohnten Bahnen zu schwimmen, da trat die zweite Phase von Projekt Alpha in Kraft.

Treue Anhänger des Ministeriums und genetisch manipulierte Männer und Frauen aus allen Schichten begannen nun, die ganzen neuen Berichte in Frage zu stellen. Zu Beginn im Familienkreis, und so wurden neue Anhänger eine Theorie gewonnen, die im Projekt Alpha als Antizyklisch bezeichnet wurde. Die Anhänger dieser Theorie waren der Auffassung, dass die allgemeine Unruhe nichts weiter sei, als eine zyklisch auftretende Wahrnehmungsstörung, ähnlich wie sie bei den Tieren zu beobachten sei, die zu festgelegten Zeiten ein Paarungsritual vollführten. Es habe diese immer wieder gegeben, und das Meiste der Berichte, von sagenhaften Dingen, sei eben aus dem letzten Zyklus entnommen, damals als Fantasiegebilde entstanden und grundsätzlich nichts weiter, als eine Spinnerei. Gut ja, es gäbe tatsächlich diese Flugmaschinen, von denen alle so fasziniert seien, doch wäre es ja schliesslich bekannt, dass die Ressourcen des Planeten zum Wohle aller gerecht und sparsam verteilt würden. Offenbar habe man nun eine Ebene des kollektiven Bewusstseins erreicht, die es erlaubte, den Menschen diese Flugmaschinen zu präsentieren, ohne dass Neid entstünde, wenn man sie nicht benutzen konnte. Und möchten Sie, möchtest Du etwa neidisch sein? Ist Dein Bewusstsein noch nicht reif genug für die Erkenntnis, dass nur wenige, solche mit einem wichtigen Auftrag, diese Maschinen benutzen sollten, die ja wirklich ein Wunderwerk sind, ja das stimmt schon, das sind sie und ein Hoch auf das System, das solcherlei Dinge hervorbringt.
Und das ganze andere Zeug das erzählt wird, sicherlich von seltsamen, ja geradezu verabscheuungswürdigen Personen in die Welt gesetzt, Leute, die sich nicht kümmern um das Gemeinwohl, und die diese Information mit den Flugmaschinen dazu missbrauchen, Gift und Galle zu streuen, wo es doch zuvor immerzu Harmonie und Frieden gab, auf der Welt.
Als die Kassierer in den gleichen Tenor einstimmten, schien sich ein Wandel in der öffentlichen Meinung abzuzeichnen, und ein altes Misstrauen legte sich über die Menschen.
Der Kontrolleur aber beobachtete nun das bunte Treiben, vom gleichen Sessel aus, in dem zuvor die Schwarzgekleidete Frau sass. Und er wusste nicht, ob er die Stirn runzeln oder lächeln sollte.

Während die Erde also in einer Diskussion aus Lüge, Wahrheit, Meinungen und Emotionen vor sich hin brodelte, nahmen die Dinge auf dem Refugium der Elfen ihren Lauf. Und der Kontrolleur vergass aufgrund der Ereignisse, die er ausgelöst hatte, ganz, dass sein Sohn, seine Feindin und seine beste Mitarbeiterin schon lange nichts mehr von sich hören liessen.
So geht es mit den Menschen, die beobachten. Sie lassen sich fesseln und faszinieren von dem was sich vor ihren Augen abspielt. Lassen sie einen Ball fallen, und rollt dieser in einen Bach, dann sind sie erstaunt, wenn das Wasser plätschert, und der Ball sich fortbewegt. Doch sie vergessen, warum sie den Ball fallen liessen, und dass sie vielleicht mal einen Blick auf ihre Gedanken und Gefühle werfen könnten, die mit lauten Alarmtönen versuchen, ihr Bewusstsein zu erreichen.

Unterdessen hatte der Druide nach einem kurzen Moment der Verwirrung sein nach heutigen Gesichtspunkten mystisches Wissen dazu verwendet sich wieder in den Energiefluss zu stellen, der sowohl Gaia als auch das ganze Universum durchströmte. Dies war relativ einfach. Zwar hatte die relative Welt, in der alle Seelen, Geister, Götter und Fabelwesen sich inkarnierten gewisse Beschränkungen zurfolge, doch diese waren im Grunde genommen eine Art Illusion. So wie es möglich war, sich selbst zu einem Blinden zu machen, indem man die Augen verschloss, war es möglich, sich dem Energiefluss zu verschliessen, indem man seinem inneren Gespür kein Gehör schenkte. Schockierende Ereignisse hatten zweierlei Kraft. Die eine Möglichkeit war die, sich aufgrund des Ereignisses gänzlich vom Bewusstsein der eigenen Unsterblichkeit abzuwenden, und in Kummer und Leid zu versinken. Die andere war, das Leid und den Kummer als transzendentale Möglichkeit zu nutzen, sich von Illusionen zu befreien. Beide Möglichkeiten waren innerhalb der relativen Welt möglich und auch nötig, um das Leben zu bewältigen. Es gab keinen Masterplan. Der Druide glaubte zwar, aufgrund des Jahrtausendealten Wissens, das ihm zugänglich war, dass er so etwas wie einen Plan zu erkennen vermochte, doch darin zeigte sich einzig, dass er ein Mensch war – ein Weiser Mensch – und doch einer, der fähig war sich zu irren. Die Schöpfung seiner Welt war im Grunde genommen genau so, wie er sich das vorstellte, eine Geschichte, eine Art Buch, das Zeile für Zeile mit Worten gefüllt wurde, die einen Zusammenhang ergaben, zwischen ihm und seiner Umgebung. Er war eine wichtige Person in diesem Universum, denn er hatte darin eine Aufgabe. Doch so wie der Autor dieses Buchs die Geschichte nur schreibt, so war der Druide eine lebendige Figur, die von Gaia nicht gelenkt wurde sondern der in und auf ihr lebte.

Was der Druide jedoch richtig erkannte, das war, dass es Strömungen im Energiefluss gibt. Er konnte diese „sehen“ und auch deuten, was ihn befähigt hatte, die blonde Frau auf diesen Planeten zu führen. Er wusste, dass dies nötig war, doch er wusste nicht, wohin dies führen würde. Auch Gaia wusste dies nicht, denn sie war „nur“ die Bühne, nicht der Regisseur. Wie sich die blonde Frau entscheiden würde, das war ihrem freien Willen unterworfen, der geformt wurde, durch das was sie erlebte und durch das was sie mit ihrem genetisch modifizierten überdurchschnittlich hohen Verstand erfassen konnte. Mental war sie unglaublich stark. Doch ob ihre Weisheit ausreichen würde, das konnte der Druide nicht sehen.
Als die Gnamine in den Saal trat und die Anwesenden mit ihrer Botschaft etwas erschreckte, nahm der Druide sogleich Fühlung mit dem Energiefluss auf, der keinerlei Schwankungen enthielt, womit klar wurde, dass es der blonden Frau gut ging, und nur eine Art Überforderung ihren Geist dazu brachte, dem Körper Ruhe zu gönnen.

«Nun denn, das ist ja ausgezeichnet, würde es euch noblen Tiefengnomen etwas ausmachen, sie zu uns zu bringen?», sagte er.
Der Anführer der Tiefengnome war von den Ereignissen nicht unbedingt angetan, dennoch sah er keinen anderen Ausweg, als den, die blonde Frau unverzüglich zu präsentieren. Noch immer hegte er die Hoffnung, dass sich aus der Sache ein Gewinn für die Gnome herausholen liesse.
Kurz darauf kam sie denn auch in den Saal. Sie sah den Druiden, der ihr zuvor schon etwas unsympathisch gewesen war, da sie stets das Gefühl hatte, er würde irgendeinen Punkt fixieren, der etwa zehn Zentimeter neben ihren Augen zu sein schien. Sie sagte sich, dass er vermutlich schielen würde, und ging nicht weiter auf den Gedanken ein.
«So ist der alte Mann also wieder aufgetaucht. Und mit euch reisen die Elfen, wenn das nicht phantastisch ist. So wie ich das sehe, habt ihr irgendeinen Plan, worin ich eine nicht unerhebliche Rolle spiele, und auf welche Weise auch immer, habt ihr mich auf diese Welt geführt, von der meine Gastgeber sagen, es handle sich um das Refugium der Elfen, deren Existenz ich bislang anzweifelte, und die nun unzweifelhaft in Eurem Rockschoss mit euch gekommen sind. Es entgeht mir einigermassen, wie es möglich sein sollte, dass wir eine Reise auf einen anderen Planeten unternommen haben, doch aus logischen Gesichtspunkten, sind wir vermutlich in eine Parallelwelt gereist, ebenfalls etwas, das zumindest unglaubwürdig erscheint, aufgrund der Tatsachen jedoch offenbar nicht von der Hand gewiesen werden kann. Es dürfte euch bekannt sein, dass die Tiefengnome und die Elfen nicht gerade häufig miteinander in Kontakt treten, was an unterschiedlichen Auffassungen der Lebensführung liegt. Dennoch habt ihr die Elfen aufgesucht um, so wie es aussieht, mich aus den Fängen der Tiefengnome zu befreien, wie ihr ja schon zuvor den Ritter spieltet, als ich vor den Kontrolleuren unserer Welt auf der Flucht war. Wärt ihr jünger würde ich auf ganz eindeutige Motive in eurem Handeln spekulieren, doch über diese Dinge seid ihr vermutlich hinausgewachsen. Es gibt einen unbestimmten Grund, weshalb ich euch nicht vertraue, den ich nicht genau benennen kann. Möglicherweise reine Antisympathie. Die Frage, die sich nun stellt, ist: was machen wir hier? Diese Frage stellte ich euch schon zu Beginn unseres Zusammentreffens, und ich erwarte jetzt eine Antwort.»

Der Druide – und die anderen Anwesenden – waren einigermassen erstaunt, wie gefasst und strukturiert ihre Zusammenfassung der aktuellen Situation war. Sie wussten natürlich nicht, dass ihr Gehirn genetisch verbessert war, und glaubten daher – je nachdem welche Standpunkte ihre Erziehung beinhaltete – etwas anderes. Der Druide war der Auffassung, dass sie mehr über das geheime Wissen seiner Mentore wissen musste, als er bislang vermutet hatte. Die Elfen sahen in ihr eine mystische Zauberin, möglicherweise ein direkter Nachkomme von Merlin, bewandert mit den Geistern, und die Tiefengnome vermuteten eine technische Spielerei, die ihr dieses Wissen zugänglich machte, so eine Art Supercomputer, von denen sie auf ihren Besuchen unserer Welt gehört hatten.
Der Druide räusperte sich. Es war ihm verboten von dem Geheimen Wissen zu sprechen, und so tat er es nicht, sondern bemühte sich, eine Antwort auf diese eine Frage zu finden, die sie gestellt hatte, und auf die er keine wirkliche Antwort hatte. Alles was er tat, ergab sich aus dem was er im Energiefluss von Gaia erspäht hatte. Es war nicht so, als hätte er Pläne, es war eher so, als wäre er getragen worden, wie ein Boot auf einem Fluss, das ihn nun an die Gestade dieses Zusammentreffens geführt hatte.
«Wie ihr wisst, ist unsere Welt von den Kontrolleuren in eine Stasis geführt worden. Zwar gibt es gemäss den Versprechungen der Herrschenden tatsächlich Frieden und Ordnung, doch die Freiheit der Kunst, wurde dafür geopfert. Hinzu kommt, dass manche Menschen sich dagegen auflehnen, und für diese Auflehnung bestraft werden. Die Bestrafungen reichen von Umprogrammierung bis hin zum Tod und beides führt dazu, dass der freie Willen von Vielen nicht geachtet wird. Mein Ansinnen ist es nicht, in die Handlungen der Menschen einzugreifen, sondern die Freiwilligkeit und damit die Freiheit der Menschen zu wahren. Die Stasis der Kontrolleure hat diesbezüglich jedoch ein Handeln von mir und anderen unumgänglich gemacht.»
«Also habt ihr nicht den Eindruck, dass das was die Uneinsichtigen auf unserer Welt zu erreichen versuchen, ausreichen würde, die Menschen zu befreien?»
«Es geht nicht so sehr um die Befreiung die ihr anstrebt, als um die Frage, warum ihr euch selbst Uneinsichtig nennt?»
Sie schwieg kurz. Dachte darüber nach. «Also geht ihr davon aus, dass wir ebenso Teil des Systems sind, das wir bekämpfen, wie die Sicherheitsbeamten, die Arbeitsdrohnen und all die Menschen in den Feldern und Minen?»
«Nachdem ihr selbst zu dieser Erkenntnis gelangt seid, kann ich diese Frage bejahen.»
«Dann, alter Mann, lasst euch gesagt sein, dass ihr euch irrt. Ich habe in dieser Welt Verbündete gefunden, und sie haben die Mittel und Wege, um unsere Welt zu befreien. Es wird von nun an keine Möglichkeit mehr geben, irgendjemandem seinen Willen aufzuzwingen, denn alle, die sich nicht im Licht der Erkenntnis befinden… werden sterben.»
Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, materialisierte sich der weisse Geist. Es wurde zuvor bereits gesagt, dass die Geister nur für Menschen sichtbar waren, die die Grenze ihrer Filter überwunden hatten. Wenn jedoch ein spirituelles Wesen besonders aufgebracht war, konnte es diese Filter von sich aus überwinden. Zum Beispiel in Momenten grossen Zorns.
«Das darfst Du nicht tun! Hast Du denn nichts von mir gelernt? Und jetzt willst Du das gleiche nochmals tun in grösserem Massstab?»
Die Anwesenden waren hin und hergerissen von dem was sie da hörten und sahen, und ängstliches Schweigen erfüllte sie. Nicht jedoch die blonde Frau.
«Gestern Abend sah ich Dich – und ich erinnerte mich an die Träume in denen wir zusammen waren. Und ich sah, dass ein Feind, ein Mann des Sicherheitsteams fähig ist sich zu ändern, wenn er in eine Form des Geistigen gezwungen wird. Dies werden wir jetzt mit den Menschen auf unserer Welt machen, insbesondere mit den Kontrolleuren.»
Der weisse Geist schüttelte den Kopf: «Du hast nichts verstanden…»

Es ist dem Leser bekannt, dass es spukende Gespenster gibt. Ein solcher entsteht meist durch grosse Leidenschaft. In diesem Fall, wo Liebe die Seele des weissen Geists und Freundschaft die seiner Begleiter dazu brachte, auf der Erde zu verweilen, nachdem ihr materieller Körper nicht länger fähig war, weiterhin zu existieren, gab es ein klares Ziel, das der Liebe und Barmherzigkeit, in einem Wort das Verzeihen und die Erkenntnis darüber der blonden Frau zu vermitteln, die für ihren Tod verantwortlich war. Nun jedoch schien es, als wäre dieses Ziel verfälscht. Die Geister verloren so ihre hohe Schwingung, kamen der materiellen Welt also näher, und nicht länger war es ihnen möglich „einfach so“ ins Licht einzugehen. Auf diese Weise entstanden in den altvorderen Zeiten Götter. Die Geister wurden zu Gespenstern. Bekümmert liessen sie die Anwesenden ihre Filter wieder aufbauen, was diese unversehens taten, so wie ein Betrunkener am nächsten Tag all die tiefen Wahrheiten, die ihm der Wein vermittelt haben mochte, wieder aus seinem Bewusstsein streicht, indem er sich mittels eines Katers davon löst.
Die blonde Frau fühlte sich verraten und allein gelassen. Dies ist eine derart uralte Geschichte, dass sie in fast allen Kulturen der Menschen zu finden war, zumindest bevor die Kontrolleure all diese „Hirngespinste“ von der Erde tilgten. Eine Geschichte von falsch verstandenem Verrat. Nicht die Geister liessen sie im Stich, es war umgekehrt. Sie entschied sich für den Kampf gegen die Unterdrückung, die sie im System der Kontrolleure erahnt und nun von diesem alten Kauz bestätigt bekommen hatte. Es war für sie klar, dass es Seelen gab, nachdem sie die Geister zu Gesicht bekommen hatte, und sie wusste, dank der Gerätschaften der Tiefengnome, was sie dagegen machen konnte, dass ihr Planet, die Erde, so unfrei war. Sie entschied sich zu handeln, denn sie glaubte, zu wissen, was der einzige Ausweg ist. Diese Entscheidung war ihr freier Wille. Der Druide erkannte dies. Und er musste sich ihrem freien Willen beugen. Es hatte sich gezeigt, dass sein Eingreifen bereits genug Schaden angerichtet hatte. Diesmal war er zur Untätigkeit verdonnert.
«Und was schwebt euch vor, Uneinsichtige?», fragte er sie, den Namen gebrauchend, den die Kontrolleure aus gänzlich anderen Gründen für die Widerspenstigen gebrauchten.
«Wir», womit sie die Tiefengnome in ihre Rede miteinschloss, die sich zunehmend unwohl fühlten in ihrer Haut, «haben auf dieser Welt ein Gerät, womit es möglich ist, eine Seele von ihrem materiellen Körper zu befreien.»
«Befreien…?»
«Genau, was wir noch herausfinden müssen, ist, wie man dieses Gerät so einstellt, dass nur jene, die phantasielos, und unkreativ, die angepasst und unterstützend wirken für dieses System, davon betroffen werden. Wir werden die Welt auf einen Schlag von allem bösen und statischen befreien!»
Der Druide war schockiert. Er glaubte nicht was er da hörte, und er konnte sich weil er das nicht glaubte, auch nicht dazu durchringen, es zu verstehen. Ganz davon abgesehen, dass er wirklich daran zweifelte, dass die Tiefengnome über ein solches Gerät verfügten. Menschen neigen dazu, Dinge, die sie für unvorstellbar halten, als Spinnerei abzutun, ein altes Erbe eines Streits zwischen den Erdbewohnern und den Bewohnern anderer Welten. Dieser blinde Fleck ereilte nun den Druiden, und so verspottete er in Gedanken die Pläne der jungen Frau, die er für gänzlich undurchführbar hielt.
Statt sich auf die Auras der Gnome zu konzentrieren, deren Unsicherheit zu einem leichten Flackern in der Koheränz ihres elektromagnetischen Felds führte. Eine Unsicherheit, die nun auch mit Scham durchwoben war. Denn obwohl der Druide eine solche Vorrichtung für etwas völlig Irreales hielt, so waren diese im Besitz des Geräts. Vor einiger Zeit kam ein einsamer Wanderer zu den Tiefengnomen. Dieser in einen dicken Kapuzenmantel gehüllte Graue erweckte einiges Misstrauen in den Gnomen. Er sagte, er käme von den Bergen im Osten, und es schien ein weiter Weg, denn seine Kleidung war staubig und so schien es, wie wenn kaum sichtbare Rauchschwaden den Mann umgeben hatten. Er entschuldigte sich indessen auch für seine Erscheinung und schmunzelte, dass er den Gnomen empfahl auf weiten Reisen sich zu verhüllen, damit das Unbill des Wetters ihnen nicht die Haut aufschürfe. Die Gnome waren geborene Händler, stimmten in das Schmunzeln ein, und schufen eine Atmosphäre des Mammons, wie sie es immer taten, wenn Fremde an ihre Tore klopften. Ein Geschäft ist ein Geschäft. Im Verlaufe eines Tages hatte ihnen der Mann erklärt, dass er ein wundersames Gerät feilzubieten habe, das die Fähigkeit hatte, Seelen von ihrem materiellen Dasein zu erlösen. Dieses Mittel war natürlich unglaublich mächtig, das war allen sofort klar. Und auch wenn die Gnome nicht allzuviel von Waffen hielten, so war ihnen nicht wohl bei dem Gedanken, welche anderen Käufer der Mann eventuell finden mochte. Kurzum sie begannen die Verhandlungen und konnten den einsamen Wanderer gelinde gesagt übers Ohr hauen. Mit einem Goldnugget und etwas Wein gab er sich zufrieden, und die Gnome erhielten zum Tausch gegen materielle und spirituelle Güter ein Gerät, das sie sogleich in einem versteckten Winkel ihrer Binge versteckten. Sie hatten keine Verwendung dafür, ausser es zu besitzen, und keine Absicht es in der näheren Zukunft hervorzuholen. Doch dann stellte die blonde Frau die entscheidende Frage: «habt ihr eine Waffe?» - und Geschäftssinn trübte auf einmal das intuitive Fühlen der Gnome. Vor ihrem inneren Auge sahen sie Computer und Roboter, die in ihren Stollen wirkten, wenn sie der Frau halfen. Und so sagten sie «ja».
Erst da war der Handel mit dem einsamen Wanderer abgeschlossen, obwohl dieser schon seit vielen Monaten die Binge verlassen hatte.

Einer der Elfen, womöglich nicht der mit dem grössten Durchblick, zumindest deutete eine dicke Hornbrille darauf hin, mischte sich nun in das Gespräch ein, nachdem der Druide verstummt (und auch verstimmt) war:
«Da liesse sich mit diesen Sachen, allenfalls etwas machen.»
Dutzende von Augenpaaren richteten sich auf ihn, und es waren nicht nur freundliche Blicke, die er für diese Worte erntete. Der Druide wölbte ganz einfach eine Braue.
«Es mag euch wunderlich erscheinen, ihr die nicht müssig ist um die Erde zu weinen. Doch wir Elfen hatten seit langem und je Kontakt zu den Elementargeistern und auch zur Fee. Wenn ich das richtig hin und her wend’te, gibt es eines der Elemente - vermutlich Chrom, das hervorbringt Spiegelung schon. Chrom hat die Kraft zu spiegeln, nehmten wir es um aufzuwiegeln, was die Seele plagt und drückt, liesse sich leicht extrahieren, wo uns der Floh nun zwickt. Diese Spieglung wäre mächtig, rauszufiltern, ob wir sprechen hier von Freiheit oder von nem Bückling ohne Hintern.»
Es war vermutlich das erschauerlichste Gedicht, das je ein Elf von sich gegeben hatte. Nicht so sehr wegen der Form, mehr wegen dem Inhalt. Der Druide, sonst ganz schön aufgeschlossen, war nun einfach nur noch leicht verärgert und wir hatten dies schon, der Zorn trübt oft den Blick, so offen die Augen auch sein mögen. Mit den Worten «Dummes Zeug!», schenkte er sich etwas Wein ein. Nicht immer ist es der rechte Augenblick Wein einzuschenken, selbst wenn er rein ist.

Währenddessen hatten sich der Uneinsichtige und die Beobachterin wieder auf den Weg gemacht, und sie bestaunten eine Welt in der es kaum Maschinen oder Technisches gab. Auch für die Beobachterin, die viel mehr Literatur kannte, als bekannt war, dass es welche gab, war es ein berauschendes Gefühl, eine Welt wie diese mit eigenen Augen zu sehen. Immer wieder zeigte einer der beiden auf ein Tier oder einen besonders geformten Baum, und die Berge im Osten erschienen ihnen wie ein gemütlicher grosser Riese, der ein Nickerchen machte, und da sagten sie, ach guck mal, und, schau dir das an, und sie lächelten und waren froh. Ihren Auftrag vergassen sie mehr oder weniger. Das mochte zumindest teilweise daran liegen, dass sie gar nicht mehr wussten, wofür sie die blonde Frau eigentlich finden wollten, zum Teil aber auch an der seltsamen roten Blume, die hier überall wuchs, deren Blüten so ein kleines bisschen belämmert machten. Die Feen, welche die beiden beobachteten – und auch behüteten, sodass sie nicht in kleine Bäche hineinpurzelten, kicherten des Öfteren und waren von dem Schauspiel, das die beiden Menschen boten, gar entzückt.
Als sie aus dem Wald hinaustraten, und die Weite Ebene vor sich sahen, erblickten sie eine Rauchschwade in der Nähe eines Hügelgebiets. Da sie gerade viel Zeit in der Natur verbracht hatten, mehr oder weniger ganz alleine, stand ihnen der Sinn nicht nach grosser Gesellschaft, und so mieden sie das Dorf zur Linken und machten sich auf den Weg zu diesem Hügel. So gelangten sie schliesslich zu den Tiefengnomen. Irgendwann auf diesem Weg legten sie die Hände ineinander – die Sonne lächelte ihnen zu.

Als Gaia einstmals zur Sonne sprach, war dies nicht leicht. Die Sonne ist ein grosses Wesen, stark und kraftvoll, unglaublich mächtig. In ihr werden Sekunde für Sekunde Fusionsenergien generiert, die sich kein Mensch einfach so vorstellen kann. Allein 2 Sekunden der Energie, die in der Sonne hergestellt wird, hätte ausgereicht, um alle Menschenzeitalter, die es jemals auf Gaia gegeben hatte mit Energie zu versorgen. Wer der Sonne Verschwendung vorwirft, versteht sie jedoch nicht ganz. Diese Energieumwandlung erzeugt Wärme. Eine Wärme, die materielle Lebewesen benötigen. Sie erzeugt Magnetfelder, was für die Bildung von Atmosphären unabdinglich ist. Und sie lässt die Planeten um ihr Zentrum kreisen, was Stabilität bedeutet. All dies tut die Sonne, weil sie es möchte, weil sie ihren freien Willen dazu verwendet, für andere Wesen eine Heimat zu kreieren. Allerdings… die meisten Sonnen können mit kurzlebigen Lebewesen normalerweise nicht viel anfangen. Wenn wir von Gaia als Mutter sprechen, so hat dies durchaus seine Berechtigung. Denn Gaia sprach zur Sonne, denn sie wollte Leben gebären. Nicht erschaffen. Gebären. Und die Sonne verneinte. Ohne die Sonne war es einigermassen schwierig. Denn Gaia hat trotz ihrer Grösse, trotz ihrem Wesen nur begrenzte Macht über das Universum in dem sie lebt. Sie gab sich jedoch nicht geschlagen. Sie glaubte fest daran, dass es eine Welt geben müsse, in der kurzlebige Wesen die Möglichkeit erhielten, ein enorm kurzes Leben zu führen, damit sie wachsen und gedeihen konnten, damit sie spielen, lernen, essen, sterben konnten. Sie glaubte daran, weil sie erste Versuche bereits gemacht hatte, und sich daran erfreute, dass Kleinstlebewesen sich an den Gestaden tief unter ihren Ozeanen gelegener Vulkane tummelten. Ein Vulkan ist zwar keine Sonne, aber manche Wesen inkarnierten noch so gern, als sie diese Möglichkeit bekamen.
Die Sonne war nicht eben begeistert, als sie auf einmal spürte, dass neben den Trabanten und deren Monden auf einmal neue Seelen in ihrem Einzugsbereich erschienen. Noch dazu Lebewesen, die nach wenigen Erdentagen wieder starben, sodass stets ein gewaltiger Strom an neuen Seelen irgendwo auf Gaia entstand und verging. Die Sonne war nicht amüsiert. Gaia wurde kontaktiert und die Sonne redete klare Worte. Und Gaia verneinte.
Das überraschte die Sonne. Es war nun schon der zweite Planet, der mit diesem Ansinnen kam. Der fünfte Planet war nurmehr ein Asteroidenfeld, weil dessen Bewohner nichts Besseres zu tun hatten, als ihn in die Luft zu sprengen. Wollte Gaia, eines der liebsten Kinder der Sonne, tatsächlich das gleiche noch einmal versuchen? Die Sonne war nicht einverstanden. Leben bedeutete immerzu auch eine enorme Gefahr. Nicht zuletzt für den Planeten. Man hörte sogar Berichte von Supernovae die keineswegs natürlichen Ursprungs waren. Keine Sonnen, die ihren Lebenskreislauf nach vielen Milliarden Jahren beendeten, nein, von Kurzlebewesen ausgelöste Katastrophen. Davor fürchtete sich die Sonne nicht wirklich. Längst gab es Gegenmassnahmen und Fortgeschrittene Kurzlebewesen, die sich hin und wieder auf eine Stufe entwickelt hatten, die es ihnen erlaubte, zu verstehen, was um sie herum abging, waren bemüht, jede Zivilisation aus Kurzlebewesen an derartigen Aktionen zu hindern. Aber der Planet… Es gab in der Galaxis einfach zu viele Planeten, die an das Glück von Kurzlebewesen glaubten, sodass es viel zu wenig Hochentwickelte, raumfahrende Zivilisationen gab, die alle Planeten beschützen konnten. Natürlich war Gaia stark, das sah die Sonne durchaus ein. Sie konnte vermutlich sogar einen Krieg mit nuklearen Waffen aushalten. Aber sie ahnte nicht, wie schnell sich die Kleinstlebewesen entwickelten. Innerhalb weniger Millionen Jahre konnten diese Dinge herstellen, die schlicht und ergreifend eine Gefahr darstellten. Noch dazu war etwa zu der Zeit eine Art Spaltung im Universum absehbar. Die Sonne verstand nicht worum es genau ging, jedoch war eindeutig zu spüren, dass irgend etwas nicht so lief wie es sollte. Und gerade jetzt zu erlauben, dass Kurzlebewesen sich auf einem ihrer Planeten inkarnierten… Wo würde es hinführen?
Gaia widersetzte sich dem Verbot und liess auch die Vulkane weiterhin brennen, sodass die seltsamen Molluskentiere sich auf ihr entwickeln konnten. Viel Entwicklung gab es lange Zeit nicht, und so rief Gaia erneut die Sonne, und zeigte auf diese Tiere und meinte lakonisch, dass sie die Gefahr nicht so ganz sehe.
Die Sonne gab ihr eine Chance. Sie rief Gaia in Erinnerung, dass alle inkarnierten Lebewesen den freien Willen hätten, und sie demzufolge (und auch weil es nicht genug hochentwickelte, raumfahrende Zivilisationen gab) auf sich allein gestellt wäre, wenn ihre Bewohner sie in Gefahr bringen würden. Natürlich waren das Lippenbekenntnisse. Die Sonne behielt sich durchaus das Recht vor einzugreifen. Und sie tat es mehr als nur einmal – bevor die Menschen kamen, und auch danach. Eiszeiten, Sonneneruptionen, Veränderungen der Magnetfelder – dies alles plagte die Bewohner von Gaia.
Doch Gaia war verbunden, mit jedem einzelnen Lebewesen, das jemals auf ihr gelebt hatte – und irgendwann hatte sie genug. Sie rief das Höchste Wesen an, das es im Universum gibt, und erklärte, dass sie nicht länger gewillt war, die Zerstörung hinzunehmen, welche die Sonne über sie ergehen liess. So viel Liebe zu Kurzlebigen Lebewesen war selbst bei Planeten einigermassen selten und das Höchste Wesen war zu Tränen gerührt. Da auch Gaia und die Sonne ein Teil von ihm waren, besänftigte er die Sonne und versprach Gaia, dass er sich um sie kümmern würde. Er gestattete der Sonne, leichte Erwärmungen und leichte Abkühlungen auf Gaia entstehen zu lassen, wenn die Bewohner allzu sehr den freien Willen missbrauchten, mehr jedoch nicht.
Die Bewohner wussten von all diesen Absprachen natürlich so gut wie nichts. Doch immerzu spürten sie, dass die Sonne ihnen sowohl Leben gab, als auch den grössten Einfluss auf die Temperatur hatte. Da wir wissen, wie viele Dinge von der Temperatur abhängig sind, verwundert es kaum, dass es ganze Spezies gibt, auf Erden, die ihr Leben lang kaum etwas anderes machen, als in der Sonne zu liegen, und sie auf diese Weise anzubeten. Auch die Menschen waren sich dessen lange Zeit bewusst, und sie machten Rituale, worin sie ihre spirituelle Kraft nutzten um die Sonne zu besänftigen. Sie wiederholten, was das Höchste Wesen einst tat. Doch eines Tages hörten sie damit auf. Ein Glück für die Bewohner von Gaia gab es neben den Menschen auch noch ein paar Reptilien.

Die Elfen und die Tiefengnome hatten, als sie noch auf der Erde wandelten des Öfteren Dispute darüber, was man die Menschen lehren dürfe, und wann es genug des Spiels war. Wären nicht die Elementargeister gewesen, die beiden Völkern zugetan waren, so wären die Elfen und die Tiefengnome vielleicht sogar eines Tages kriegerisch gegeneinander vorgegangen. So aber erkannten ihre Weisen schliesslich, dass es keinen Grund zum Streiten gab. Als auf der Erde eine neue Religion überhand nahm, und alles Wissen, das von alter Zeit her bekannt war, zu verdrängen schien, wurde es langsam eng für die Fabelwesen. Nicht nur sahen sie sich mit Anfeindungen seitens der Menschen konfrontiert, die sie liebten, zusätzlich mussten sie auch noch erkennen, dass sie für die Menschen, die ihnen zugetan waren, eine Gefahr darstellten. Denn die Menschen sprachen nur zu gern über alles was sie sahen, eine der Eigenschaften, die die Menschen sich über alle Zeitalter hinweg erhalten hatten. Nun aber war diese Eigenschaft zur Gefahr geworden, denn wer von Gnomen und Elfen sprach, geriet in den Verdacht eine Hexe zu sein, oder mit den Dämonen im Bunde zu stehen. Die Fabelwesen liebten diese Menschen und sie wollten sie nicht in Gefahr bringen. Und so bauten sie ein Tor, das sich in Irland befand. Dort wurde einstmals ein Schwert geschmiedet, und dort wurde es auch wieder versteckt, nachdem einige schwierige Entscheidungen getroffen worden waren. Innerhalb des Schwerts waren wie in allen materiellen Gegenständen unzählige Atome vor dem blossen Auge verborgen. Diese waren nichts weiter, als ein Teil des Universums, das in sich gekrümmt ist. Die Tore führten das Feenvolk wie es im Englischen genannt wird, fort von der Erde hin zu einem anderen Planeten, unvorstellbar weit entfernt und zugleich in diesem Schwert, sich um einen der Atomkerne drehend, als Neutron. Dieser Planet war das Refugium der Elfen. Die Fabelwesen kehrten selten zurück, doch wenn sie es taten, so war dies in Irland, wo die Menschen uraltes Wissen seit vielen Generationen weitergaben. Selbst als die Kontrolleure die Welt eroberten, gab es solche, die von diesem Schwert wussten, und sie versteckten es. Das Schwert wurde eingeschmolzen, es war nicht das erste Mal seit dem Exodus der Elfen und Tiefengnome, der Feen, Trolle und manchem menschlichem Zauberer. Die Kontrolleure jedoch waren allzu mächtig und so wurde beschlossen, dass dieses Schwert von ihrem Zugriff für alle Zeiten entfernt werden sollte. Eine ganz besondere Lieferung Metall wurde nach Amerika verschifft, dort von Eingeweihten übernommen, und in die Tür hineingegossen, von der einzig der Druide etwas wusste, deren Hüter er war.
Nun aber hatten die Menschen ihren Planeten besucht. Diesmal gab es keinen Streit zwischen den Elfen und den Tiefengnomen. Diesmal arbeiteten sie zusammen. Sie sahen die Kontrolleure als Fortsetzung dessen, was sich etwa 1000 Jahre zuvor auf der Erde ausgebreitet hatte. Die Erben einer von Intoleranz geprägten Kultur. Es gab einen Grund, weshalb die Feenwesen ihre Vertreibung bedauerten: sie vermissten die Menschen und sie vermissten die Erde. Sehnsucht ist eine starke Kraft, insbesondere, wenn sie durch starke Menschen, wie dem Druiden und der blonden Frau heraufbeschwört wird. Diese Kraft nun war es, die die beiden ungleichen Völker vereinte und innert weniger Tage hatten sie es vollbracht. Das Gerät des seltsamen Mannes wurde mit Chrom vereint, das Resultat war eine Büchse der Pandorra, die sich justieren liess.
Der Druide war inzwischen wieder nüchtern, und nüchtern betrachtete er die Situation. Er ahnte, dass seine anfängliche Skepsis unbegründet, ja verfänglich war. Und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er musste mit der blonden Frau reden. Er musste sie zur Vernunft bringen. Es konnte doch nicht sein, dass sie nicht sah, dass ihre Handlungen in ihrer Wohnung falsch waren. Inzwischen hatte er vergessen, dass er damals noch dachte, alles hätte seine Berechtigung. Er war durcheinander. Er war sich seiner Lehren unsicher geworden, sollte er eingreifen? Sollte er es nicht tun? Er begab sich in Meditation und fragte im Stillen Gaia. Als sie antwortete hätte er sich beinahe verschluckt.

Auch der Uneinsichtige und mehr noch die Beobachterin waren nicht eben erfreut, als sie erfuhren, was hier tief unter dem Erdboden vor sich ging. Die blonde Frau wiederum war keineswegs der Auffassung, dass sie einem Verräter und einer „von denen“ in irgendeiner Form Gehör schenken müsste. Da es auf diesem Planeten keine Einsatzkommandos gab, hatte die Beobachterin diesbezüglich auch nicht viel zu sagen. Der Uneinsichtige beschloss mit der blonden Frau zu reden. Es musste einen Weg geben, sie zur Einsicht zu bewegen.

Derweil hatte sie die volle Unterstützung seitens der Bewohner des Refugiums. Zumindest glaubte sie das. Zwar stimmt es schon, dass es ein Elf war, der die Idee hatte, und auch die Tiefengnome waren einigermassen begeistert, sich mit einer technischen Tüftelei zu beschäftigen. Doch als das Resultat vor ihnen lag, stellten sich Zweifel ein. Was die Fabelwesen den meisten Menschen voraus haben ist die Gabe der Extrapolation. Dies verschuf ihnen den Ruf, in die Zukunft sehen zu können, als Ratgeber und Helfer waren sie einstmals hoch geachtet. Nun hatten sie ein Gerät erschaffen, das prüfen konnte, ob ein Mensch frei war in seinen Handlungen, oder ob er nichts weiter tat, als das was ihm andere Menschen eingaben. Ob es ein Mensch war, der kreativ und humorvoll war, oder ob er stets nach einem bestimmten Tagesrhythmus lebte, ohne diesen in Frag zu stellen, oder sein Dasein zu belächeln.
Kaum eine Waffe, die jemals im Universum gebaut worden war, hätte weiter reichende Konsequenzen. Millionen von Menschen würden sterben. Das Ziel war nicht direkt ihr Tod. Das Ziel war ihre Befreiung. Als Seele hatten sie die Möglichkeit, all die Anhaftungen zu überwinden, die sie Zeit ihres Lebens geplagt hatten. Ihre spirituelle Energie würde ins Licht übergehen, und von dort aus würde sie die Menschheit unterstützen, statt ihr zu schaden. Das war die Idee. Der Tod von Abermillionen von Menschen jedoch… das war nicht gut. Die Fabelwesen beschlossen, dass sie mit der blonden Menschin reden mussten.

Die Gespenster hatten derweil in Träumen alles unternommen, um mit der blonden Frau zu reden. Doch sie liess sich nicht beirren. Sie war im Recht, die Kontrolleure waren böse. Die Kontrolleure waren ja noch nicht mal böse, sie waren statisch, leblos, wie eine Maschine, nichts weiter als eine Uhr, wie ein Computer rechneten sie aus was ihr System benötigte, und keinerlei Freiheit war mehr möglich. War nicht sie selbst gezwungen worden, Menschen zu töten, wegen diesem System? Natürlich war auch das die Schuld der Kontrolleure. Sie war fest entschlossen, diesen Alptraum zu beenden.

Der Druide, der Uneinsichtige, die Beobachterin und die Anführer der Elfen und der Tiefengnome trafen zur selben Zeit vor dem Raum der blonden Frau auf.
«Ihr könnt ihr das Gerät nicht geben», sagte der Druide.
«Ich weiss», sagte der Gnom.
Als sie eintraten, mass sie die Frau mit einem kühlen Blick.
«Ich weiss warum ihr hier seid. Ich kann es mir denken.»
«Dann erklär mir, warum Du dennoch an Deinem Plan festhältst?», sagte der Uneinsichtige.
«Es ist der einzige Weg. Die Kontrolleure sind zu mächtig», sagte sie. Tränen standen ihr in den Augen.
«Der Tod von so vielen Unschuldigen ist…», begann der Druide.
«Unschuldig?» unterbrach sie ihn. «Sie sind nicht unschuldig. Sie sind jene, die dieses System am Leben halten, mit ihrer Angepasstheit dafür sorgen, dass jährlich unzählige in den Minen sterben, sie sind schuld, weil sie nicht wagen, das zu tun, was ihre Kraft wäre! Sie haben alles und sie verschwenden es, um das zu tun, was dieses System von ihnen verlangt. Sie wollen gar nicht mehr. Sie machen mit. Sie sperren Menschen ein, die es wagen, etwas gegen das System zu sagen. Sie lassen sich zu einem Algorhythmus verkommen, der genau das tut, was das Programm von ihnen verlangt, sie LEBEN nicht, warum also sollten sie dann nicht einfach sterben? Sie haben das Blut der Kreativität an ihren Händen, das Blut der Kunst, sie sind dafür verantwortlich, dass die Welt ist wie sie ist, und sie haben mich gezwungen, auf sie zu schiessen.»
Stille legte sich über den Raum.
Der Druide packte die Stille am Arm und schleuderte sie aus dem Raum hinaus.
«Du verurteilst sie. Doch eigentlich verurteilst Du niemand anderen als Dich selbst. Glaubst Du ich hätte Dir geholfen, wenn Du ein derart schlechter Mensch wärst? Glaubst Du der Mann, den Du erschossen hast, wäre als Geist zurückgekehrt, wenn er dachte, Du seist derart böse?»
«Ich bin es nicht, die böse ist, sie sind es, sie die so völlig abgestumpft mitmachen und nicht mal ansatzweise die Kraft besitzen, dieses System abzulegen, wie einen von Motten zerfressenen Mantel.»
«Wem machst Du etwas vor?», fragte die schwarzgekleidete Beobachterin. «Dein Hass auf die Menschen ist beispiellos, doch er wird geschürt durch Deinen eigenen Selbsthass. Du bist nicht fähig zu lieben, weil Du Dich selbst nicht liebst.»
«Das ist nicht wahr! Ich liebe die Menschen, mehr noch als sie es selbst tun! Ich möchte sie befreien, und nicht – mit ihnen spielen oder sie benutzen! Aber es gibt keine Möglichkeit sie zu befreien, ohne Opfer. Der Zweck heiligt die Mittel!»
Die Beobachterin lachte. Sie war ein verspieltes Kind, das müssen wir nicht extra betonen, doch dass sie in diesem Moment lachte, das war geradezu erfrischend.
«Du glaubst, alles zu wissen und alles zu sehen. Doch eines erkennst Du nicht. Die Kontrolleure sagen genau das gleiche, wie Du eben. Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn es notwendig ist, den Menschen die Kreativität zu stehlen, damit Frieden herrscht, dann, nun ja, wir machen das nicht gern, papipapo, aber es bleibt nun mal nichts anderes übrig, weil sonst ja sonst, könnte ja noch jemand auf dumme Ideen kommen, und zum Beispiel einen Krieg anzetteln.»
Der Uneinsichtige fühlte, wie ihm nun dämmerte, was der Kontrolleur vor einigen Tagen zu ihm gesagt hatte.
«Du bekämpfst ihre Weltsicht, so wie es dieser naive, aber liebenswerte Junge hier neben mir tut», fuhr sie fort. Der Uneinsichtige blinzelte.
«Du kämpfst also gegen sie, weil sie die Kreativität und all das zerstört haben. Und nun sitzt Du hier, auf diesem… Planeten… und schmiedest grosse Pläne um es ihnen heimzuzahlen. Und allen die sie unterstützen. Sonst könnte man die Welt ja nicht retten.»
«Du gehörst zu ihnen, es ist ja klar dass Du das sagst», erwiderte die Blonde.
«Weisst Du auch warum ich zu ihnen gehöre? Weil ich so die Möglichkeit habe, Shakespeare zu lesen. Die Menschen zu beobachten, wie sie leben, und mir nicht einfach nur vorzustellen, wie sie leben sollten!», sagte die Dunkle.
«Freiheit ist das höchste Gut!», sagte die Blonde.
Hier schmunzelte der Uneinsichtige – genau die gleichen Worte hatte er gegenüber dem Kontrolleur verwendet.
«Und Tod ist das Ende des Lebens!» meinte die Schwarzgekleidete.
«Nun ja, nicht ganz», sagte der Druide unvermittelt. Alle wandten sich ihm zu. «Der Tod beendet das Leben eines materiellen Wesens. Er trennt die Seele vom Körper sodass diese… nun ja tut, was immer Seelen tun. In den meisten Fällen verschmelzen sie mit Gaia – das ist die Seele der Erde – andere kehren als Geister zurück. Die Junge Dame hat Recht, wenn sie sagt, dass die Seelen befreit werden, von ihrem irdischen Dasein.»
«Na also!»
«Du irrst jedoch, wenn Du glaubst, dass Du bestimmen könntest, welche Aufgaben und Wünsche diese Seelen haben. Du hast hier eine Waffe. Genau wie in Deiner Wohnung. Und Du kannst Dich noch mit zigtausend Ausreden davon zu befreien versuchen, dass Du diese drei getötet hast, eine Waffe bleibt eine Waffe. Der- oder diejenige, die sie verwendet, entscheidet über Leben und Tod. Und auch wenn die Seele weiterlebt: ein Leben auszulöschen obliegt nicht Deiner Verantwortung.»
«Aber… aber ihr habt doch die Geister gesehen, alter Mann. Wie frei, glücklich und herzlich sie sind. Sie waren Sicherheitsbeamte, von diesem System dazu bestimmt, Menschen zu deportieren, und…», sagte sie.
«es waren Menschen!» unterbrach der Druide sie erbost, «es waren Fühlende, Denkende Lebewesen, und noch dazu kenne ich den einen von Wanderungen, den einen, der Dich geliebt hätte, wenn Du es zugelassen hättest, statt ihn zu erschiessen. Er vor allen, war verbunden mit Gaia, wie Du es niemals sein wirst. Oder besser gesagt, er hat diese Verbindung, die auch bei Dir vorhanden ist, gesehen, im Gegensatz zu Dir.»
Sie schnaubte. «Das ist das grösste Märchen, das war doch alles erst nach seinem Tod» doch dann fielen ihr die Träume wieder ein, und sie verstummte. Sie spürte auf einmal: sie tat ihm Unrecht. So eine strahlende Seele wie die Seine hatte keiner, der sein Leben lang auf dunklen Pfaden gewandelt war.
So wie sie.
Sie dachte an ihre Wohnung. Ihre Einsamkeit. Ihren Kater!
«Wo ist meine Katze?», fragte sie aufbrausend.
«Bei uns», sagte der Uneinsichtige.
«So habt ihr mir sie also genommen. Und jetzt wollt ihr mir die einzige Möglichkeit nehmen, Vergeltung zu üben, am Verrat der gesamten Menschheit», sagte die blonde Frau.
«Es gibt keine Vergeltung!», schrie nun der Druide, «es gibt nur Verzeihen. Verzeihe Du Dir. Tu was andere vor Dir getan haben. Wende Dich ab von der Zerstörung und nutze Deine Intelligenz um als Vorbild zu leuchten, statt ihnen den Hass einzupflanzen, den Du in Dir trägst. Bedenke Deine Handlungen. Bedenke die Erde, wie sie ausschaut, wenn Du tätest wonach Dir der Sinn steht. Siehst Du nicht, wie alles öd und leer wird, wie Menschen gebrochenen Herzens umherwandern, und wie sie sich nach denen sehnen, die Deine Seelenbombe ins Sterben zwingt? Die Menschen wären frei, ja, aber sie wären gebrochen. Sie hätten nichts mehr wofür es sich zu leben lohnt, das ist nicht der Ausweg den Du suchst. Das ist nicht, wofür Du auf diese Welt gekommen bist, verdammt noch mal!»
Es ist grundsätzlich ziemlich beeindruckend, wenn jemand so lange am Stück schreit, entsprechend waren die Anwesenden ziemlich baff.
«Ich glaube nicht, dass es damit getan wäre, und ich glaube auch nicht, dass die Stasis sich auf diese Weise aufheben lässt. Doch ich weiss, dass ich keine Möglichkeit habe, euch begreiflich zu machen, worum es geht. Ich gehe. In die Berge. Dorthin woher der staubige Mann gekommen ist, von dem ich in den letzten Tagen erfuhr. Womöglich versteht er mich. Vielleicht finde ich dort den Frieden, den ich in Eurer Anteilnahme nicht finden kann», sagt sie.

Vor den Toren der Zwergenbinge war erneut ein Besucher eingetroffen. Diesmal handelte es sich um eines der seltensten Wesen, die es im Multiversum gab. Grosse Lederne Flügel spannten sich um die Hüften, und der ganze Körper war von dichten Schuppen überdeckt. Auf dem Rücken des drachenartigen Wesens sass ein Mann in grauem Kapuzenmantel, der so staubig zu sein schien, dass es aussah, als wirbelten Rauchfäden um ihn herum. Die Blonde Frau erkannte ihn sofort. Und gemeinsam flogen sie auf dem Rücken des Tiers in die östlichen Berge.
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Re: Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

Nun war der Zeitpunkt gekommen, auf die Erde zurückzukehren. Zuvor wurde die Waffe vernichtet. Die Gruppe versammelte sich um den Kater, der nun ein Tor öffnete. Er selbst blieb zurück und machte sich auf die Suche nach der blonden Frau. Denn er wusste und spürte zugleich, dass es keinen Menschen im gesamten Multiversum gab, der seinen Beistand jetzt nötiger hatte, als sie. Auch die Gespenster begaben sich dorthin, denn eines Tages würde sie sterben. Und dann wären sie endlich wieder vereint.
Auf der Erde hatte der Kontrolleur eine aufregende Zeit hinter sich. Projekt Alpha war gründlich gescheitert. Alles was er aufgebaut hatte, war zusammengebrochen. Es erschien unglaublich. Zumindest wenn man nicht wusste, dass Projekt Alpha von einer ganz bestimmten, schwarz gekleideten Frau seinen Namen erhalten hatte. Einer Frau, die das Leben als Spiel ansah, und die es mit Humor nahm. Projekt Alpha war ihr zu bieder und ernst. Sie hatte einige Veränderungen vorgenommen…
Die Welt war nicht mehr die gleiche. Der Kontrolleur leitete ein Projekt in die Wege, weil er spürte – durch Gaia mit ihr verbunden – dass die blonde Frau die Kontrolle erlangen wollte, auf einem unsäglichen Weg marschierend. Dieses Projekt verursachte nichts weiter, als dass die Menschen anfingen miteinander zu reden. Und auch wenn das Ziel des Projekts klar umrissen war, und zum Ziel hatte, die Menschen erst zu verunsichern, und Misstrauen zu schüren, untereinander, um sie dann von der Richtigkeit der Kontrolle zu überzeugen, so hatte das Projekt einen ganz entscheidenden Fehler: Es war nicht mehr möglich, die Gespräche verstummen zu lassen, nachdem sie erst einmal begonnen hatten. Ganze Landstriche glaubten nicht länger an die Monatliche Untersuchung für Wahrheit, und unabhängige Chirurgen schossen wie die Pilze aus dem Boden. Zwar war es nur mit grossen Eingriffen und meist mit einer Beeinträchtigung der Funktionen des Handgelenks möglich, die Chips zu entfernen, weil das Gewebe sich um den Chip herum neu zu bilden begann, und ihn geradezu einschloss, doch diesen Menschen war es das Wert.
Der Kontrolleur sass vor den Monitoren, und er lachte aus vollem Bauch. Er lachte aus vollem Herzen. Zuerst leicht irritiert, erkannte er nun, dass seine Gesellschaft in Null Komma Nichts zurück in die Verirrungen des 20. Jahrhunderts zurücksackte, kaum hatte er das Projekt Alpha in Gang gesetzt. Zwar gab es viele, die seine Gesellschaftsform unterstützten, doch genau so viele gab es, die sie rundweg ablehnten, adaptierten, religiös verzerrten, andern aufzwingen wollten, was sie selbst dachten, sich darüber belustigten, Comics und Graffitis zeichneten, oder sich sonstwie davon abgrenzten. Er hatte damals geglaubt, er könne den Menschen etwas schenken. Doch nun erkannte er, dass er ihnen nichts schenkte, sondern nur nahm. Nun… er hatte es ihnen zurückgegeben. Wie er schliesslich herausfand, war das Projekt Alpha an mehreren Stellen empfindlich verändert worden. Er fand auch heraus, von wem, denn er hatte auf einmal überhaupt nichts mehr zu tun. Die Kontrolle war nicht länger benötigt. Er dachte daran, dass er mit einer gewissen Dame noch einige gründliche – aber freundschaftliche Worte wechseln musste.
Noch funktionierte das System einigermassen, und so fand er schnell heraus, dass die Betreffenden zurück auf der Erde waren. Einige ganz spezielle Sonderkommandos wurden damit beauftragt, sie zu ihm zu bringen. Nun endlich war die Zeit gekommen, seinem Sohn die Wahrheit zu erzählen. Dass er geplant hatte ihn zu seinem Nachfolger zu machen. Der Uneinsichtige sah die Chance, die sich hier für die Welt bot, und so willigte er schliesslich ein.

Als der Kontrolleur im hohen Alter verstorben war, machte er sich zusammen mit seiner Frau, einer ehemaligen Beobachterin, daran, die Welt neu zu ordnen. Indem sie Schritt für Schritt allen Einfluss abbauten, den die Kontrolleure aufgebaut hatten, gaben sie der Menschheit langsam, aber stetig genau das, was die blonde Frau ursprünglich wollte, damals als sie mit jungen Jahren schon erkannt hatte, woran die Welt krankte. Doch das Liebespaar hatte verstanden, dass einzig Liebe zu den Menschen diese letztlich zu befreien vermochte.
Nicht Hass.
Benutzeravatar
rägebogehäxli
Gold Member
Gold Member
Beiträge: 164
Registriert: Do 23. Jul 2009, 18:59
Wohnort: somewhere over the rainbow

Re: Chrom Complete

Beitrag von rägebogehäxli »

uuuhh.. usdruckt isches scho lang, aber fertiggläse doch noni... isch nöd so bett-lektüre :P
schad, häts nöd klappet als buech... gerade eben wegen wirtschaftskrise und so... die würed no stune, wie das wür acho /bigs
zäme simmer ois
shamanic dreams came true
if war is the answer, the question must be fuckin' stupid...
california ☼ => ·٠•●♪ ♫ ☯* ॐ ♥ ☮ *☆ ♫ ♪●•٠ (you will feel it...)
sag nicht immer, was du weisst, aber wisse immer, was du sagst.
du meinst, deine stimme zählt nicht? dann addiere mal alle, die genauso denken.
der vorteil der klugheit liegt darin, dass man sich dumm stellen kann. das gegenteil ist schon schwieriger. - kurt tucholski

/color Bild

Bild
_NEED_WEED_
Silver Member
Silver Member
Beiträge: 93
Registriert: So 15. Nov 2009, 18:34
Kontaktdaten:

Re: Chrom Complete

Beitrag von _NEED_WEED_ »

chasch das ned als hörbuch usebrenge? xD
Fallen Angel 3
Platin Member
Platin Member
Beiträge: 1433
Registriert: Mi 8. Apr 2009, 23:55

Re: Chrom Complete

Beitrag von Fallen Angel 3 »

Auszug:
Fallen Angel 3 hat geschrieben:Es war ein Schauspiel. Wenige wussten wie einfach dieses Spiel war. Weil sie es nicht wagten. Sie wagten nicht, sich zu verkleiden, zu maskieren, so zu tun als ob. Und das verhinderte, dass sie erreichten, was immer sie erreichen wollten. Der Mut, sich einfach mal anders zu zeigen, als man war, und gleichzeitig auf diese Weise viel mehr zu zeigen, wie man ist, war ihnen verwehrt. Weil sie glaubten, sie müssten ihre eigene Rolle finden, und darin aufgehen. Doch es gab keine eigene Rolle, es gab nur das eigene Sein, und dieses Sein, das war eh schon, also warum danach suchen? Wenn sie mit einem Ministerrat zusammenkam, musste sie da eine 24jährige Frau sein, oder konnte sie nicht auch eine Prinzessin mimen, die jeden der Anwesenden mit gewagten und grossen Worten in ihren Bann zog, sodass diese anfingen zu denken?

Sie behielt solche Gedanken wohlweisslich für sich, wusste sie doch, wie wenig die Menschen ihres Zeitalters davon hielten, irgendwas zu spielen, das nicht von den Kontrolleuren vorgegeben wurde. Es war gefährlich, und vermutlich würde sie einiges früher auf dem virtuellen Schaffot landen, worin die Hauptverräter des Systems alle früher oder später landeten, doch solange sie konnte, wollte sie dieses Spiel, diese Maskerade aufrechterhalten, denn es beflügelte und belebte ihr Sein, es gab ihr ein Gefühl von Lebendigkeit, und danach war sie hochgradig süchtig, so süchtig, wie ein Mensch nur sein konnte. Der Nervenkitzel, sich in Regierungsgebäuden zutritt zu verschaffen, einzig mit dem Hinweis, beim Ministerium zu arbeiten, mit den nötigen Blicken die Wachen davon zu überzeugen, es mit jemandem zu tun zu haben, der äusserst ungemütlich werden konnte, wenn sie nicht genau das taten, was sie von ihnen wollte, das war für sie unvergleichlich aufregend. Noch dazu, weil sie an und für sich überhaupt keine Handlungsbefugnis hatte, um irgendwem ungemütlich zu werden. Nur dass dies niemand merken konnte, solange sie eingeschüchtert waren.

Sie war jedoch von ihrer Art her kein schlechter Mensch. Sie mochte ihre Untergebenen (die keine waren) und sie mochte sogar den Kontrolleur auf ihre Weise. Sie mochte diese Leute, weil sie naiv waren, ähnlich Kindern, die eine Welt durch Augen betrachteten, die mit viel Angst vor dem Unbekannten einherging. Aber anders als Kinder, hatten sie den Mut aus früheren Tagen nicht mehr, sich der Welt zu stellen, auszuprobieren und sich dabei halt mal eine blutige Schramme zu holen. Sie waren so kontrolliert, so gefestigt in ihrem Dasein, dass sie manchmal, wenn sie des Nachts allein in ihrem Bett lag, weinte – weinte um Menschen, die sie gar nicht kannte, selten verstand, und irgendwie doch verstand. Sie weinte um diese Menschen, weil sie sich nicht getrauten zu spielen.
Dann wieder war sie zornig, über deren Unlust, einfach mal zu sein, einfach mal mitzumachen, doch was konnte sie schon tun, anderes als ihr Spiel zu spielen, und es sich nicht verderben zu lassen, von jenen, die seltsam traurig waren, ohne dies zu merken?
Das was wir brauchen, das was wir geben - das sind wir.
Antworten